Drama | Ungarn/Deutschland 2004 | 94 Minuten

Regie: Mari Cantu

Ungarn 1956: In das Familienidyll eines hochrangigen ungarischen Parteifunktionärs, der mit Frau, zwei Kindern und einer Haushälterin in einer Villa oberhalb Budapests wohnt, brechen die Vorboten des von den Russen niedergeschlagenen Aufstands ein. Aus der Sicht der beiden Kinder erzählte, sensibel austarierte Mischung aus autobiografisch gefärbter Erinnerung und Politparabel, die vor allem durch das großartige Darstellerensemble und die ausgeklügelten Bildkompositionen überzeugt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ROZSADOMB
Produktionsland
Ungarn/Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Eurofilm Studio/Mediopolis
Regie
Mari Cantu
Buch
Mari Cantu · Bálint Horváth
Kamera
Tibor Máthé
Musik
Mick Harvey
Schnitt
Matthias Behrens
Darsteller
Péter Andorai (Gabor) · Erika Marozsán (Teresa) · Naomi Rózsa (Panka) · Abel Fekete (Mischka) · Kati Lázár (Rosa)
Länge
94 Minuten
Kinostart
03.03.2005
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Das ungarische Filmschaffen befindet sich seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ im Wandel. Einerseits versucht man, unterstützt durch ein neues Filmförderungsgesetz, sich als attraktiver europäischer Co-Produktionspartner zu profilieren, andererseits knüpfen die neu gegründeten, drei Generationen von Filmemachern integrierenden Workshops an die erfolgreichen Filmkollektive der 1960er- und 1970er-Jahre an. Regisseure wie István Szabós, Miklós Jancsó, Marta Mészarós und Pal Sándor standen damals für die künstlerische und inhaltliche Erneuerung des ungarischen Films; jetzt erlebt das ungarische Kino eine zweite „Nouvelle Vague“, (mit-)initiiert von „Heimkehrern“, die im Westen aufgewachsen sind bzw. studiert haben. Dabei erweisen sie nicht nur dem Genre-Kino ihre Referenz (etwa „Kontroll“, fd 36 859), sondern greifen wie bei „Rosenhügel“ auch die noch zögerlich geführte Auseinandersetzung mit dem Sozialismus auf. Das Kinodebüt der 1958 in Budapest geborenen, an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin ausgebildeten Mari Cantu wirft aus der Perspektive von Kindern einen Blick auf das ungarische Schicksalsjahr 1956. Ort der Handlung ist eine Villa auf dem Rosenhügel, einem privilegierten Wohnviertel oberhalb Budapests. Hier führt der Politiker Gabor mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Teresa, den Kindern Panka und Mischka und der Haushälterin Rosa ein vergleichsweise komfortables Leben. Gabor war schon immer überzeugter Kommunist, kämpfte im Zweiten Weltkrieg im Untergrund gegen die Faschisten und zählt nun zur Nomenklatura. Man feiert rauschende Feste, und Teresa wird demnächst ihre Prüfung in der Parteischule ablegen. Eine Wache vor dem Haus, ein Wagen mit Chauffeur und ein „Sondertelefon“, das ihn mit dem Parteivorsitzenden Matyas Rakosi und Generalsekretär Janos Kadar verbindet, zeugen von Gabors herausragender Stellung. Plötzlich bekommt die scheinbare Idylle Risse: Panka soll nicht mehr mit den Nachbarskindern spielen, Teresa und Gabor haben ständig Meinungsverschiedenheiten, und Mischka findet einen an seinen Vater adressierten Brief aus Israel mit dem Bild einer schönen blonden Frau. Gemeinsam mit Panka versucht er, dem Geheimnis der auf Deutsch geschriebenen Zeilen auf den Grund zu kommen, während draußen ein sowjetischer Panzer