- | Italien/Frankreich/USA 2005 | 83 Minuten

Regie: Abel Ferrara

Ein fiktiver Jesus-Film verändert das Leben der Beteiligten: Während die Darstellerin der Maria Magdalena den Spuren ihrer Filmfigur folgt und nach Jerusalem reist, nutzen der Regisseur und ein Moderator einer religiösen Fernsehshow den Film als Plattform für ihre Karriere. Als der Moderator bei der Geburt seines Sohns mit Komplikationen konfrontiert wird, erkennt er, was Nächstenliebe bedeutet. Der kammerspielartige Film formuliert kein explizit religiöses Statement, setzt sich aber sehr ernsthaft mit existenziellen Fragen auseinander. Dabei schafft Abel Ferrara eine fast magische Atmosphäre, die auf einen Sinn hinter den Bildern verweist sowie auf das, was der Verstand nicht erfasst. (SIGNIS-Preis Venedig 2005) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
MARY
Produktionsland
Italien/Frankreich/USA
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Wild Bunch/Associated Film/Central Films/De Nigris Prod./Surreel
Regie
Abel Ferrara
Buch
Abel Ferrara · Mario Isabella · Simone Lageoles · Scott Pardo
Kamera
Stefano Falivene · Abel Ferrara
Musik
Francis Kuipers
Schnitt
Patrizio Marone · Fabio Nunziata · Adam Mcclelland · Langdon Page · Julia Ruell
Darsteller
Juliette Binoche (Marie Palesi/Maria Magdalena) · Forest Whitaker (Ted Younger) · Matthew Modine (Tony Childress/Jesus) · Heather Graham (Elizabeth Younger) · Marion Cotillard (Gretchen Mol)
Länge
83 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Galileo (16:9/Deutsch DD 5.1/Engl.)
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Diskussion
Nicht jeder, der einen Film über Jesus dreht, glaubt auch an ihn. Tony Childress etwa, der fiktive Jesus-Regisseur und Darsteller in Abel Ferraras „Mary“, inszeniert mit seinem Film „This is my blood“ einen kühl kalkulierten Skandal, indem er Maria Magdalena als bedeutenden Apostel interpretiert. Selbstgefällig wälzt sich Tony im Stuhl einer US-weit ausgestrahlten Fernsehsendung und spult auswendig gelernte Phrasen ab: Mit Jesus sei die gesamte Menschheit ans Kreuz geschlagen worden, du, ich, wir alle. Doch Moderator Theodore Younger hakt ernst und unerbittlich nach: „Tony, sind Sie schon einmal ans Kreuz geschlagen worden? Wissen Sie, wie sich das anfühlt?“ Da fehlen dem eloquenten Filmmenschen die Worte. Jene Momente des Schweigens erhebt „Mary“ zu Schaltstellen des Glaubens. Auf faszinierende Weise gelingt es Ferrara, das Unsichtbare, Unhörbare erahnen zu lassen, indem er es ins Off verlagert. Göttliches spiegelt sich in der Suche danach. Auf dem Pfad der Erkenntnis ebenso wie auf den Irrwegen der Scheinheiligkeit. Auskunft darüber, ob nun Ferrara wirklich an Jesus glaubt, vermag sein Film naturgemäß nicht zu geben. Er verdeutlicht aber, dass sich der Regisseur nachhaltig mit der Frage auseinandergesetzt hat, was es überhaupt bedeutet, zu „glauben“. Sein Film ist kein opulentes Bekenntniswerk. Stattdessen ringt das kammerspielartige, stahlgraue New-York-Drama seine irritierende, aufwühlende Wirkung dem Spannungsfeld zwischen (medialem) Schein und Sein ab. „Mary“ selbst erweist sich als kleines Kinowunder, weil er kein religiöses Statement formuliert, dem man sich anschließen, das man aber ebenso einfach auch ablehnen kann. „Ich wurde katholisch erzogen“, erinnert sich Ferrara, „und wenn man in dieser Religion aufwächst, lernt man nicht, selbstständig zu denken und die Evangelien zu hinterfragen. Wenn man sonntags zur Kirche geht, wird einem die Bibel vorgelesen. Man lernt nicht, über die Dinge nachzudenken.