Dokumentarfilm über Aufstieg, Wirken und Niedergang der New Yorker Rockgruppe "The Ramones", die 1974 den Punk erfand und mehr als zwei Jahrzehnte im Geschäft blieb, ohne finanziell je richtig erfolgreich zu sein. Der konventionell erzählte Film verknüpft altes Archivmaterial mit aktuellen Interviews noch lebender Bandmitglieder oder Kollegen. Interessant wird er als (pop-)kulturelles Dokument, das nicht nur Einblicke in gruppendynamische Prozesse gewährt, sondern auch als Soziogramm einer Szene gelesen werden kann und Einblicke ins Rockgeschäft erlaubt.
- Ab 14.
The Ramones - End of the Century
Musikfilm | USA 2003 | 110 Minuten
Regie: Jim Fields
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Filmdaten
- Originaltitel
- END OF THE CENTURY | END OF THE CENTURY: THE STORY OF THE RAMONES
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Chinagraph/Gugat Films
- Regie
- Jim Fields · Michael Gramaglia
- Buch
- Jim Fields · Michael Gramaglia
- Kamera
- David Bowles · Jim Fields · John Gramaglia · Michael Gramaglia · Peter Hawkins
- Musik
- The Ramones
- Schnitt
- Jim Fields · Michael Gramaglia
- Länge
- 110 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Musikfilm | Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
1974 hing der Segen im Rock-Himmel bedenklich schief: Die Beatles hatten sich (gottlob) längst aufgelöst, viel versprechende Supergruppen (Blind Faith) waren nicht über ihre erste Studio-LP hinaus gekommen, legendäre Stars der Szene (Jimi Hendrix, Jim Morrison) hatten das Zeitliche gesegnet, ehemalige Hard-Rocker verhalfen sanften Balladen zu einer Renaissance oder versuchten sich in opernartigen Formen (The Who), andere Gruppen entdeckten ausufernde Soli und quälten damit mitunter ihre Zuhörer. Just zu diesem Zeitpunkt tat sich vier Burschen aus dem New Yorker Stadtteil Queens zusammen, nannten sich Ramones und brachten die Rockmusik dahin zurück, wo sie eigentlich hingehört – auf die Straße. Mit ihrer unprofessionellen Musik, laut, aggressiv, heftig und schrill, zunächst in der heruntergekommenen Trinker-Bar CBGB zelebriert, machen sie Szene-Größen wie Warhol, Malcolm MacLaren oder den Musikproduzenten Danny Fields auf sich aufmerksam - und kreieren eine Stilrichtung, die wenig später als Punk auf verschlungenen Wegen erfolgreich wird. Während andere Bands unter diesem Banner das große Geld einstreichen, gehen die Ramones weitgehend leer aus. Ihre Musik ist zwar Punk pur, doch ihr Look, ihre Frisur und Kleidung orientierten sich eher an Jim Morrison, ohne freilich dessen sexuell aufgeladene Ausstrahlung zu erreichen. Was als originärer Punk-Look bekannt wurde, prägten in der Folgezeit ganz andere Bands.
Den lustvollen Leidensweg der Ramones, die immerhin 22 Jahre lang Musikgeschichte schrieben, haben Michael Gramaglia und Jim Fields, beide bekennende Fans der Truppe, dokumentarisch nachgezeichnet. Die Ramones präsentierten sich stets als Vier-Mann-Formation, auch wenn die Besetzung ständig wechselte. Zunächst traten John, Dee Dee, Tommy und Joey Ramone auf, später wurden ausscheidende Mitglieder durch Marky, Ritchie, Elvis oder C.J. Ramone ersetzt – die vielleicht Brüder im Geiste, aber über all die Jahre hin längst nicht brüderlich geeint waren. Die ziemlich konventionelle Machart des Films, eine Montage aus Archivmaterial und halbwegs aktuellen Interview-Szenen, vermag zwar keineswegs zu begeistern, doch enthüllt die Dokumentation nicht nur ein Stück Rock-Geschichte, sondern liefert auch Einblicke in einen im wahrsten Wortsinn gruppendynamischen Prozess, der mitunter den Atem stocken lässt.
Die Ramones outen sich als ein bunt zusammen gewürfelter Haufen von Musikern, die nie am gleichen Strang ziehen. Rasch wird deutlich, dass sich die finanziell nicht sonderlich erfolgreichen Musiker in Grabenkämpfe verstricken, in deren Verlauf die Einzelnen ihre Stellung innerhalb der Gruppe zu festigen versuchen, in denen immer wieder darum gefochten wird, wer die Ramones nach außen hin vertreten darf, wer Statements abgeben darf, die Musikrichtung bestimmt oder für die Finanzen zuständig ist. Während die Jungs aus Queens nie einen Hit landeten, stiegen die Trittbrettfahrer in Sachen Punk, in England u.a. Sex Pistols und Stranglers, in den USA Blondie, schnell auf. Das Marketing-Dilemma offenbart sich vollends, als der Erfolgsproduzent Phil Spector die Ramones unter seine Fittiche nimmt und die recht eingängige LP „End of the Century“ produziert, die den musikalischen Bruch innerhalb der Gruppe festschreibt. Während Gitarrist John die Weiterentwicklung befürwortete, da die Ramones nun endlich mal finanziell auf der richtigen Seite stünden, lehnte Sänger Joey diesen Schritt kategorisch ab. Der Konflikt zwischen den beiden Gründungsmitgliedern, die als einzige der Gruppe bis zum Ende treu bleiben, verschärft sich, als John Anfang der 1990er-Jahre Joey die Frau ausspannt. Seither reden beide kein Wort miteinander, spielten aber bis zur Auflösung der Truppe 1996 weiter mit- und nebeneinander.
„End of the Century“ ist ein mehrdeutiger Titel, da der Film sich nicht nur mit dem Aufstieg und dem Ende einer Rockgruppe auseinander setzt, sondern zugleich auch das Ende eines Traums symbolisiert, der 1974 in Queens entstand wurde und 1996 im Katzenjammer endete. Der klug montierte Film, der durch die verschiedenen Materialien (Standfotots, Video, Super-8-Film, Werbeclips etc.) eine große optische Vielfalt erhält, beginnt 2002, als die überlebenden Mitglieder der Gruppe in die Hall of Fame aufgenommen werden, doch er erzählt viel mehr als die Geschichte der Ramones: Er verdichtet sich zum Blick auf eine (Sub-)Kultur, in der alles möglich schien, und die glaubte, sich von allen gesellschaftlichen Zwängen emanzipiert zu haben – nur um einsehen zu müssen, dass diese Illusion nicht sehr weit trug.
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