vorfährt und Gabor nächtelang verschwunden bleibt. Als der Vater zurückkehrt, wirkt er verändert; ständig zieht er sich in sein Arbeitszimmer zurück, um ein Tonband zu besprechen. Der Panzer verschwindet ebenso wie die Nachbarn. Gabor verweigert seine weitere Mitarbeit in der Partei und wird kaltgestellt: Die Wache wird abgezogen, das Telefon mit einer Wanze versehen. Teresa und Gabor müssen nach und nach ihren Hausstand verkaufen, um überleben zu können. Panka und Mischka ahnen, dass der Brief im Zusammenhang mit den Veränderungen steht, und fühlen sich durch ihren „Diebstahl“ mitverantwortlich. Als Panka heimlich, belauscht von Teresa, die Bänder abhört, erfährt man die Lösung: Gabor hatte im Zweiten Weltkrieg die Parteiraison über die Liebe zu einer jüdischen Genossin gestellt. Diese wurde nach Auschwitz deportiert und stürzte sich dort mit seinem Namen auf den Lippen in den Elektrozaun. Nun fühlt sich Gabor von der Partei verraten. Um nicht noch einmal gegen seine innere Überzeugung zu verstoßen, will er mit seiner Familie das Land zu verlassen. Auch wenn die zehnjährige Panka und ihr vier Jahre jüngerer Bruder Mischka im Mittelpunkt der Handlung stehen, ist „Rosenhügel“ kein Kinderfilm. Im Alltag der Kinder spiegeln sich „nur“ die dramatischen Ereignisse am Vorabend des Aufstandes. Mari Cantus autobiografisch gefärbte Geschichte – das Schicksal ihres Vaters ähnelt dem Gabors – mischt persönliche Erinnerungen mit politischen, moralischen und religiösen Fragen, die sie teilweise durch eine symbolträchtige Bildsprache überhöht. So träumt Rosa, die den großbürgerlichen Zeiten nachtrauert, von einer Zugfahrt, bei der Jesus, dessen Wundmale bluten, unter den Fahrgästen sitzt. Panka und Mischka vermuten hinter zwei durch den Garten scheinenden Lichtern geheimnisvolle Augen, die sie an ihre „Missetat“ ermahnen. Das aus ärmlichen Verhältnissen stammende „Bauernmädchen“ Teresa ist mit seinen hysterischen Eifersuchtsanfällen ein weiterer Störfaktor in dieser auseinanderbrechenden Welt, deren bisherige Maximen in Frage gestellt werden. Die politische Situation wird nur indirekt vermittelt, durch verräterische Geschenke zu Gabors 50. Geburtstag, oder durch Nachrichten aus dem Radio. Die Kämpfe in der Stadt unterhalb des Rosenhügels bleiben akustisch und optisch außen vor; die ideologischen Auseinandersetzungen um Gabor manifestieren sich nur in den Veränderungen in der Villa. „Wovon leben wir jetzt?“, fragt sie einmal verzweifelt, worauf Gabor pariert: „Wozu leben wir eigentlich?“ In diesen Sätzen prallen das alte, an Privilegien gewöhnte Denken und das von (später) Erkenntnis und Schuldgefühlen geprägte Umdenken aufeinander. Es ist hilfreich, in Cantus Film zwischen den Zeilen zu lesen, was politisch informierten Zuschauer leichter fallen dürfte. Aber auch als Familiendrama funktioniert „Rosenhügel“, weil es alle Darsteller durch ihr authentisches Spiel verstehen, der Geschichte einen großen emotionalen Gehalt zu verleihen. Kameramann Tibor Máthé findet idyllische Bilder, denen József Romváris detailverliebte Ausstattung eine der realen Welt fast entrückte Atmosphäre verleihen. Auch dieser Gegensatz verdichtet die Spannung zwischen der Innen- und Außenwelt der Figuren, deren Schicksal tief berührt, weil man nicht mit vordergründigen Lösungen konfrontiert wird.
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