“ Gerade diese Arbeit aber nimmt der italo-amerikanische Regisseur seinen Zuschauern nicht ab. Filmrhetorisch versiert kreist er zentrale Aussagen ein, ohne sie endgültig zu formulieren. Diesen letzten Schritt überlässt er dem mitdenkenden, mitfühlenden Publikum. Die Auseinandersetzung mit dem spirituellen Erbe Jesu findet in „Mary“ sowohl auf der Verstandes- als auch der Gefühlsebene statt. Beide Ebenen ergänzen, widersprechen sich zum Teil aber auch. Rationale Wirklichkeit repräsentieren Medien. Bilder, die Wirklichkeit einfangen, sie gleichzeitig aber, fast unbemerkt, auf Distanz halten. Ähnlich wie das Schweigen markieren jene Momente, in denen sich die Protagonisten im Innersten in der sie umgebenden medialen Stellvertreterwirklichkeit wiederfinden, einen Aufbruch in die spirituelle Welt. Am geradlinigsten beschreitet Marie Palesi, die in „This is my Blood“ Maria Magdalena spielt, diesen Weg. Ihre Filmrolle lässt sie auch nach den Dreharbeiten nicht mehr los. Sie gibt ihre Karriere auf, reist nach Jerusalem und folgt den Spuren der historischen Maria Magdalena. Die männlichen Gegenentwürfe zu ihr verkörpern der geschäftstüchtige Regisseur Tony und der intellektuelle Fernsehmoderator Theodore. Beide nutzen die Jesus-Plattform als Vehikel, um ihre Laufbahnen voranzutreiben. In seiner Jesus-Show gibt sich Theodore tiefsinnig, einfühlsam, wenn er Theologen unterschiedlichster Glaubensrichtungen – Juden, Gnostikern, Katholiken – zuhört. Privat aber ordnet er die Bedürfnisse seiner hochschwangeren Frau dem Terminkalender des Fernsehsenders unter. Das ändert sich erst, als es bei der Geburt seines Kindes zu Komplikationen kommt. Plötzlich erhalten die abstrakten Nachrichtenbilder von Schießereien zwischen Israelis und Palästinensern, die einen Vater zeigen, der hilflos erleben muss, wie sein Sohn in seinen Armen stirbt, unmittelbare Bedeutung. Diese entsetzlichen Aufnahmen sind ebenso real wie die Theologen, die in Theodores Sendung auftreten, und die existenzielle Frage nach dem Guten im Menschen und im Glauben, die „Mary“ aufwirft. Die „Nächstenliebe“, auf die Theodore bei seiner Suche stößt, betont beide Wortbestandteile gleichermaßen. Es ist eine ganz fassbare Liebe, die für Theodore im Krankenhaus an der Seite seiner Frau und seines neugeborenen Sohns beginnt. Indem er sich zwischen den von Mary und Tony markierten Polen in Bewegung setzt, entwickelt sich Theodore zur zentralen Identifikationsfigur. Forest Whitaker greift die Steilvorlage des Drehbuchs mit einer intensiven, berührenden Darstellung dankbar auf. Matthew Modine und Juliette Binoche hingegen erfüllen die vom Script vorgeschriebenen Klischees, ohne zu brillieren. Das Geheimnis von Ferraras zwischen den Welten schwebendem Film beruht aber ohnehin nicht auf Schauspielkunst. Eher offenbart es sich in der träumerischen, fast magischen Atmosphäre, jenem seelischen Sinn, der das spüren lässt, was die Bilder nicht zeigen und der Verstand nicht erfasst. Als Theodore in der Kirche Gott anfleht, ihn selbst für seine Sünden zu bestrafen, aber seine Frau und sein Kind zu verschonen, hält er mit einem Mal inne. Gebannt schaut er auf das Kreuz. Doch die Kamera folgt seinem Blick nicht. Man sieht nur sein erstauntes Gesicht und hört ihn sagen: „Das wusste ich nicht!“ Was? Das muss am Ende jeder selbst begreifen.
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