Drama | Israel 2004 | 110 Minuten

Regie: Tawfik Abu Wael

Eine fünfköpfige palästinensische Familie lebt abgeschieden außerhalb eines nahe gelegenen Dorfes. Vor elf Jahren haben sie sich von der Gemeinschaft zurückgezogen, weil eine ihrer Töchter eine Liebschaft begann. Inzwischen beharrt allerdings nur noch der strenge Vater darauf, weiter in der Ödnis zu bleiben, während die anderen Familienmitglieder sich zunehmend auflehnen. Kunstvoll-poetisches Drama über die Folgen eines archaischen Ehrbegriffs, mit wenigen Worten in sorgfältig komponierten Breitwandbildern erzählt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ATASH
Produktionsland
Israel
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Ness Comm. & Prod.
Regie
Tawfik Abu Wael
Buch
Tawfik Abu Wael
Kamera
Asaf Sudri
Musik
Wisam M. Gibran
Schnitt
Galit Shaked-Shaul
Darsteller
Roba Blal (Gamila) · Hussein Yassin Mahajne (Abu Shukri) · Amal Bweerat (Um Shukri) · Jamila Abu Hussein (Halima) · Ahmad Abed el Gani (Shukri)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
absolut (FF, DD2.0 arab.)
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Diskussion
Mitten in der Einöde stehen ein paar heruntergekommene Betonhäuser: ein Rückzugsort, mehr nicht, für eine fünfköpfige Familie - dies allerdings schon seit elf Jahren. Das Dorf ist zum Greifen nahe, was sich zeigt, als der Vater, das unbestrittene Familienoberhaupt, sich endlich entschließt, eine – wenngleich illegale – Wasserleitung zu legen: Nur ein Hügel ist dafür zu überwinden. Dem Leben in der Gemeinschaft trauern alle Familienmitglieder nach, wahrscheinlich auch der Vater, der als Einziger darauf beharrt, abseits zu bleiben. Scham hat sie hierher getrieben, und Sturheit hält sie nun gefangen. Eine der Töchter hatte einst offenbar einen Liebhaber, doch das allein kann nicht der Grund für das bizarre Eremitentum sein, das sich mühsam durch die Herstellung und den Verkauf von Kohle am Leben erhält. Für die Ehefrau und die drei erwachsenen Kinder stellt sich alsbald die Schicksalsfrage, ob man hier den Rest des Lebens verbringen oder etwas ändern will. Ein palästinensischer Film ohne Checkpoints, feindliche Israelis oder sonstige Anspielungen auf die vertrackte politische Situation im Nahen Osten – dieses Kunststück gelingt dem Regisseur Tawfik Abu Wael als erstem seiner Generation. Dem jungen Palästinenser mit israelischem Pass entgingen aus diesem Grund zwar europäische Fördergelder, doch dafür standen ihm israelische Mittel aus verschiedenen Quellen zur Verfügung. Ein positives Politikum, dem man diesen Umstand nicht anmerkt. Denn „Atash“ ist vor allem eine kunstvoll inszenierte Tragödie, die sich aus orientalischer Tradition ebenso speist wie aus europäischem Autorenkino. Der Film zeigt einen Ort im Abseits, im absoluten Stillstand, den Abu Wael mit seiner Kamera in Bewegung versetzt, sobald die Charaktere die Starre zu durchbrechen versuchen: erst verhalten, mit kleinen Bemerkungen, später mit Ungehorsam dem Vater gegenüber. Manchmal scheint die Kamera zwischen den sich aufbäumenden Temperamenten hin und her zu schweben, wobei die CinemaScope-Bilder immer auch den Schauplatz berücksichtigen, der ebenso grandios wie menschenfeindlich ist, und die Tageszeiten mit ihren sich radikal ändernden Lichtverhältnissen und Stimmungen. Ein ständiges gegenseitiges Belauern liegt in der Luft, da niemand weiß, wie weit er vor den Augen der anderen gehen kann. Mit dieser Spannung spielen sowohl die Komposition der Bilder als auch die Choreografie der Figuren permanent. Aus deren Gesten und Handlungen spricht eine große, mühsam versteckte Lebenslust: die verstoßene Tochter etwa, die ständig in einem Gedichtband liest, der Sohn, der lernen und in die Schule gehen will – aber auch der Vater, der sich heimlich in seine Erinnerungen zurück zieht. Noch in der dramatischen Eskalation behält Abu Wael sein maßvolles Tempo bei, das oft nur durch geschickte Auslassungen und den Einsatz minimaler Musik beschleunigt wird. Abu Wael will dabei das Drama nicht bloß illustrieren, sondern das Versteckspiel der Figuren sichtbar machen. Der Regisseur nennt Bertolucci, Bergman und Tarkowskij als Vorbilder, deren Poesie sein Film anstrebe. Antonioni könnte man noch hinzufügen, und dennoch wirkt sein Film nicht wie für Europäer gemacht. Es sind vor allem seine Landleute mit ihren oft noch archaischen Wertmaßstäben, denen er mittels der ebenso sanften wie eindringlichen Inszenierung einen poetischen Spiegel vorhält.
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