In deinen Händen
Drama | Dänemark 2003 | 102 Minuten
Regie: Annette K. Olesen
Filmdaten
- Originaltitel
- FORBRYDELSER
- Produktionsland
- Dänemark
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Zentropa Entertainments6/DR TV
- Regie
- Annette K. Olesen
- Buch
- Kim Fupz Aakeson · Annette K. Olesen
- Kamera
- Bøje Lomholdt
- Musik
- Jeppe Kaas
- Schnitt
- Molly Malene Stensgaard
- Darsteller
- Ann Eleonora Jørgensen (Anna) · Trine Dyrholm (Kate) · Nicolaj Kopernikus (Henrik) · Sonja Richter (Marion) · Lars Ranthe (Frank)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
Heimkino
Dass dies fast immer mit einem Verzicht auf opulente Optik oder raffinierte Perspektiven einher geht, muss kein Nachteil sein, wenn Dramaturgie und Inszenierung zu fesseln verstehen. Ein Musterbeispiel dafür ist Annette K. Olesens Film über eine junge dänische Pfarrerin, die ihre erste Anstellung in einem Gefängnis findet. Das Vermittlungsgespräch zwischen Anna und ihrer Vorgesetzten ist typisch für den Duktus des Films. Die dezente Handkamera wirft den Zuschauer unmittelbar in die zwischen banaler Normalität und angespannter Nervosität changierende Situation, in der nur wenig gesprochen wird und (wie im gesamten Film) keine Musik die Aufmerksamkeit lenkt; auch schränken Schnitte die räumliche Orientierung ein, weshalb ein paar Anspielungen und irritierte Blicke um so mehr aufhorchen lassen. Doch kaum hat man sich darauf eingelassen, Annas erwartungsfrohes Gesicht nach Charakter und Geschichte abzutasten, kontrastiert der Film mit dem einer anderen Frau, das zur wächsernen Maske erstarrt ist: einer Gefangenen, die in jene Anstalt überstellt wird, in der Anna als Seelsorgerin antreten soll. Mit leeren Augen lässt Kate die erniedrigenden Prozeduren der Leibesvisitation ebenso über sich ergehen wie die taxierenden Blicke der anderen Häftlinge, ehe die Zellentür hinter ihr ins Schloss fällt. Binnen kurzem ist man mit einer Handvoll weiterer Figuren, Insassen wie Wächtern, vertraut und hat wahrscheinlich mehr von den unerbittlichen Regeln hinter Gittern verstanden, als einschlägige Genrefilme es je zum Ausdruck brachten. Anna ist von solchen Dingen gänzlich unbeleckt und setzt auf Optimismus und Mitmenschlichkeit. Ihre erste Predigt über Schuld und Verantwortung stößt dementsprechend auf wenig Verständnis, weil die verschlossenen Frauen mit handfesteren Dingen, dem sozialen Druck, der räumlichen Enge oder Drogen beschäftigt sind. An letzteren hängt das Machtgefüge im Zellenblock. Die dominante Position der Dealerin gerät allerdings ins Wanken, als Kate übersinnliche Kräfte nachgesagt werden, die prompt bei einem Entzug ein Wunder bewirken – nach einer Handauflegung ist eine der Frauen „clean“. Auch Anna kommen die Gerüchte zu Ohren. Neugierig, vielleicht auch etwas verunsichert, sucht sie den Kontakt, stößt aber auf eine Mauer des Schweigens. Dennoch entwickelt sich zwischen beiden eine zögerliche Annäherung, als Kate von Anna das Beten lernen will. Wenig später aber verkehrt sich der Kontakt, weil Anna ihrerseits in eine existentielle Krise stürzt. Obwohl angeblich unfruchtbar, ist sie plötzlich schwanger. Doch die Fruchtwasseruntersuchung signalisiert eine Chromosomen- Anomalie, die mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit eine Behinderung des Kindes nach sich zieht. Anna und ihr Mann quälen sich mit der Frage, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen oder den Fötus abtreiben sollen. Anna erwägt auch, sich Kate anzuvertrauen und auf deren Kräfte zu setzen, obwohl sie gleichzeitig mit ihrem Wissen über die (Ab-)Gründe kämpft, die Kate ins Gefängnis brachten: Diese hat ihr Baby während eines Drogentrips jämmerlich verdursten lassen.
Früher hätte man das bestechende Drehbuch von Kim Fupz Aakeson wahrscheinlich als existentialistisch-dialektischen Entwurf auf den Spuren von Sartre bezeichnet, mit Lacanscher Terminologie belegt oder in Foucaultsche Kategorien gezwängt. Was auch weiterhin seine Richtigkeit hat, weil die Figuren keine zementierten Charaktere, sondern biografische Entwürfe sind, die im Augenblick der Krise um die Konturen ihrer Persönlichkeit kämpfen; weil sich die Übertragungsmechanismen, mit denen eigene Ängste und Unsicherheiten nach außen projeziert werden, hier in allen Schattierungen und nahezu in Zeitlupe studieren lassen; und weil auch das System von Strafen und Überwachen inklusive seiner gesellschaftlichen Folgen wie unter einem Brennglas hervor tritt. Allerdings geizt der wortkarge Film selbst mit expliziten Erklärungen und entzieht sich allzu schnellen Festlegungen. „Das Gegenteil von Glauben ist nicht Zweifel; das Gegenteil von Glauben ist Wissen“, schreibt Annette K. Olesen im Presseheft, und pointiert, dass es beim „religiösen“ Setting des Films nicht um Metaphysik, sondern um zutiefst menschliche Dinge wie Glaube, Hoffnung und Liebe geht, um die Frage, „ob man das Wagnis eingehen kann, das eigene Leben in die Hände eines Anderen zu legen“. Theologen wäre dieser Film deshalb besonders ans Herz zu legen, aber auch ihren diversen Widerparts, die religiöse Dinge so gerne als Privatsache deklarieren. Denn „In deinen Händen“, der im Original „Verbrecher“ heißt, lässt mit hoher Unmittelbarkeit daran teilhaben, wie Menschen ihre Begrenzungen transzendieren und daran, was passiert, wenn Misstrauen, Eifersucht oder der Schmerz die Fähigkeit untergraben, sich einem unverfügten Sinn zu öffnen. Das fast in monochromes Grau tendierende Schlussbild, eine sich schließende Aufzugstür, begräbt als stummer Gegenpol die zaghaften Anläufe der mehrschichtigen Handlung, die sogar über Kates eingefrorene Gesichtszüge den Anflug eines Lächeln huschen ließen. Dass der sorgsam entwickelte und mit erstaunlicher Ökonomie erzählte Plot binnen weniger Minuten seine Peripetie erreicht, wirkt vielleicht etwas verkürzt, fällt aber angesichts der hervorragend besetzten Darstellerriege und einer außergewöhnlichen Ensembleleistung nicht ins Gewicht.