Das Hochzeitsbankett

Komödie | Taiwan/USA 1992 | 108 Minuten

Regie: Ang Lee

Ein in New York lebender Taiwaner verheimlicht den Eltern in der Heimat seine Homosexualität und schwindelt ihnen die bevorstehende Hochzeit mit einer Malerin vor. Als sie zu Besuch kommen, gerät er in Zugzwang. Seine Scheinhochzeit hat für alle Beteiligten Konsequenzen. Am Ende ringt sich der junge Mann zur Wahrheit durch. Eine subtil inszenierte Komödie über den Zwiespalt zwischen selbstgewählten Lebensentwürfen und tradierten Normen; gut gespielt, geschmackssicher dargeboten. (Der zweite Teil einer Trilogie; Titel der übrigen Teile: "Schiebende Hände", "Eat Drink Man Woman") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HSI YEN | THE WEDDING BANQUET
Produktionsland
Taiwan/USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Central Motion Pic./Good Machine
Regie
Ang Lee
Buch
Ang Lee · Neil Feng · James Schamus
Kamera
Jong Lin
Musik
Mader
Schnitt
Tim Squyres
Darsteller
Winston Chao (Wai-Tung Gao) · May Chin (Wei-Wei) · Ah-Leh Gua (Frau Gao) · Sihung Lung (General Gao) · Mitchell Lichtenstein (Simon)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt/Arthaus (16:9, 1.78:1, Mono Mandarin/dt.)
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Diskussion
Wenn man nicht die wahren Leidenschaften eingestehen will, aus Angst oder Scham, und deshalb bizarre Verrenkungen ausführen muß, damit die anderen nicht merken, was mit einem los ist - dann ist das gewöhnlich Stoff für eine Komödie. So auch hier. Ein junger homosexueller Mann aus Manhattan spielt seinen traditionsbewußten Eltern vor, er heirate, um endlich Ruhe vor der mütterlichen Fürsorge und Sorge zu haben. Er wagt nicht, ihnen zu offenbaren, wer er eigentlich ist. Vater und Mutter kommen also aus Taiwan angereist, um die Hochzeit mitzufeiern. Die Auserwählte, eine chinesische Malerin, braucht eine Aufenthaltserlaubnis (Green Card) und willigt in das Trugspiel ein. Familienleben in Anwesenheit des Geliebten, den der Sohn als seinen Vermieter vorstellt, wird zu einer Balance zwischen mildtätig gemeinter Heuchelei und ratloser Freundlichkeit der Gäste. Und sie finden alle Gefallen aneinander. Die schnöde Zeremonie vorm Standesamt der Stadt New York reicht nach dem Gefühl der Eltern nicht aus. Ein Freund des Vaters richtet ein üppiges Bankett aus, bei dem sich die überwiegend chinesischen Gäste nicht viel anders verhalten als andere Leute. Ziemlich betrunken wanken die meisten nach Hause. Übriggebliebene spielen dem Ehepaar noch einen Schabernack und drängen sich ins Hochzeitszimmer. Zwischen dem Pseudo-Ehepaar kommt es nach all den Turbulenzen zu einem unverhofften Zwischenfall. Die junge Frau wird schwanger. Durcheinander: die Freunde krachen sich, die Frau will abtreiben lassen, tut es aber am Ende doch nicht. Das Kind wird zwei Väter haben. Die Eltern reisen wieder ab, mit gemischten Gefühlen: Die Familie stirbt zwar nicht aus, doch sie wissen endlich Bescheid über die eigentliche Liebe ihres Sohnes. Auch der scharfäugige Vater weiß es, den alle doch unbedingt schonen wollten. Der Sohn, sein Geliebter, die junge Ehefrau bleiben am Flughafen zurück, einander umarmend. Fast eine Idylle. Der Vater hebt bei der Leibeskontrolle die Hände wie ein Vogel die Flügel. Oder sieht es so aus, als würde er sich - hands up - ergeben? Das Bild erstarrt: ein wunderschönes vielsinniges poetisches Zeichen bleibt haften.

Eine Komödie New Yorker Stils, mit gefühlvollen Einschüben: Es geht um das komplizierte Arrangement unterschiedlicher Lebenskonzepte, um das Changieren zwischen Täuschung und Bekenntnis, das Erfüllen von Riten, die auch den Eltern gefallen. Die Machart schillert zwischen Neil Simon, dem Virtuosen des Boulevards, und Woody Allen, dem Stadtneurotiker aus Manhattan. Multikulturell ist der Film darin, daß zwei Sprachen gesprochen werden, amerikanisch und chinesisch. Dies betont die Kluft zwischen den althergebrachten Normen, die sogar den Sohn zur Folgsamkeit zwingen, und der Liberalität der jungen Menschen. Chinesisch reden heißt in diesem Film: sich traditionell zu verhalten, sich verbergen, den anderen das Bild von sich präsentieren, das sie erwarten oder erhoffen. Amerikanisch reden heißt: sich zu seinen Interessen bekennen, das eigene Leben leben wollen. Der Fall ist so neu nicht, daß zwei Sprachen die voneinander abweichenden Wertgefüge akzentuieren, handelt es sich doch nicht nur um die chinesische und die New Yorker Kultur, sondern auch um den Konflikt zwischen traditionellen und modernen, patriarchalisch familienorientierten und individualistischen Lebensstilen.

