Die Vergessenen (2004)
Thriller | USA 2004 | 91 Minuten
Regie: Joseph Ruben
Filmdaten
- Originaltitel
- THE FORGOTTEN
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Revolution Studios/Visual Arts Ent.
- Regie
- Joseph Ruben
- Buch
- Gerald Di Pego
- Kamera
- Anastas Michos
- Musik
- James Horner
- Schnitt
- Richard Francis-Bruce
- Darsteller
- Julianne Moore (Telly Paretta) · Dominic West (Ash Correll) · Gary Sinise (Dr. Jack Munce) · Linus Roache (freundlicher Mann) · Alfre Woodard (Ann Pope)
- Länge
- 91 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Thriller
Heimkino
Die von Julianne Moore einfühlsam verkörperte Telly Paretta ist davon überzeugt, dass ihr achtjähriger Sohn Sam vor 14 Monaten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Jeden Tag verbringt sie mindestens eine Stunde in seinem Zimmer, kramt in seinen Lieblingssachen, blättert in Fotoalben und schaut sich Videoaufnahmen an. Sie lebt fast nur noch in Erinnerungen, und selbst ihr Mann Jim ist ihr fremd geworden. Mühsam versucht sie, sich mit Hilfe einer Therapie in die Gegenwart zurück zu kämpfen. Plötzlich aber verschwinden Gegenstände, verändern sich Dinge: auf einem Familienfoto ist Sam nicht mehr zu sehen, die Fotoalben sind leer, die Videobänder gelöscht. Völlig außer sich, beschuldigt Telly ihren Mann. Der aber behauptet, die Bänder und Alben seien immer schon leer gewesen, denn Telly habe nie einen Sohn gehabt. Tellys Psychiater unterstreicht das: Sam existiere lediglich in ihrem Wahn, als eine fiktive Erinnerung. Das Motiv der erfundenen Vergangenheit ist im Kino nicht neu. Bereits in „Blade Runner“ (fd 23 689) wurden künstlichen Menschen fremde Lebensgeschichten ins Gedächtnis implementiert; aber was dort aus einem eher philosophischen Blickwinkel geschildert wurde, macht „Die Vergessenen“ unmittelbar erlebbar. Spürbar, fühlbar, ja ansteckend ist der Horror, der Telly beschleicht, schließlich jäh packt, als sie erfährt, dass es ihren über alles geliebten Sohn nie gegeben haben soll. Meisterhaft gelingt es Regisseur John Ruben, ihr Gefühl der Verlorenheit zur gespenstischen, beklemmenden Gesamtatmosphäre auszuweiten. Bereits die Eingangssequenz entwirft mit Vogelperspektiven auf New Yorker Häuserschluchten und Aufnahmen isolierter (Spiel-)Plätze düstere, paranoide Stadtimpressionen. Sie endet mit einem Blick auf Telly, die, ganz in schwarz gekleidet, auf einer Schaukel sitzt: allein, in der Nacht und im Wind. Auch als Telly scheinbar wieder auf festem Grund steht, setzt der Film ihr Schwanken fort. Schräge Kameraeinstellungen, verwaschene Farben und die hypnotische Musik mit immer wiederkehrenden, metallisch-kalten Schlägen verwandeln Tellys Wirklichkeit in einen Schwindel erregenden Albtraum. Diese klaustrophobische psychische Intensität im bodenlosen Wabern zwischen Wahn und Wahrheit bestimmt die ersten, rauschhaften Szenen.
Als Telly auf einem Spielplatz dem ehemaligen Hockeyspieler Ash begegnet, ändert sich der Erzählton. Telly glaubt Ash zu kennen: Seine Tochter saß im selben Flugzeug wie Sam. Ash aber behauptet, nie eine Tochter gehabt zu haben. Erst als Telly bei ihm zu Hause die Tapeten von den Wänden reißt, hinter denen sie bunte Kinderzeichnungen freilegt, und ihn zwingt, den Namen seiner Tochter auszusprechen, beginnt Ash sich zu erinnern. Doch da hat er schon die Polizei alarmiert, und Telly wird von dubiosen Männern in dunklen Anzügen abgeführt. Mit Hilfe von Ash kann Telly entkommen, gemeinsam fliehen sie und versuchen herauszufinden, was mit ihnen und ihren Kindern geschehen ist. Die Handlung nimmt Fahrt auf, wird turbulenter, actionreicher, gleichzeitig verlagert sich die Spannung von innen nach außen, wodurch die zehrende Sogwirkung nachlässt. Ein wenig beruhigter kann man sich jetzt im Kinosessel zurücklehnen, doch ein Rest fantastischer Ungewissheit bleibt erhalten. Der Film changiert noch einige Zeit zwischen Psycho-, Mystery- und Verfolgungsthriller, gewürzt mit hinterhältigen Knalleffekten; doch je weiter der Plot voranschreitet, desto eindeutiger und banaler entwickelt er sich, und am Ende löst sich das sorgsame Erzählgeflecht auf triviale Weise im Abstrusen auf. Di Pego zeigt sich von seinen eigenen Rätseln überfordert, und in den Schlussakkorden ergeht sich der Film gar in fragwürdigem Mütterlichkeitspathos.
Die Theoretiker haben Recht, weil auch „Die Vergessenen“ am dritten Akt scheitert, weil er kein Versprechen der beiden ersten Akte eint. Und sie haben auch Unrecht, weil der Film trotz des schwachen Schlusses nicht verpufft. Zu verstörend, zu atemberaubend, zu tief ist der Abgrund, über den der Film einen führt, als dass ihn ein banales Ende zuschütten könnte.