... und der Himmel steht still

Drama | Deutschland/Großbritannien 1993 | 115 Minuten

Regie: John Schlesinger

Während in Berlin 1989 der Fall der Mauer bevorsteht, erinnert sich ein Engländer an seinen ersten Aufenthalt in der Stadt: Als junger, unerfahrener Telefontechniker wurde er 1955 vom amerikanischen und englischen Geheimdienst beauftragt, sowjetische Telefonleitungen anzuzapfen, und verliebte sich in eine attraktive Deutsche. Ihre leidenschaftliche Beziehung war durch ein schreckliches Geheimnis - den Tod ihres ungeliebten Mannes - zum Scheitern verurteilt. Ein hervorragend gespieltes Drama über die Relativität von Geheimnissen und Geheimhaltung einerseits, Schuld und Sühne andererseits, das vor allem von der Vielschichtigkeit der hervorragenden Romanvorlage zehrt. (Der Film wurde für den deutschen Kino-Einsatz rigoros um sein Ende gekürzt und damit seiner dramaturgischen Geschlossenheit beraubt.) - Ab 16 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
THE INNOCENT
Produktionsland
Deutschland/Großbritannien
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Sievernich Film/Lakehart
Regie
John Schlesinger
Buch
Ian McEwan
Kamera
Dietrich Lohmann
Musik
Gerald Gouriet
Schnitt
Richard Marden
Darsteller
Isabella Rossellini (Maria) · Anthony Hopkins (Bob Glass) · Campbell Scott (Leonard Marnham) · Ronald Nitschke (Otto) · Hart Bochner (Russell)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16 möglich.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
CinePlus (FF, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Im November 1989, wenige Tage bevor die Mauer zwischen dem Osten und Westen Berlins fällt, kommt ein angegrauter Engländer in die Stadt. Äußerlich ungerührt vom hektischen Aufmarsch der Journalisten aus aller Welt, die bei dem historischen Ereignis ebenso dabei sein wollen wie die vielen Bürger Berlins, die in den Straßen feiern, zieht er sich in ein Hotelzimmer zurück und studiert, ganz offensichtlich zum wiederholten Male, einen Brief, den er nicht erwartet hat. Die Schreiberin spielt auf schmerzliche Erinnerungen an und schließt: "Und falls dieser Brief Dich nie erreicht, nie geöffnet und gelesen wird, dann, lieber Gott, gewähre uns Verzeihung für diese schreckliche Tat, bezeuge und segne unsere Liebe - so wie sie war." Erst jetzt, mit einer Distanz von 35 Jahren zu den angesprochenen Ereignissen, scheint der Mann fähig und bereit, seine Vergangenheit zu rekapitulieren und zu bewältigen: Der Brief bringt Gefühle erneut zum Erklingen, die Vergangenheit nimmt Gestalt an.

Die Erinnerung des Engländers führt zurück in eine nicht minder bewegte, politisch aber unter ganz anderen Vorzeichen stehende Zeit Berlins. Als junger Telefontechniker kommt Leonard Marnham 1955 erstmals in die "Frontstadt" an der Schnittstelle von Ost und West, die die alliierten Besatzungsmächte mehr oder weniger offen als Plattform für gegenseitige Bespitzelungen und "Kalte Kriegs"-Strategien nutzen. Noch existiert die Mauer nicht, die Fahrt in den sowjetischen Sektor ist möglich, aber wortwörtlich unter der Oberfläche brodelt es längst: Amerikaner und Engländer haben einen langen Tunnel bis in den Ost-Sektor gegraben, und Leonards Aufgabe ist es, die dabei offengelegten Telefonleitungen der Sowjets anzuzapfen. Chef der Abhöraktion und Leonards Vorgesetzter ist der Offizier Bob Glass, ein auf den ersten Blick typischer Amerikaner, aufgeräumt-lärmend, jovial und selbstgefällig, in politischen Dingen geradezu arrogant und eingebildet. Vor allem sieht es Glass nicht gern, daß sich Leonard Hals über Kopf in eine schöne Deutsche verliebt: in Maria, die Leonard in einem Nachtlokal anspricht und auch in ihrer leidenschaftlichen Liebesbeziehung stets die aktivere bleibt. Leonard indes gerät zunehmend in Verwirrung; einerseits, weil er von englischer Seite genötigt wird, Glass zu bespitzeln, andererseits, weil Maria ihm nur schrittweise die Wahrheit über sich erzählt, so daß er ungehalten, miß-trauisch und sogar unvermutet aggressiv reagiert. Es stellt sich heraus, daß Maria unglücklich verheiratet ist, und ehe Leonard dies richtig realisiert, ist ihr gewalttätiger Mann Otto bereits tot - Opfer einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern, in die Maria eingreifen wollte und Otto in Notwehr erschlug. Was sich anschließt, ist ein verzweifelt-makabrer Versuch, seine Leiche zu verbergen, was zu einem regelrechten Opfergang für Leonard wird. Schließlich kommt ihm zwar der Zufall zu Hilfe, aber er verliert Maria - an Glass, der sich ebenfalls in sie verliebt hat.

