Drama | Österreich/Deutschland 2005 | 105 Minuten

Regie: Benjamin Heisenberg

Der Verfassungsschutz tritt an einen Wissenschaftler mit dem Ansinnen heran, einen algerischen Kollegen zu "beobachten". Zunächst lehnt der junge Mann empört ab, willigt dann aber aus beruflichen wie privaten Gründen doch ein, ohne genau zu wissen, was er beobachten soll. Das Erstlingswerk nimmt die Anschläge vom 11. September 2001 zum Anlass, um das Bild einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft zu zeichnen, die ihre Mitglieder unter Generalverdacht stellt. Ein subtil entwickelter Film, der die Atmosphäre von Beklemmung und Paranoia spürbar macht und seine formalen Mittel kongenial in den Dienst dieser Erfahrbarmachung stellt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
juicy film/Coop 99/HFF7ZDF/arte
Regie
Benjamin Heisenberg
Buch
Benjamin Heisenberg
Kamera
Reinhold Vorschneider
Musik
Lorenz Dangel
Schnitt
Karina Ressler · Stefan Stabenow
Darsteller
Bastian Trost (Johannes Mehrveldt) · Mehdi Nebbou (Farid) · Loretta Pflaum (Beate) · Gundi Ellert (Frau Wasser) · Wolfgang Pregler (Prof. Behringer)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und des Hauptdarstellers Bastian Trost sowie den Kurzfilm des Regisseurs "Die Gelegenheit" (20 Min.) von 2004.

