Muxmäuschenstill
Komödie | Deutschland 2004 | 89 Minuten
Regie: Marcus Mittermeier
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Schiwago Film
- Regie
- Marcus Mittermeier
- Buch
- Jan Henrik Stahlberg
- Kamera
- David Hofmann
- Musik
- Phirefones
- Schnitt
- Sarah Clara Weber · Daniela Boch
- Darsteller
- Jan Henrik Stahlberg (Mux) · Fritz Roth (Gerd) · Wanda Perdelwitz (Kira) · Joachim Kretzer (Björn) · Oliver Urbanski (Bodo)
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Die Klage über den Werte- und Kulturverfall ist ein altes bildungsbürgerliches Denkmodell. Oft anti-modern ausgerichtet, prangerte es die Industrialisierung und Verstädterung als Entfremdung des Menschen an und faszinierte im 20. Jahrhundert linke wie rechte Strömungen – bezeichnend für Mux, der gegen die Verdorbenheit Berlins ankämpft, sich am Wochenende aber an einen idyllischen See zurückzieht. Mux verehrt die Epoche der „Dichter und Denker“, zitiert Kants „kategorischen Imperativ“ und Goethes „Faust“, ohne die Inhalte zu verstehen. Wie Faust mischt er sich unters „einfache Volk“ und projiziert seine Vorstellung von „Unschuld“ auf die Serviererin Kira, die er für sein Gretchen hält. Je mehr Mux, um selbst „rein“ zu bleiben, seinen Geschlechtstrieb verdrängt, desto deutlicher tritt dieser in seinen Aktionen zutage. So häuft sich in der zweiten Hälfte des Films das voyeuristische Aufspüren von Sexualdelikten. Als er Kira zum Besuch in den Sündenpfuhl Berlins einlädt, verwandelt sich die Heilige in seinen Augen in eine Hure, was zu einem Bruch in seinem Weltbild führt, den er mit Gewalt zu kitten versucht. Mux repräsentiert ein autoritäres Prinzip, mit dem er in diversen Rollenspielen – als Kontrolleur, Polizist, Lehrer, Firmenchef – vorführt, wie leicht sich Menschen durch repressive Rhetorik und Körpersprache einschüchtern lassen. Dabei offenbaren die Szenen subtile Details. Ein Pförtner, der mit kinderpornografischen Videos ertappt wird, neigt untertänig den Kopf. Dass der zeitlebens Erniedrigte den Drang hat, sich an der Vergewaltigung von Kindern zu befriedigen, wird nicht entschuldigt; zugleich aber wird Mux’ Bedürfnis, Menschen in die Knie zu zwingen, in die Kausalität der Schuld einbezogen.
Im Spannungsfeld von „Mann beißt Hund“ (fd 30 120) und „Falling Down – Ein ganz normaler Tag“ (fd 30 246) wagt Mittermeier eine zeitgenössische Donquichotterie. Dem Idealisten Mux wird ein trotteliger Sancho Pansa namens Gerd zur Seite gestellt und die Tradition komödiantischer Männerpaare um eine subversive Variante bereichert: der Despot und der Mitläufer. Überall lässt Mux seine Aktionen von Gerd als Kameramann dokumentieren; Ziel ist ein „Schulungsvideo für die Gesellschaft“. Gerd steht prototypisch für eine skrupellose Sucht nach Bildern, wobei dem Zuschauer Gerds voyeuristischer Blick aufgezwungen wird, der bei den Sexualverbrechen die Genitalien ins Visier nimmt – die am Boden liegende, vergewaltige Frau muss sich rasch vor „unserem“ Blick die Scham bedecken. Wie zu erwarten, sitzt Gerd nach Feierabend dann vor den eigenen Videoaufnahmen und onaniert.
„Muxmäuschenstill“ ist ein Meta-Film, der geschickt verschiedenste Fernsehformate parodiert und damit nicht nur die Ausbeutung von Sensationen, sondern vor allem die manipulativen Strategien demaskiert. Jeder Glaube an die Echtheit dokumentarischer Bilder wird untergraben, wenn mit Handkamera und Laiendarstellern innerhalb eines realen Geschehens (das Hochwasser 2002) fiktive Situationen inszeniert werden; auch das Vertrauen in die Seriosität einer Voice- Over wird hinterfragt, wenn sich herausstellt, dass sie falsche Behauptungen aufstellt. Mux’ Internet-Trailer, der zum Denunzieren des Nachbarn anspornen soll, führt alle suggestiven Strategien vor, die das Fernsehen aus Hollywood-Trailern übernommen hat. Wenn der Zuschauer schließlich beginnt, der filmischen Sprache zu misstrauen (obwohl diese Sätze enthält, denen man zum Teil zustimmen möchte), nähert sich „Muxmäuschenstill“ auf raffinierte Weise seiner Absicht, das Publikum (wie Mux mit Kant sagen würde) „zum Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu bewegen.