H.G. Wells’ Zukunftsroman „Krieg der Welten“ gehört seit seinem Erscheinen im Jahr 1898 zu den bahnbrechenden Werken der Kulturgeschichte. Erstmals wurde hier die Invasion einer außerirdischen Macht auf die Erde beschrieben – das Buch ist der Prototyp all jener unzähligen folgenden Werke, die dieses Motiv variieren. Dabei ist Wells’ Perspektive eine sozialphilosophische: Ihn interessieren vor allem die Folgen des Geschehens für die Menschheit. Wie im Labor untersucht er, wie sich Menschen in einer grundlegend veränderten Situation verhalten. Was mag wohl Steven Spielberg an diesem Stoff gereizt haben? Ausgerechnet jenen Regisseur, der mit „Unheimliche Begegnung der dritten Art“
(fd 20 719) und „E.T. – Der Außerirdische“
(fd 23 743) zwei rare Beispiele jenes Genres schuf, die die Begegnung mit anderen Lebensformen nicht negativ erzählen, sondern ihr Geheimnis und Poesie lassen, sogar Menschlichkeit abgewinnen? Besonders „E.T.“ schildert den Alien als niedliches Wesen, die Begegnung mit ihm als ungefährlich. Darum wurde der Film immer wieder auch als Ausdruck des politisch Unbewussten seiner Macher gedeutet sowie ihrer Absicht, das im Mainstream-Kino oft verfemte Fremde als positiv und interessant zu zeigen, für Offenheit und Toleranz zu plädieren. Beide Filme haben, trotz der für Spielberg üblichen, stilistisch wie politisch restaurativen Züge, wesentlich zu dessen Ruf als einem der wenigen echten Liberalen Hollywoods beigetragen.
Will man „Krieg der Welten“ in seinen Subtexten ernst nehmen, könnte sich dies nun ändern: Diesmal nämlich sind die Aliens kompromisslos böse und mörderisch. Mit Raumschiffen und allerlei technischem Gerät kommen sie auf die Erde; ohne zu argumentieren und zu verhandeln oder sich auch nur zu erklären, legen sie ganze Städte in Schutt und Asche, ballern auf alles, das sich bewegt, töten die Menschen oder nehmen sie gefangen, um ihnen ihr Blut auszusaugen – wie riesige Insekten sind sie mit einem überdimensionalen Saugrüssel ausgestattet. Es scheint kein Mittel gegen sie zu geben. Ungehemmt durch Gegenwehr führen sie ihren Vernichtungskrieg, ihr Ziel ist – eine gewiss bewusst gewählte sprachliche Analogie zur Erfahrung des Faschismus – „die Auslöschung“. Vor ihr flieht eine amerikanische Familie – stellvertretend für „uns alle“. Der Film ist eine Mischung aus Horror- und Katastrophenfilm, angereichert mit den üblichen Zutaten fast aller Filme Spielbergs: Ein Auto als Druck- und Schutzkammer. Ein kleines süßes Kind, auf den ersten Blick naiv und naseweis, dann hinter aller Unschuld doch intelligenter als die Erwachsenen. Ein Vater, der eine fragmentierte, auseinanderdriftende Familie wieder zusammenkitten und damit auch sich selbst therapieren will. Ein Mann, der, objektiv betrachtet, rettungslos gescheitert ist – Opfer von Wirtschaft, Krieg oder welcher Modernisierung auch immer – der dann aber durch die besondere Herausforderung unvermutete Kräfte entwickelt. Kino als moralische Anstalt, die die wahren Werte freilegt, das, „was wirklich zählt“, Kino als öffentliche Schaubühne des „American Dream“ und der „Family Values“. Jeder kann es schaffen, wenn er nur will, aber er muss es bitteschön auch im Hinblick auf gute Ziele wollen.
