Muxmäuschenstill

Komödie | Deutschland 2004 | 89 Minuten

Regie: Marcus Mittermeier

Ein 30-jähriger Weltverbesserer spürt im Alltag von Berlin die Regelbrüche seiner Mitbürger auf, um sie mit ungewöhnlichen Strafen zu mehr Verantwortungsbewusstsein zu erziehen. Dass seine zunehmend aggressiveren Methoden den Zweck seiner Mission hintertreiben, stört den Egomanen nicht. Erst als er von seiner Geliebten enttäuscht wird, gerät sein Weltbild kurzzeitig ins Wanken. Eine intelligente rabenschwarze Komödie, die das moralische Empfinden brüskiert und kontroverse Diskussionen herausfordert. Zwischen fiktiven und quasi-dokumentarischen Bildern changierend und von überzeugenden Darstellern getragen, zielt der Film letztlich auf eine Kritik an der zeitgenössischen Medienkultur. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Schiwago Film
Regie
Marcus Mittermeier
Buch
Jan Henrik Stahlberg
Kamera
David Hofmann
Musik
Phirefones
Schnitt
Sarah Clara Weber · Daniela Boch
Darsteller
Jan Henrik Stahlberg (Mux) · Fritz Roth (Gerd) · Wanda Perdelwitz (Kira) · Joachim Kretzer (Björn) · Oliver Urbanski (Bodo)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
X Verleih (1:1.78/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
„Ich bin Teil einer Gesellschaft, in der wir unsere Ideale verloren haben“, verkündet der 30-jährige Mux – und schreitet zur Tat: In einer halsbrecherischen Aktion stoppt er einen Raser und nötigt den verdutzten Choleriker, das Lenkrad seines Autos abzuschrauben und ihm auszuhändigen. Marcus Mittermeiers Regiedebüt ist das Psychogramm eines Weltverbesserers, der zu Beginn sympathisch erscheint, dann aber immer unheimlicher wird; eine schwarze Komödie, die (trotz Längen im Mittelteil) unterhält und zugleich erschreckt: Tritt Mux im Zuge seiner „pädagogischen Maßnahmen“ in Hundekot, zwingt er den Hundebesitzer, die Hinterlassenschaft zu essen; eine Ladendiebin hat den gestohlenen BH öffentlich auszuziehen. Doch während sich ein Obdachloser fürs Schwarzfahren schämen soll, quälen Mux keinerlei Gewissensbisse, nachdem er einem Graffiti-Sprayer das Gesicht besprüht und diesen dadurch in den Unfalltod getrieben hat. Dann wieder schützt Mux ein muslimisches Mädchen vor hänselnden Mitschülern. Über lange Zeit wird man in einem Wechselbad zwischen Zustimmung und Abneigung gefangen gehalten, was nicht zuletzt aus der Leistung von Jan Henrik Stahlberg resultiert. Er verleiht dem Psychopaten Mux, der mal ernst, mal väterlich in die Kamera spricht und den Zuschauer zum Komplizen seiner Mission macht, eine fatale Überzeugungskraft. Paradoxerweise wirkt diese Kunstfigur gerade so „originell“, weil sie aus diversen Kontexten zusammengepuzzelt wurde: Als ehemaliger Philosophiestudent trägt Mux den Anzug eines Jung-Unternehmers, dazu den Pistolenhalfter eines Kriminalbeamten; er vertritt linke Ansichten über die Rhein-Metall- Aktie und baut doch eine Ich-AG auf, die sich aus Denunziation, Lauschangriff und Selbstjustiz speist – ein faschistoides Überwachungssystem im Untergrund der deutschen Gesellschaft.

