Der Tintenfisch und der Wal

Drama | USA 2004 | 81 Minuten

Regie: Noah Baumbach

Ein Schriftstellerehepaar lässt sich nach 16 Jahren Ehe scheiden. Dies trifft die beiden heranwachsenden Söhne aus heiterem Himmel und zwingt sie, sich mit der veränderten Situation auseinander zu setzen. Der Film beobachtet aufmerksam die Reaktionen und Aktionen der Heranwachsenden, wobei er die Geschichte aus zahlreichen hintergründigen Einzelbeobachtungen zusammensetzt. Die Distanz, die er dabei zu allen Protagonisten einnimmt, erlaubt eine Ironisierung der Geschichte, vermittelt aber auch die wachsende Vereinzelung aller Beteiligten. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
THE SQUID AND THE WHALE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
American Empirical/Peter Newman-Internal/Original Media/Seven Hills Pic./Andrew Lauren Prod./Ambush Ent./Destination Films/InterAL/Squid and Whale
Regie
Noah Baumbach
Buch
Noah Baumbach
Kamera
Robert D. Yeoman
Musik
Britta Phillips · Dean Wareham
Schnitt
Tim Streeto
Darsteller
Jeff Daniels (Bernard Berkman) · Laura Linney (Joan Berkman) · Jesse Eisenberg (Walt Bergman) · Owen Kline (Frank Berkman) · Halley Feiffer (Sophie)
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Sony (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Noch bevor ein einziges Bild auf der Leinwand erscheint, sind aus dem Off die Worte „Ma und ich gegen Pa und Dich“ zu hören. Dieser Halbsatz des zwölfjährigen Frank bezieht sich auf ein Tennis-Doppel, doch er nimmt zugleich den Frontverlauf vorweg, der sich bald durch die vierköpfige Familie Berkman zieht. Denn als die Eltern sich scheiden lassen, sucht Frank die Nähe und Bestätigung der Mutter, während der vier Jahre ältere Walt vorbehaltlos mit dem Vater sympathisiert. Es ist bezeichnend, dass die Mutter Joan das Tennis-Match schnell beendet, als ihr Mann Bernard einen Volleyschlag rücksichtslos auf ihren Körper zielt. Wenig später gesteht sie ihm, dass sie schon seit Jahren unbewusst bereit war, ihn zu verlassen. Ihm hingegen dient das Tennisspiel als Ventil seines Geltungsdrangs, der anders nicht mehr zu befriedigen ist; aus einem frühen Dialog der Söhne geht hervor, dass Bernards Ruhm als Schriftsteller verblasst ist, während Joan erste Aufmerksamkeit mit eigenen Publikationen feiert. Die nervöse Handkamera und die abrupten Schnitte der anfänglichen Tennisszene geben den Rhythmus vor, mit dem Noah Baumbach zielstrebig auf die Zäsur im Leben seiner beiden jugendlichen Hauptfiguren zusteuert: Kaum hat Frank irritiert gefragt, warum der Vater nachts auf der Wohnzimmercouch schlafe, und kaum hat Walt einen Ehekrach mit angehört, teilen die Eltern ihre Trennung mit. Bald darauf müssen die Brüder abwechselnd zwischen der neuen Wohnung des Vaters und dem alten Elternhaus, in dem die Mutter weiterhin wohnt, hin- und herpendeln. Baumbach erzählt diese melancholische Geschichte mit meisterlicher Ökonomie, indem er in knappen Impressionen vor allem die Reaktionen der Kinder spiegelt. Obwohl die locker verbundenen Szenen kaum noch kürzer ausfallen könnten, erlaubt jede einzelne wie nebenbei Aufschluss über Entwicklungen, die von der Handlung bloß angedeutet werden. Gerade der schnelle Blick auf Nebensächlichkeiten suggeriert dabei wunderbar beiläufig den kleinkarierten Irrsinn, der wohl unvermeidlich ist, wenn zwei Menschen sich nach 16 Jahren trennen: So versteckt Joan nachts beispielsweise Bücher unter dem Kinderbett, um zu verhindern, dass Bernard diese beim Auszug mitnimmt. Die kuriosen Aktionen, mit denen Frank auf die Scheidung reagiert, sind indes gerade deshalb so rührend wie komisch, weil sie von den Eltern zunächst unbemerkt bleiben (Biertrinken und unappetitliches Protest-Masturbieren) oder ignoriert werden (herrlich wüste Schimpfkanonaden). Baumbach reflektiert in seinem vierten Film eigene Kindheitserfahrungen. Aufgewachsen im selben Teil Brooklyns, in dem diese bescheidene Independent-Produktion angesiedelt ist, erfuhr er als 14-Jähriger am eigenen Leib, was es bedeutet, dass sich sein Vater, ein Schriftsteller, und seine Mutter, eine Filmkritikerin, scheiden ließen. In einem Interview hat Baumbach erwähnt, dass in seiner Jugend die eigenen Geschmacksurteile von den literarischen Vorlieben des Vaters dominiert wurden. Weil Walt die Meinungen Bernards ständig unreflektiert nachplappert, darf man annehmen, dass der ebenso blasierte wie unsichere Teenager bis zu einem gewissen Grad ein Alter ego Baumbachs ist. Das „Coming of Age“ dieser Figur rückt denn auch zunehmend ins Zentrum des Films, dessen Titel sich auf ein Kindheitserlebnis von Walt bezieht. Seine unaufdringliche Wirkung gewinnt „Der Tintenfisch und der Wal“ indes gerade aus der Distanz, die Baumbach gegenüber allen seinen Figuren beibehält. Sie erlaubt einerseits Ironie, unterstreicht andererseits aber die zunehmende Vereinzelung der Beteiligten inmitten der familiären Turbulenzen. Dass Walt und Bernard öfter zu Wort kommen als Frank und Joan, hat vor allem zur Folge, dass ihre Schwächen deutlicher ins Auge fallen. Das gilt insbesondere für die Schamlosigkeit, mit der Bernard die Bewunderung Walts ausnutzt, um die schwindende Anerkennung der Öffentlichkeit und Joans zu kompensieren. In ihrem Narzissmus wirkt diese Figur denn auch ein Stück weit wie eine Karikatur. Aber eben nur ein Stück weit. Baumbach und sein Darsteller Jeff Daniels wecken nämlich auch für sie leise Sympathie: In einem seltenen Gefühlsausbruch hält Bernard seiner Ex-Frau vor, es sei „wahre Folter“ gewesen, dass sie in den letzten Ehejahren gezielt Spuren ihrer Liebschaften gestreut habe. Obwohl man ahnt, was Joan angesichts des aufgeblasenen Snobismus dieses Mannes zu erdulden hatte, gibt es plötzlich einen Grund, auch mit ihm ein bisschen Mitgefühl zu haben.
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