Trauma und Vergebung, Therapie durch Praxis und Identitätsfindung im Gemeinsinn – genau diese Geschichte findet Spielberg in Wells’ Roman, den er scheinbar ohne große Brüche in die Wirklichkeit des zeitgenössischen Amerika verpflanzt. Es ist ein Amerika, in dem die Katastrophe, die folgen wird, von Anfang an präsent ist. Weniger als Schatten vergangener Ereignisse – „des 11. September“ zum Beispiel – als eine geheime Hoffnung. Katastrophen, wer wüsste das besser als das Gegenwartskino, sind immer auch ein Sehnsuchtshorizont. Sie öffnen die Chance auf Verbesserung, zumindest auf Veränderung, versprechen den Neuanfang aller Dinge. Wer sich klammheimlich schuldig fühlt, braucht die Katastrophe oder ihre Simulation, um sich von der Schuld zu befreien. So geht es zumindest Ray, dem von Tom Cruise gespielten Helden des Films. Weil „Krieg der Welten“ anfangs zunächst einmal dem üblichen Muster des Katastrophen-Genres folgt, stellt er Ray gemeinsam mit einigen anderen x-beliebigen Menschen in ihrem alltäglichen Lebenszusammenhang vor, in der öden Normalität eines schmuddeligen Amerika, das seine privaten Träume längst begraben hat. Spielberg filmt diese frühen Abschnitte als Rückkehr zu seinen Anfängen als Regisseur: sozialrealistisch, dunkel und schmutzig, voller Anklänge an den Stil des „New Hollywood“ der 1970er-Jahre, aber mit grobkörniger Digitalkamera. Mit der Ankunft der Aliens wird dann alles zum Horrorfilm. Die Szenerie wird „kleiner“, intimer, auch klaustrophobischer. Ray und seine Kinder fliehen im Auto über Stadt, Land und Fluss gen Boston. Diese Reise ist auch wieder überdeutlich als eine psychologische gezeichnet. Parallel zur Bedrohung durch die Aliens wachsen Rays Verständnis für seine Kinder, sein Verantwortungsbewusstsein und sein Mut. Auf ihrer Reise begegnen sie Fragmenten des restlichen Amerika: Wohnungen und Geräten, die oft Kulissen bekannter Filme gleichen, Menschen, die von einem großen unwiederbringlichen Verlust geprägt sind – in kaum einem anderen Film Spielbergs ist die Trauer um ein verlorenes, eigentlich schon verschwundenes Amerika so dominant.
Dabei macht sich Spielberg in Bezug auf die Gesellschaft (in Bezug auf die Familie sehr wohl) keine Illusionen. Wells’ Roman beschreibt das Zusammenbrechen der Zivilisation durch eine Erfahrung, der sie nicht gewachsen ist. Die Frage nach dem Verhalten der Menschen in der Krise beantwortet auch Spielberg überaus pessimistisch. Sogar Ray entgeht der Ursünde nicht – ihm scheint sie der Filmemacher aber als einzigem zu verzeihen –, weil offenbar der Schutz der eigenen Brut jede Moralüberschreitung rechtfertigt, wenn die Menschheit längst in den Naturzustand zurückgefallen ist. Auch Spielberg führt den Zusammenbruch des Sozialen im Chaos vor und kleidet dies in stellenweise sehr eindrucksvolle Bilder von geradezu apokalyptischem Ausmaß: ein brennender Zug in rasender Fahrt, ein abgestürztes, merkwürdig intaktes Flugzeug. In den besten Momenten erinnert auch das wieder an die 1970er-Jahre, als Body Snatcher und Zombies die amerikanische Provinz heimsuchten und ihre wahre Natur bloßstellten. Im Gegensatz zu diesen Filmen lässt sich Spielberg seinen Glauben ans Gute nicht nehmen – spätestens darin wird er wieder zum Regisseur der Industrie und der Gegenwart. Auch das Ende des lange Zeit düsteren, disparaten, stellenweise fesselnden, dann wieder über lange Strecken langweiligen Films ist, wie die ganzen zwei Stunden zuvor, mit Verweisen auf Spielbergs frühere Filme gespickt. Die Aliens verschwinden, wie sie gekommen sind, sie sterben, weil sie zwar den Menschen, aber nicht den Bakterien und Parasiten gewachsen sind, die ihnen auf der Erde begegnen. Als ökologische Botschaft sollte man dieses Happy End freilich nicht missverstehen.