Am seidenen Faden (2004)

- | Deutschland 2004 | 108 Minuten

Regie: Katarina Peters

Während eines Trips nach New York erleidet der Musiker Boris Baberkoff einen Hirnschlag, der ihn bei vollem Bewusstsein in seinen Körper einsperrt, ohne dass er mit der Außenwelt korrespondieren kann. Seine Frau, die Filmemacherin Katarina Peters, hält seinen Kampf ums Überleben mit der Kamera fest und macht daraus einen Film, der frei von Larmoyanz und Voyeurismus die körperliche wie seelische Belastung eines Ausnahmezustands nachzeichnet. Doch erst die Verbindung mit der traumnahen Ebene der Ängste, Wünsche und Sehnsüchte verwandelt das dokumentarische Protokoll einer Krise in das spannungsvolle Porträt einer herausgeforderten Liebesbeziehung. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Katarina Peters Filmprod./ZDF ("Das kleine Fernsehspiel")
Regie
Katarina Peters
Buch
Katarina Peters
Kamera
Katarina Peters · Christopher Rowe
Musik
Boris Baberkoff
Schnitt
Friederike Anders
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ein Liebesfilm. Die Filmemacherin Katarina Peters war gerade 40 geworden, als sie den acht Jahre jüngeren Musiker Boris Baberkoff traf, einen Draufgänger und Tausendsassa, der ihr Leben auf den Kopf stellte. Ihre Träume von einem leidenschaftlichen Leben duldeten keinen Aufschub; weder die Hochzeit noch der Entwurf einer inspirierenden Künstlerexistenz. Ende 1998 fuhr das junge Paar nach New York, um die Stadt zu erobern, einen Film über die Kunstszene zu drehen und vor allem, um glücklich zu sein. Doch wenige Tage vor dem Jahreswechsel bricht Boris urplötzlich zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Die Diagnose ist niederschmetternd: schwerer Hirnschlag, kaum Überlebenschancen. Um nicht ins Bodenlose zu stürzen, hält sich Katarina Peters an ihrer DV-Kamera fest. Die Nächte verbringt sie im Internet, um zu verstehen, was geschehen ist. „Locked-In-Syndrom“, Eingesperrtsein, nennen die Ärzte Boris’ Zustand: körperlich ins Koma gefallen zu sein, ohne das Ich-Bewusstsein verloren zu haben; nur das Stammhirn wurde von dem Infarkt betroffen, nicht das Großhirn. Eine Kommunikation mit der Außenwelt ist Boris verwehrt; nur das Blinzeln der Augen erlaubt minimalen Kontakt. „Irgendetwas fehlt“, sein jüngster Song, den er in New York vermarkten wollte, wird zum bitteren Kommentar der trostlosen Bilder aus der Intensivstation. Doch es ist gerade die Musik, die kleine Löcher in seinen Kerker sprengt und winzige neuronale Veränderungen provoziert, deren Fortschritt täglich beobachtet werden kann. Boris schlägt die Augen auf, beginnt seine Finger zu bewegen, später den Arm zu heben, dann unverständliche Laute zu glucksen, schließlich sogar zu lachen und – wenn auch unter Mühen – zu scherzen. Da die Behandlungskosten in astronomische Höhen schnellen, wird er nach Berlin verlegt, wo die Genesung weiter voranschreitet. „Es ist unglaublich, wie schön es ist, wenn man zurückkommt zum Leben“, kommentiert er den mühseligen Prozess, die Herrschaft über seinen Körper wieder zu erlangen, wobei die Kamera und hinter ihr die ausdauernde Präsenz seiner Frau eine eminente Rolle spielen, aber auch Eltern und Freunde – sowie die extreme Disziplin des Musikers, der es von Kindheit an gewohnt hat, sich stundenlangen Übungen zu unterwerfen. Zwar werden die gesundheitlichen Fortschritte bald kleiner, doch Boris (und in gewisser Weise auch der Film) ist davon überzeugt, dass der Geist, der Wille und die Energie eines Menschen in der Lage sind, auch materielle Prozesse nachhaltig zu beeinflussen. Trotzdem ist „Am seidenen Faden“ nicht in erster Linie ein Mutmacher-Film, der zeigt, wie man erfolgreich gegen einen schweren Schicksalsschlag ankämpfen kann; er will auch nicht primär die Geschichte eines medizinischen Wunders nacherzählen. Vielmehr geht die emphatische Perspektive einer neuen Beziehung, mit der Peters ihren Film beginnt, auch in der extremen Zuspitzung der Erkrankung nicht völlig verloren, wenngleich sie hier nur noch in Traum- und Kunstbildern angedeutet wird, in denen die Filmemacherin auch um ihren Eigenstand ringt. Denn obwohl ihr Off-Kommentar die Aufnahmen eindeutig autobiografisch grundiert, verschiebt sich der Erzählfokus in dem Maße auf das Schicksal des Erkrankten, wie Peters ihre eigenen Bedürfnisse zurücknehmen muss, um Platz für Boris zu machen. Als der nach einem halben Jahr entlassen wird, kann er zwar notdürftig wieder laufen und entdeckt sogleich ihren Computer als neues musikalisches Universal-Instrument, doch nun taumelt die Filmemacherin am Rande des Zusammenbruchs. Sie, die „immer gutgelaunte Managerin der Gefühle“, empfindet sich zunehmend selbst als „looked-in“, abgeschnitten von der Außenwelt, auf die Rolle einer Pflegerin reduziert. Neben Existenzängste und Beziehungsstress tritt das Gefühl, zum Außenseiter geworden zu sein; die „Traumbilder“ nehmen bedrängende Formen an. Als Boris immer öfters in unkontrollierbare Lachkrämpfe ausbricht, deutet sich an, was ein Gehirnforscher lapidar diagnostiziert: dass die Hauptblockade keine physische Ursache mehr hat. Eine Krise, die zur vorübergehenden Trennung des Paares führt. Fünf Jahre später aber haben beide gemeinsam den Film vollendet. „Schämen gibt es gar nicht, es ist sowieso alles nackt“, heißt es einmal über das intime Dreiecksverhältnis zwischen den Liebenden und der Kamera. Gleichwohl ist der Film weder voyeuristisch noch larmoyant, sondern ganz im Gegenteil das geschickt strukturierte Dokument des Überlebenskampfes eines Künstlerpaares, das wie die meisten Dokumentarfilme in der ersten Person aus der Not geboren, aber durch die Kelter der filmischen Genese gegangen ist. Die Unmittelbarkeit des Materials, die extreme Nähe zu den Protagonisten, alle „ungeschminkten“ Aufnahmen verbürgen ein hohes Maß an Authentizität, das jedoch erst durch die diskontinuierliche „Kunstebene“ der inszenierten, auf 35mm aufgenommenen Sequenzen in ein spannungsvolles Verhältnis gesetzt wird. „Am seidenen Faden“ wird erst dadurch zum persönlichen Film, dass er die (professionelle) „Home Video“-Perspektive aufbricht und im ästhetisch-weltanschaulichen Referenzsystem der Filmemacherin reflektiert. Das erklärt, relativiert und „adelt“ auch die eigenwillige Reihung der Szenen und die mitunter vielleicht etwas gewöhnungsbedürftigen Traum-Tableaus, in denen Schock, Erschöpfung und der existenzielle Ernst der Situation noch immer nachklingen.
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