Eine Geschichte um Geheimnisse und Geheimhaltungen sowohl im politischen wie privaten Bereich, um das unschuldig Schuldigwerden sowie um einen gewaltsamen Eingriff in eine auf den ersten Blick "normale" Situation - all dies verdichtet John Schlesinger zu einem Drama, in dem der Held - wie in vielen seiner Filme - keine Erlösung findet. Kommunikation und deren Grenzen sind das Thema, wobei Kommunikation nur noch mittelbar stattfindet; das beginnt mit dem Rohrpost-System in jenem mondänen Tanzlokal, in dem Maria erstmals auftaucht und wo Männer und Frauen (Liebes-)Kontakte knüpfen, führt über Leonards Aufgabe des geheimen Belauschens und prägt schließlich auch die Beziehung zwischen ihm und Maria. Diese ist jenseits ihrer großen sexuellen Leidenschaft von Beginn an durch Mißtrauen beeinträchtigt: Ist Maria eine Spionin, die Leonard aushorchen soll? Plant sie alle Schritte im voraus, ist er lediglich Spielball ihrer Strategien? Beide hüten zu viele Geheimnisse voreinander, um sich wirklich nahekommen zu können, und tragischerweise bringt das schrittweise Eingeständnis der Wahrheit für beide keine Erlösung, sondern nur noch komplexere Verstrickungen. Als Leonard begreift, welche Farce im Grunde seine Funktion als Geheimnisträger ist - dies erst nach Ottos Tod und nachdem die Koffer mit seinen Leichenteilen "entsorgt" sind -, ist es bereits zu spät.

Geschickt setzt Schlesinger inszenatorische Bezüge zu "klassischen" Spionagefilmen, die beinahe schon als karikierendes Zitat wirken angesichts der dramatischen privaten Ereignisse, in die Leonard und Maria verstrickt werden. Die Feindbilder "Ost" und "West" im Kalten Krieg erscheinen als zunehmend absurdes, letztlich illusionäres Kampffeld für Mächte, deren Bemühungen unwirklich und belanglos erscheinen. Nicht von ungefähr läßt Schlesinger Isabella Rossellini wie ihre Mutter Ingrid Bergman in "Casablanca" aussehen, und die frappante Ähnlichkeit entzieht dem Zuschauer immer wieder den Boden unter den Füßen. Die abschließend zitierte berühmte Trennungsszene der Liebenden am Flughafen erscheint wie ein Stück Kinorealität, das der Wirklichkeit einen Zerrspiegel vorhält: hier geht es nicht mehr um einen Verzicht aus edler politischer Gesinnung, sondern schlicht um das bittere Ende einer Beziehung, die ein schreckliches Geheimnis belastet.

Schlesinger schuf die solide Verfilmung eines hervorragenden Romans, von dessen erzählerischer Vielschichtigkeit auch der Film zehrt. Zugleich erweist sich Schlesinger einmal mehr als hervorragender Schauspieler-Regisseur. Die Idee, mit eher subtilen Andeutungen zu arbeiten, um mehrere Erklärungsmodelle zugleich zuzulassen, ist in manchen Momenten aber auch seine Schwäche, weil der Film sich mit zunehmender Dauer der Gefahr aussetzt, beliebig und damit ebenfalls bedeutungslos zu werden. In solchen schwächeren Momenten stört dann die fast schon als Kraftakt herausgestellte Rekonstruktion möglichst authentischer Kulissen, denen gelegentlich mehr Raum zugebilligt wird als der Beschreibung der inneren Verfaßtheit der Personen. Fast schon ernüchternd ist die Erkenntnis, daß das Ende der Geschichte aus heutiger Sicht seltsam überholt erscheint: Maria und Leonard begegnen sich im Jahr 1989 tatsächlich wieder, und die Euphorie der Menschen angesichts des Falls der Mauer scheint auch in ihnen einen Funken Hoffnung auf einen neuen Anfang ohne innere und äußere Grenzen zu entzünden. Heute überwiegen eher die ernüchternden Gedanken über die noch immer ungelösten wirtschaftlichen wie sozialen Probleme, so daß der vermeintliche Neuanfang des gealterten Paares allenfalls noch als rührende Utopie erscheint - als zaghafter Trost für die bittere Trennung 35 Jahre zuvor.
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