Das Leben ist ein Wunder

- | Jugoslawien/Frankreich 2004 | 154 Minuten

Regie: Emir Kusturica

Auch wenn die jugoslawischen Teilstaaten 1992 ihre Unabhängigkeit erklären, glaubt ein serbischer Ingenieur weiterhin an die Völkerfreundschaft und verliebt sich während des ausbrechenden Krieges in eine muslimische Gefangene. Die Dorfkomödie mit burlesken Tönen verwandelt sich nach und nach in eine bittere Tragödie, die trotz der Traumata des Bürgerkriegs nicht aufhört, das Leben in seiner skurrilen Buntheit zu feiern. Dabei kann der Film seinen Anspruch nur bedingt einlösen, weil er zu sehr einer Zustandsbeschreibung verhaftet bleibt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ZIVOT JE CUDO
Produktionsland
Jugoslawien/Frankreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Les Films Alain Sarde/Cabiria Films/France 2 Cinéma
Regie
Emir Kusturica
Buch
Ranko Bozic · Emir Kusturica
Kamera
Michel Amathieu
Musik
Emir Kusturica · Dejan Sparavalo
Schnitt
Svetolik Mica Zajc
Darsteller
Slavko Stimac (Luka) · Natasa Solak (Sabaha) · Vesna Trivalic (Jadranka) · Vuk Kostić (Milos) · Aleksandar Berček (Veljo)
Länge
154 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Eurovideo (16:9, 1.85:1, DD5.1 serb./dt.)
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Diskussion
Ein Film von Emir Kusturica ist wie eine Reise in eine Gegend, in der man schon oft zu Besuch war. Die hügelige Landschaft Serbiens und Bosniens kommt jedem, der die früheren Filme des bosnischen Regisseurs kennt, bekannt vor, und mit ihr die versprengten Holzhäuser, die selten zu Dörfern zusammengeschlossen sind, außerdem die Tiere jeglicher Größe, die ständig und unerwartet überall auftauchen, und natürlich die menschlichen Bewohner. Da sind die Uniformierten, die entweder aus nostalgischen Gründen in Partisanenuniformen herumlaufen oder tatsächlich irgendein Amt ausüben, manchmal aber auch nur Mitglieder einer Blaskapelle sind; und dort die Nichtuniformierten, deren Zuordnung zum ländlichen Gefüge ebenfalls meist so deutlich zutage tritt, als trügen sie Schilder um den Hals. Als sei er es dieser Tradition schuldig, bedient der Regisseur in jedem neuen Film diese Bilder und Stereotypen, und das desto mehr, je länger seine Karriere dauert. „Schwarze Katze, weißer Kater“ (fd 33 507) war voll davon, und selbst die umstrittene Kriegsparabel „Underground“ (fd 31 644) machte da keine Ausnahme. Einen vorläufigen Höhepunkt von Kusturicas Schwerpunktverlagerung auf die Wildheit des Lebens, auf Skurrilität und Buntheit, stellt „Das Leben ist ein Wunder“ dar, dessen Titel den Inhalt auf den Punkt bringt. Dabei wirkt das Leben, wie Kusturica es darstellt, eher wie ein zweischneidiges Schwert. Es wird gefeiert, gegessen, getrunken, getanzt und gehurt, was das Zeug hält, aber die Grenzen zu Bosheit und Gewalt sind fließend. Der Überschwang der Gefühle, das ungebändigte Maß an Energie scheint Kusturica auch als eine Erklärung dafür zu dienen, wie aus Zwistigkeiten zwischen Brüdern und Nachbarn des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien ein äußerst brutaler Bürgerkrieg entstehen konnte. Die Handlung spielt im Jahr 1992, nachdem sich die jugoslawischen Teilstaaten für unabhängig erklärt haben. Niemand in der Gegend außer Luka scheint sich darum groß zu scheren; nur der Schienenbauingenieur, der unbedingt eine 19 Kilometer kurze Eisenbahnstrecke