- | Deutschland 2006 | 104 Minuten

Regie: Vanessa Jopp

Drei Geschichten um Menschen in Berlin, die schwierige Wege aus der Einsamkeit beschreiten, wobei sie aus Angst vor Verletzung lange Zeit auf Distanz bleiben. Ein elegant verschlungener Beziehungs- und Sehnsuchtsreigen, in dem die Charaktere gemeinsam mit den Schauspielern in Improvisationen, Beobachtungen und Proben erarbeitet wurden. Unaufdringlich und mit angenehmer Leichtigkeit inszeniert, verzichtet der Film auf jegliche Kunstfertigkeit und stellt Menschen, die vom Leben nicht verwöhnt wurden, neben solche, die mit Selbstdisziplin und Tunnelblick der zunehmenden Konkurrenz in der Berufswelt begegnen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
K5 Film/Cine+/RB/WDR/ARTE
Regie
Vanessa Jopp
Buch
Adrienne Bortoli · Stefan Schneider
Kamera
Rainer Klausmann
Musik
Loy Wesselburg
Schnitt
Brigitta Tauchner
Darsteller
Meret Becker (Mathilda) · Hinnerk Schönemann (Bronski) · Stefanie Stappenbeck (Ali) · Marek Harloff (David) · Heidrun Bartholomäus (Johanna)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
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Heimkino

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Es gibt diese Lebensphasen, in denen man überhaupt nicht auf die Füße zu kommen glaubt. In einer solchen scheint Mathilda zu stecken, Mitte 30, ohne feste Arbeit, einsam und wütend auf die ganze Welt. Meret Becker spielt sie ungeschminkt mit panischem Blick, geradezu blind für alle Zwischentöne von Fürsorglichkeit in ihrer Umgebung, dafür umso überempfindlicher gegenüber jedem Anflug von Aggression, die ihr im täglichen Überlebenskampf zwischen unterbezahlten Jobs in Imbissbuden und schnellem, unpersönlichen Sex widerfährt. Ausgerechnet ein schüchterner Polizist verspricht die Erlösung aus dem Teufelskreis von deprimierendem Alltag und Borderline-Störung, als er mit Mathilda während einer Verfolgung an einer Straßenecke zusammenstößt – eine kurze Begegnung, begleitet von wüsten Beschimpfungen, der eine zweite an ihrer Haustür folgt. Mit laut aufgedrehter Hardcore-Musik verschafft sich Mathilda in ihrer Einzimmer-Wohnung für kurze Momente Erleichterung und sucht geradezu mutwillig den Streit mit den Nachbarn. Irgendwann genießt sie die nächtlichen Besuche der Ordnungshüter als willkommene Abwechslung, auch wenn die Annäherung zwischen ihr und dem erste Anzeichen von Verliebtheit zeigenden Polizisten noch manchen emotionalen Umweg nehmen muss. Mathilda ist nicht die einzige, die sich in Vanessa Joops drittem Spielfilm (nach „Vergiss Amerika“, fd 34 546, und „Engel + Joe“, fd 35 112) ein wenig Nähe ersehnt. Die 34-jährige Regisseurin erzählt in ihrem großstädtischen Beziehungsreigen unaufdringlich und scheinbar beiläufig von der Not, Intimität zuzulassen und sie gegen den Druck der Routine am Leben zu erhalten. Sie verzichtet auf jegliche Kunstfertigkeit der Inszenierung, die Bilder geben sich halbdokumentarisch und unterbelichtet, eingetaucht in ausgewaschene Grau- und Grüntöne. Inmitten eines nasskalten Berlins beschwört die fiebrige DV-Kamera von Rainer Klausmann eine Art Röntgenbild der Gesellschaft, stellt Menschen, die vom Leben nicht verwöhnt wurden, neben solche, die mit Selbstdisziplin und Tunnelblick der zunehmenden Konkurrenz in der Berufswelt begegnen. Zu den Letzteren gehört Mathildas Schwester Ali, eine ambitionierte Landschaftsarchitektin, die in ihrer Rolle der Familienernährerin aufgeht und die sich anbahnende Ehekrise des mit der Kinderbetreuung unterforderten, narzisstisch gekränkten Gatten so lange ignoriert, bis dieser Trost in den Armen einer anderen sucht. Die zentrale Frauenfigur des dritten Erzählstrangs, eine allein erziehende Putzfrau, zeigt sich nicht minder begriffsstutzig, wenn es darum geht, hinter der widerspenstigen Fassade die Sehnsüchte ihrer heftig pubertierenden Tochter zu dechiffrieren. Nicht nur, dass die 16-Jährige mangels Konsequenzen vor keiner noch so verletzenden Verbalattacke zurückschreckt. Ihr Bedürfnis nach sexueller Selbstbestätigung geht so weit, dass sie mit der Mutter um die Gunst eines körperlich nicht gerade ansehnlichen Taxifahrers wirbt, einer Kontaktanzeigen-Bekanntschaft, der mit Vorliebe über die Demütigungen von Hartz IV palavert. In solchen Kleine-Leute-Partien begibt sich Joop auf flaches Terrain, betextet soziale Befindlichkeiten, statt sie aus entsprechenden Situationen heraus erwachsen zu lassen. Überhaupt fehlt ihr der Mut oder vielleicht schlicht die Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen. Diverse Echos durchziehen den Film, vom neudeutschen Sozialkino im Schlepptau des Erfolgs von Andreas Dresen bis zu den Einsamkeitsdramen der Berliner Schule. Wie schon viele andere vor ihr, flicht Joop lose eine Hand voll Einzelschicksale ineinander, hält ihre Darsteller an einer langen Improvisationsleine und verschränkt drei Geschichten zu einem depressiven Stimmungsbild. Das Ergebnis ist weder ein bezwingendes Drama noch eine die Affekte reinigende Tragikomödie, sondern ein erzählerisches Patchwork: ehrlich, aber nicht wirklich verstörend, kurzweilig, ohne zu hetzen, garniert mit derber Komik, ohne die Figuren zu denunzieren, aber auch ohne ihnen ein Geheimnis zu lassen. Dazu passt, dass trotz der Verpflichtung aufs Realitätsprinzip für die meisten dieser unfreiwilligen Einzelkämpfer ein Hoffnungsschimmer, wenn nicht gar ein glückliches Ende winkt, als reiche nur die Einsicht in die eigene Misere, um sie aus der Welt zu schaffen. Auch wenn die Milieus stimmig gezeichnet sind, viele psychologische Details schlüssig und das Personal eine einnehmende Unmittelbarkeit entfaltet, fehlt dem um die Zuneigung des Zuschauers allzu gefällig buhlenden Zeitbild jene emotionale Kraft, die sich aus waghalsigen Zuspitzungen, schmerzhafter Konsequenz oder einer erkennbaren Haltung speist. So gesehen, ist „Komm näher“ eine weitere respektable Studie der Isolation, die mit ihren frei gelegten Gefühlen aber nicht wirklich etwas anzufangen weiß.
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