Namibia Crossings - Spirits & Limits

Dokumentarfilm | Schweiz/Deutschland 2004 | 91 Minuten

Regie: Peter Liechti

Eine aus zwölf Musikern bestehende Gruppe reist kreuz und quer durch Namibia, um im Austausch mit den Einheimischen zu den gemeinsamen Quellen der Musik vorzudringen. Auf der Reise werden die Band-Mitglieder jedoch mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten und der Wirklichkeit eines Landes konfrontiert, das die koloniale Vergangenheit noch längst nicht überwunden hat. Das beeindruckende Dokument eines gescheiterten Experiments, das auch durch bildgewaltige Arrangements überzeugt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NAMIBIA CROSSINGS
Produktionsland
Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Reck Filmprod./SF DRS/3sat/BR
Regie
Peter Liechti
Buch
Peter Liechti
Kamera
Peter Liechti · Peter Guyer
Musik
Hambana Sound Company and Friends
Schnitt
Loredana Cristelli
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassun u.a. eine separate CD mit Musik aus dem Film.

Verleih DVD
absolut (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl. & dt. & Arfikaans & Nama & Darama & San & Setswana)
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Diskussion
Straßen scheinen es dem Schweizer Dokumentarfilmer Peter Liechti angetan zu haben. Durchquerte er in „Hans im Glück“ (fd 36 998) dreimal zu Fuß die Ostschweiz, um sich das Rauchen abzugewöhnen und Geschichten am Wegrand aufzulesen, begibt er sich mit „Namibia Crossings“ nun auf eine weit beschwerlichere und längere Reise, deren Entfernung nicht nur in Kilometern auszurechnen ist. 2001 schloss sich Liechti der „Hambana Sound Company“ an, einer von dem Cellisten Bernhard Göttert gegründeten Musiktruppe, die sich das Ziel gesetzt hat, die universellen Wurzeln der Musik zu ergründen. Die zwölf Musiker und Sängerinnen, selbst schon ein Schmelztiegel unterschiedlicher musikalischer Traditionen aus Namibia, Angola, Zimbabwe, Russland und der Schweiz, fuhren einen Sommer lang kreuz und quer durch Namibia (ehemals Deutsch-Südwestafrika), um ihre Musik den Bewohnern der unterschiedlichsten Regionen nahe zu bringen und in einen Dialog mit deren Klangwelten zu treten. Ein Experiment, das dem Austausch dienen sollte, aber auch die Absicht verfolgte, die größtmögliche gemeinsame Schnittmenge zu eruieren. Zumindest beim ersten Zusammentreffen der Profimusiker lässt sich das Projekt gut an, auch wenn hier schon recht unterschiedliche Motivationen zum Tragen kommen. So beteiligen sich viele Afrikaner, um eine Zeit lang einen festen Job zu haben; die Schweizer sind der Inspiration wegen angereist, die russische Flötistin Polina, die es vor Jahren nach Afrika verschlug, will ein Zeichen gegen Rassismus setzen. In Epukiro, der zweiten Station der Reise, stoßen die Mitglieder der Company allerdings schon an Grenzen. Die „Sunshine Kids“, jugendliche Musiker einer Missionsschule, konzentrieren sich auf ihre eigene Musik und sind an Austausch und der Suche nach gemeinsamen Wurzeln nicht interessiert. Die Buschmänner in der Kalahari, die die ganze Nacht musizieren und dabei ganz langsam ihren Rhythmus steigern, faszinieren die Profis zwar, doch von einem Austausch kann auch hier kaum die Rede sein. Die Gospeltruppe in Lüderitz schließlich interessiert überhaupt nicht mehr, das Treffen ist eher ein Akt der Höflichkeit, während die Company in den schwarzen Townships ihrerseits wenig Gehör findet: die Jugendlichen tanzen lieber zu den Klänge einer Lover Band. Wenn ein Experiment dadurch gekennzeichnet ist, dass man seinen Ausgang nicht kennt und es gegebenenfalls auch scheitern kann, dann dokumentiert Liechtis Film dies auf der musikalischen Ebene voll und ganz. Doch die eigentliche Filmreise hat ein ganz anderes Ziel. Sie konfrontiert die Mitglieder der Company mit ihrer Unterschiedlichkeit, dokumentiert Unduldsamkeiten, kleine Streitereien und große Auseinandersetzungen, zeigt ein Land, das Kolonialismus und Apartheid gerade abgeschüttelt hat, dessen Bewohner aber zu 60 Prozent mit Aids infiziert sind. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Musik in „Nambia Crossings“ nur eine beigeordnete Rolle spielt; die Auftritte der Company und anderer Gruppen sind weder besonders aufregend fotografiert noch sonderlich rhythmisch geschnitten; musiziert wird meist nur am Rande, auch wenn man bei allen Beteiligten eine große Musikalität spürt. Liechtis Film konzentriert sich vielmehr auf die Eigendynamik der Truppe, die durch ein postkoloniales Land reist, dessen Wunden längst noch nicht vernarbt sind, und auf die Auseinandersetzung mit Menschen, die auch nach dem Ende der Apartheid im Elend leben und ihrerseits nicht gegen rassistische Gedanken gefeit sind, aber trotz Armut und drohender Krankheit eine unbändige Lebensfreude ausstrahlen. Nach solchen Zusammentreffen wendet sich die Kamera immer wieder der Weite des Landes zu, öffnet den Blick und zeigt endlose Straßen, Sand- und Schotterpisten sowie Überbleibsel der Kolonialzeit, die der Wüstensand wieder zurückerobert hat. So steht gegen Ende des Films nicht von ungefähr der Besuch von Kolmannskoppe, eines am Reißbrett entworfenen Städtchens, dessen Bewohner sich dem Schürfen von Diamanten verschrieben hatten. Im Jahre 2001 aber sind die Mitglieder der „Hambana Sound Company“ die einzigen Lebewesen in der Geisterstadt, was ihnen ihren ganz persönlichen Blues ins Gesicht treibt. Der kurze Moment kollektiver Betroffenheit am 11. September, als die Bandmitglieder die Anschläge auf das World Trade Center durch den Fernseher einer Kneipe erlebten, gehören der Vergangenheit an, jeder scheint hier mit sich und seinen Gedanken alleine zu sein. Wehmut und Abschied lasten auf den Gemütern, und auch das Wissen, dass man weniger erreicht hat, als man wollte. Das eigentliche Ziel der Reise wurde verfehlt, weil das scheinbar grenzenlose Land eine Vielzahl an Grenzen aufzeigte, wobei die „Crossings“ sich nicht nur als Kreuzungen, sondern auch als Übergänge und Scheideweg erwiesen haben.
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