Verleih DVD
Filmgalerie451 (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Hinterher ist man immer schlauer! Das ist – zumindest aus der Sicht der Fahnder – die Logik des Schläfers. Doch in „Schläfer“ geht es vornehmlich um Prävention. Als der Mediziner Johannes Merveldt eine neue Stelle an der TU München antreten soll, wird er von einer Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes kontaktiert. Er soll an seinem neuen Arbeitsplatz den aus Algerien stammenden Kollegen Farid Madani „beobachten“ und Informationen liefern. Empört lehnt Johannes dieses Begehren ab; doch untergründig beginnt die Botschaft zu wirken. Die beiden Männer, ohnehin bei demselben Forschungsvorhaben beschäftigt, freunden sich an, verbringen ihre karge Freizeit miteinander und tauschen manchmal auch mehr als Unverbindlichkeiten. Doch immer wieder kommt es zu Momenten, in denen Johannes Zeuge rätselhafter Momente wird, die sein gerade erst entstehendes Bild von Farid verstören. Heikel wird die Situation aber erst, als sich die beiden Männer gleichzeitig in die Kellnerin Beate verlieben. Jetzt überlagern sich berufliche und emotionale Konkurrenz, wobei Johannes bei Beate zunächst ins Hintertreffen gerät. Frustriert, eifersüchtig und auch recht naiv lässt er sich nun auf eine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz ein. Zur Belohnung erhält auch er Informationen, die ihm helfen, sein Blatt im Spiel um Beates Zuneigung zu verbessern. Ansonsten bleibt die Figur des Johannes bemerkenswert konturlos: sie handelt offenbar nicht aus einem emphatischen Selbstverständnis als Staatsbürger heraus, sondern scheint eher indifferent durchs Leben zu driften. Dass der Verfassungsschutz den Kontakt sucht, scheint ihn denn auch zu etwas Besonderem zu machen. Johannes würde gerne die gewünschten Informationen liefern, aber er weiß eigentlich ebenso wenig wie der Verfassungsschutz, nach welchen Indizien zu suchen ist. Macht der Umstand, dass Farid bei Gesprächen mitunter erregt ins Arabische verfällt, ihn schon verdächtig? Dass er martialische Ego-Shooter-Spiele am Computer spielt? Dass sein Frauenbild etwas antiquiert erscheint? In seiner Hilflosigkeit fragt Johannes eines abends Farid ganz plump, ob er bete. Als der darauf ganz trocken antwortet, ob „das“ etwas ändere, wird Johannes schlagartig die Absurdität der Situation klar; konsequenterweise bricht er daraufhin seine Kontakte zum Verfassungsschutz ab. Wie stark die unterschiedlichen Interessen mittlerweile aber miteinander verwoben sind, zeigt sich, als Johannes einen Auftritt Farids bei einem Symposium nutzt, um sich heimlich mit Beate zu treffen. Fast scheint es, als seien durch die Infiltration des Verfassungsschutzes alle Beziehungen innerhalb des Films konspirativ verseucht. Farid spürt indessen, dass er ins Visier der Staatsschützer geraten ist und reagiert seinerseits überrascht und verunsichert. Als in der Stadt eine Bombe hoch geht, wird Farid auf nächtlich-leerer Straße überwältigt und verhaftet. Johannes könnte ihm für die Tatzeit ein Alibi geben, doch er schweigt. „Schläfer“, das Spielfilmdebüt von Benjamin Heisenberg, lief bereits 2005 auf dem Festival in Cannes und erhielt auch hierzulande erste Preise. Heisenberg, unter anderem Mitherausgeber des Filmmagazins „Revolver“, ist Teil dessen, was man in Frankreich als „nouvelle vague allemand“ bezeichnet und mit viel Vorschusslorbeeren bedacht hat. Insofern ist es spannend zu beobachten, wie das deutsche Publikum auf den Film und seinen verzögerten Einsatz in den Kinos reagiert. „Schläfer“ ist nicht nur ein klug beobachteter und subtiler Beitrag zur filmischen Bearbeitung der Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September, sondern er geht weit darüber hinaus, indem er sich gewissermaßen der Psychohistorie einer verunsicherten Gesellschaft von innen her nähert. Er beschreibt eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder unter Generalverdacht stellt und dementiert zugleich die gerne selbstgefällig formulierte Überzeugung, dass man für Denunziantentum nicht anfällig sei. Tatsächlich scheint die Aussicht, ein bißchen Macht über andere Menschen ausüben zu können, durchaus verlockend – und sei es nur, dass man gemeinsam mit dem Verfassungsschutz über mögliche Zukunftsaussichten der Liebesgeschichten Dritter sinnieren darf. Wie beim britischen Beitrag zum Thema – „Yasmin“ von Kenneth Glenaan (fd 37 076) – stellt sich die Situation, mit der eine scheinbar wehrhafte Gesellschaft sich konfrontiert sieht, als eine „Catch 22“-Situation dar. Die Verfassungsschutz-Mitarbeiter wissen nicht, wonach sie suchen, was konkret einen Schläfer als solchen ausweist, weshalb jede Äußerung, jede Haltung unter Verdacht gerät. Wie im Fall von „Yasmin“ kann man als Verdächtiger den Verdacht auch nicht entkräften, weil jede Äußerung, jede Handlung ein Fake sein könnte. In der Gestaltung der fundamentalen Fragen „Was sehen wir? Was wollen wir sehen? Wie konstruieren wir unsere Wirklichkeit?“ erinnert „Schläfer“ an die ähnlich gelagerten kafkaesken Filme „Der Dialog“ (fd 19 008) und „Blow up“ (fd 14 724). Dabei ist die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Terrorismus nur der Aufhänger, denn Heisenberg reflektiert nachdrücklich auf die moralische Dimension einer Hermeneutik des Sozialen, innerhalb derer eine unbesonnene „Konstruktion“ des Fremden fatale Folgen hat. Wenn Farid schließlich auf offener Straße abgegriffen wird, dann darf man dabei ruhig auch an die Gestapo oder die Stasi denken. Allerdings – und dies ist die besondere Qualität der Filme der „nouvelle vague allemand“ – ist „Schläfer“ kein oberflächlicher Thesenfilm. Die tangierten Themenkomplexe sind im Gegenteil derart weitreichend durchdacht, dass sich der Film auch formal, durch seine Montage, die Kameraeinstellungen, die Wahl unbekannter Darsteller und durch die Tonspur, auf der Höhe seiner Reflexion bewegt, und zwar durchaus auch einmal mit den Mitteln des Suspense. Dennoch sorgt der Film konsequent dafür, dass der Zuschauer zum Gezeigten auf Distanz gehalten wird. Er soll das Beobachten beobachten, die Beklemmung und die Paranoia spüren, sich aber nicht mit den Beobachtern identifizieren.
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