In "Hochzeitsbankett" gleichen sich beide Systeme nur darin, daß die Männer die Hauptrolle spielen. Das erste Kind soll ein Sohn sein, vor allem die Mutter ist scharf darauf, der Vater umarmt den Sohn und dessen Liebhaber am Ende, berührt aber die Schwiegertochter nicht mit einer Fingerspitze (wenn ich es recht gesehen habe). Die junge Frau hat im Zweckbündnis mit den beiden Männern vorwiegend pragmatische Bedeutung. Es macht das Verhältnis nur kompliziert, daß sie ihren Angetrauten in der Hochzeitsnacht zur einmaligen Untreue verführt und das gleich eine Schwangerschaft zur Folge hat. Das Verwirrspiel dauert länger als vorgesehen, weil der Vater nach der Hochzeit einen Schlaganfall erleidet. Dies zwingt die New Yorker Partei dazu, die einmal errichtete Schauseite weiter aufrechtzuerhalten: ein glückliches Paar und ein netter Freund, so sehr es auch knirscht und kracht im Gefüge. Gegen die dichte, scheinbar unauflösliche Kohabitation von Vater und Sohn und Geliebten spielt May Chin, die Darstellerin der Pseudo-Ehefrau und Malerin, vehement an und beweist sich als bezaubernde Komödiantin. Es ist eine Reihe kleiner Nummern, die Wei-Wei, so der Rollenname, mit erheiterndem Understatement vorführt: vor dem Standesbeamten bringt sie die Schwurformel durcheinander, so daß das heilige Gelöbnis in einzelnen Wörtern unsinnig vertropft. Beim anstrengenden Posieren vor dem Fotografen muß sie zwischendrin tief aufatmen, bevor sie wieder die strahlende Pose einnimmt. Ihre ziemlich ungeschickten Versuche, als Köchin etwas zu bewerkstelligen, haben den Charme von Katastrophen, die nebenbei geschehen, so daß sie kaum auffallen, auch den Gang der Handlung nicht weiter aufhalten. Und da sie ein wenig verliebt ist in den hübschen Homosexuellen, der ihr Mann sein soll vor dem Gesetz und den Eltern, läßt sie der Kuß an der Hochzeitstafel, so erzwungen er ist, ein bißchen schwanken. Ah-Leh Gua als Schwiegermutter hat mit der Rolle der liebevoll-herzlichen Verständnislosen die Chance wahrgenommen, zur Karikatur neigende Züge abzumildern, ins Humane zurückzunehmen. Dasselbe gilt von der Darstellung des Generals Gao, des strengen Vaters. Trotz Herzinfarkts muß diese Figur das Ergebnis lebenslanger Disziplin verdeutlichen, das heißt, er spaziert in einem fast grotesken Geschwindschritt und hat sich auch in anderer Weise in Gewalt, wobei er aufmerksamer seine Umwelt betrachtet, als man vermuten möchte. Der Geliebte des Protagonisten, Simon, wird im Rahmen des Klischees charakterisiert: er kocht liebevoll und putzt und kümmert sich. Selbst im Ausbruch der Eifersucht bleibt er angenehm. Der Held selbst ist leider nicht einprägsam genug. Winston Chao verfügt über keine große Vielfalt im Ausdruck. In der großen Szene, in der er seiner fassungslosen Mutter gesteht, daß er homosexuell sei, wendet er sich ab und zur Wand (von der Kamera also weg). Die Abwendung ist sicher auch dadurch motiviert, daß hier jemand ein Lebensgeheimnis preisgibt, das er vor seinen Eltern lange verborgen hielt, und in einer Mischung aus Scham, Pein und Verzweiflung sein Gesicht verbergen möchte. Wobei Scham, Pein und Verzweiflung vermutlich eher daher stammen, daß er so lange mit der Wahrheit hinterm Berg gehalten hat. Es könnte auch sein, daß der Regisseur erkannt hat, daß sein Hauptdarsteller diesen Auftritt schauspielerisch nicht bewältigt, und auf diese Weise das Problem delikat löst. Ang Lee inszeniert diskret. Die Umarmungen der beiden Männer, der schwierige Kontakt zwischen dem Helden und der jungen Frau, zwischen Eltern- und Kinder-Generation, selbst die kleinen Ausschweifungen und drastischen Scherze während des Hochzeitsbanketts werden aus unaufdringlicher Distanz betrachtet. Keine grellen Effekte, kein Kuriositätenkabinett, kein zynischer Spott. Der Abstand, aus dem die Handlung verfolgt wird, kühlt Teilnahme nicht ab, erweckt eher eine unüberhebliche Heiterkeit. Zu ihr paßt das Tempo, in dem sich die Geschichte abspielt, ein leichtflüssiges elegantes Allegro, durchsetzt mit kurzen Partien pointiert-lakonischer Montage: etwa, wenn aus der Wohnung des Männer-Pärchens die Fotos und andere verräterischen Accessoires weggeräumt werden und an deren Stelle die chinesischen Erinnerungsstücke treten, um den Eltern eine brave und fromme orthodoxe Fassade bieten zu können. Das Hochzeitsbankett wird auf geschickte Weise in Phasen zerlegt, die Derbheiten und Enthemmungen in oft kurzen Szenen beiläufig dokumentieren.

Ang Lee ist mit seinem zweiten großen Spielfilmprojekt eine amüsante und subtile Komödie gelungen, die auch traurige, ernsthafte und sentimentale Momente einschließt, ohne ihnen melodramatisches Gewicht zu geben. Er beherrscht die Regeln des Genres, ohne jemals grob zu werden, sein Heil in Übertreibungen zu suchen oder die Realität, die in diesen Film hineinragt, zu banalisieren. Ang Lee beweist sich als souveräner und geschmackssicherer Zeremonienmeister.
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