zwischen Bosnien und Serbien fertig stellen will, nimmt die veränderten Zeitläufte überhaupt zu Kenntnis. Das symbolträchtige Bauwerk wird von allen anderen Figuren belächelt, vor allem von Lukas Frau, einer ausgemusterten Opernsängerin. Dass jenseits der Hügel erste Schüsse fallen, will Luka nicht wahrhaben. Ist sein Traum von der Völkerfreundschaft also nur Verblendung? Auch der Film lässt den aufkeimenden Krieg zunächst als Abstraktum erscheinen, als Behauptung einiger dumpfer Militärs, vor deren Hintergrund es sich doppelt so gut feiern lässt: der Tanz auf dem Vulkan. So lässt sich Kusturica rund die Hälfte des Films Zeit mit einer Exposition, die vor allem das dörfliche Gerangel um die Gleise zeigt, die Selbstmordabsichten eines liebeskranken Esels thematisiert oder die Suche von Lukas Frau nach Trost bei einem Blasmusiker. Sowie ein Fußballspiel, das in Gewalt ausartet und offenbar wiederum als Metapher herhält für das Überschwappen der Volksseele. Von da an ist alles anders im Film und in Kusturicas Bosnien. Lukas gerade erst volljähriger Sohn Milos wird eingezogen, seine Frau verlässt ihn, und der Artilleriedonner rückt näher. Als Milos keine Nachrichten mehr nach Hause schickt, wird Luka aktiv und macht sich auf den Weg zu dessen Vorgesetzten. Wie es scheint, ist der Sohn in Gefangenschaft geraten. In dieser Lage wird Luka mit der Aufgabe betraut, seinerseits eine serbische Gefangene zu bewachen: eine hübsche Muslimin namens Sabaha. Die beiden verlieben sich ineinander, und inmitten des Krieges entwickelt sich eine Romanze, deren Bezug zu Shakespeare mehr als einmal betont wird. Dann aber soll ausgerechnet Romeos Julia gegen dessen Sohn getauscht werden. Gleichzeitig wird aus der wilden Burleske, der grotesken Dorfkomödie, eine bittere Tragödie, wobei beide Genres bei Kusturica immer schon Hand in Hand gingen. Die Massiertheit, mit der Kusturica sein Publikum mit dem Bild seiner Heimat als Land der Exzesse konfrontiert, ist bemerkenswert. Es geht dem 50-jährigen Regisseur sicher nicht allein um das Zelebrieren des Lebens, das sich im Titel des Films niederschlägt. Dem ausufernden Treiben ist neben der Gewalt immer auch eine Ich-Bezogenheit anzumerken, die gerne auf Kosten anderer ausgelebt wird; dies ist fast jeder dieser Szenen abzulesen. Ist Kusturica also ein Moralist? Nach „Underground“ ist er als serbischer Nationalist missverstanden worden. Dabei stellt er sich im Gegenteil immer auf die Seite derjenigen, die im Namen von Nationalismus und sonstiger hochtrabender Ideen zu den Opfern zählen. So war es schon in seinem Debütfilm „Papa ist auf Dienstreise“ (fd 25 285), der scharf die kommunistische Meinungsherrschaft anprangerte. Und „Time of the Gypsies“ (fd 29 069) war ein liebevolles, dabei keineswegs beschönigendes Porträt der Zigeuner im Land. Kusturica versucht vielmehr, den Untiefen der Mentalitäten seiner Landsleute auf den Grund zu gehen. Nur so ist zu erklären, dass er sich, ein Jahrzehnt nach dem Ende des Bürgerkriegs, erneut mit diesem Trauma beschäftigt, und dass die Liebesgeschichte des Films vor diesem Hintergrund eher zweitrangig wirkt. Daran zeigt sich aber auch, dass sich Kusturica immer mehr in Zustandsbeschreibungen verliert, in impressionistischen Tableaus, und darüber den Wunsch des Publikums nach einer fesselnden Geschichte verdrängt.
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