Die Klage über den Werte- und Kulturverfall ist ein altes bildungsbürgerliches Denkmodell. Oft anti-modern ausgerichtet, prangerte es die Industrialisierung und Verstädterung als Entfremdung des Menschen an und faszinierte im 20. Jahrhundert linke wie rechte Strömungen – bezeichnend für Mux, der gegen die Verdorbenheit Berlins ankämpft, sich am Wochenende aber an einen idyllischen See zurückzieht. Mux verehrt die Epoche der „Dichter und Denker“, zitiert Kants „kategorischen Imperativ“ und Goethes „Faust“, ohne die Inhalte zu verstehen. Wie Faust mischt er sich unters „einfache Volk“ und projiziert seine Vorstellung von „Unschuld“ auf die Serviererin Kira, die er für sein Gretchen hält. Je mehr Mux, um selbst „rein“ zu bleiben, seinen Geschlechtstrieb verdrängt, desto deutlicher tritt dieser in seinen Aktionen zutage. So häuft sich in der zweiten Hälfte des Films das voyeuristische Aufspüren von Sexualdelikten. Als er Kira zum Besuch in den Sündenpfuhl Berlins einlädt, verwandelt sich die Heilige in seinen Augen in eine Hure, was zu einem Bruch in seinem Weltbild führt, den er mit Gewalt zu kitten versucht. Mux repräsentiert ein autoritäres Prinzip, mit dem er in diversen Rollenspielen – als Kontrolleur, Polizist, Lehrer, Firmenchef – vorführt, wie leicht sich Menschen durch repressive Rhetorik und Körpersprache einschüchtern lassen. Dabei offenbaren die Szenen subtile Details. Ein Pförtner, der mit kinderpornografischen Videos ertappt wird, neigt untertänig den Kopf. Dass der zeitlebens Erniedrigte den Drang hat, sich an der Vergewaltigung von Kindern zu befriedigen, wird nicht entschuldigt; zugleich aber wird Mux’ Bedürfnis, Menschen in die Knie zu zwingen, in die Kausalität der Schuld einbezogen.

Im Spannungsfeld von „Mann beißt Hund“ (fd 30 120) und „Falling Down – Ein ganz normaler Tag“ (fd 30 246) wagt Mittermeier eine zeitgenössische Donquichotterie. Dem Idealisten Mux wird ein trotteliger Sancho Pansa namens Gerd zur Seite gestellt und die Tradition komödiantischer Männerpaare um eine subversive Variante bereichert: der Despot und der Mitläufer. Überall lässt Mux seine Aktionen von Gerd als Kameramann dokumentieren; Ziel ist ein „Schulungsvideo für die Gesellschaft“. Gerd steht prototypisch für eine skrupellose Sucht nach Bildern, wobei dem Zuschauer Gerds voyeuristischer Blick aufgezwungen wird, der bei den Sexualverbrechen die Genitalien ins Visier nimmt – die am Boden liegende, vergewaltige Frau muss sich rasch vor „unserem“ Blick die Scham bedecken. Wie zu erwarten, sitzt Gerd nach Feierabend dann vor den eigenen Videoaufnahmen und onaniert.

„Muxmäuschenstill“ ist ein Meta-Film, der geschickt verschiedenste Fernsehformate parodiert und damit nicht nur die Ausbeutung von Sensationen, sondern vor allem die manipulativen Strategien demaskiert. Jeder Glaube an die Echtheit dokumentarischer Bilder wird untergraben, wenn mit Handkamera und Laiendarstellern innerhalb eines realen Geschehens (das Hochwasser 2002) fiktive Situationen inszeniert werden; auch das Vertrauen in die Seriosität einer Voice- Over wird hinterfragt, wenn sich herausstellt, dass sie falsche Behauptungen aufstellt. Mux’ Internet-Trailer, der zum Denunzieren des Nachbarn anspornen soll, führt alle suggestiven Strategien vor, die das Fernsehen aus Hollywood-Trailern übernommen hat. Wenn der Zuschauer schließlich beginnt, der filmischen Sprache zu misstrauen (obwohl diese Sätze enthält, denen man zum Teil zustimmen möchte), nähert sich „Muxmäuschenstill“ auf raffinierte Weise seiner Absicht, das Publikum (wie Mux mit Kant sagen würde) „zum Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu bewegen.

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