„Amerikas erster weiblicher Serienkiller“ – unter diesem ebenso reißerischen wie kriminalhistorisch unzutreffenden Label wurde die wegen sechsfachen Mordes zum Tode verurteilte Prostituierte Aileen Wuornos schon kurz nach ihrer Verhaftung im Jahr 1991 zum Medienstar. Hollywood riss sich um den spektakulären Stoff, der bislang in zwei Dokumentarfilmen, mehreren Büchern und einer Oper verarbeitet wurde. Ein Gesetz des Staates Florida verhinderte zwar, dass Wuornos als verurteilte Mörderin an Filmrechten verdienen konnte, die Persönlichkeitsrechte unschuldig Beteiligter blieben jedoch gewahrt. Entsprechend buhlten Journalisten und Filmproduzenten um jeden, der glaubte, etwas Exklusives berichten zu können. Verwandte, Bekannte, Polizisten und Anwälte gerieten ins Visier von mit Scheckbüchern bewaffneten Geschichtenjägern. Aileen Wuornos witterte eine groß angelegte Verschwörung. Sie setzte durch, dass ihr Pflichtverteidiger ausgetauscht wurde, und hielt der Polizei vor, dass sie ihre Festnahme absichtlich verzögert hätte, um so den Preis für ihre Geschichten in die Höhe zu treiben. Am Ende war Wuornos’ Leben so sehr von Mythen und sensationsheischender Publicity überfrachtet, dass sie es wohl selbst kaum noch zu rekonstruieren vermochte. Unverstellt Authentisches kann deshalb von Patty Jenkins’ Regie- und Drehbuchdebüt kaum erwartet werden. Dennoch ist das konsequente Bemühen um eine letztlich für immer verlorene Wahrheit in ihrem Film spürbar. Bezeichnenderweise bezieht „Monster“ seine Glaubwürdigkeit aber nicht aus einem quasi-dokumentarischen Gestus, sondern vielmehr aus einer Dramaturgie, die den Spielraum fiktionalen Erzählens ausschöpft. Gleich zu Beginn postuliert der Film die Verwischungen von Traum und Wirklichkeit als einen Grundcharakterzug seiner Anti-Heldin. „Ich wollte schon immer in einem Film sein“ – dieser aus dem Off gesprochene Satz leitet eine Montagesequenz ein, in der Aileen von ihrem Traum erzählt, eine zweite Marilyn Monroe zu werden. Prägnante Szenen aus Kindheit und Jugend bebildern die Naivität ihrer Hoffnungen. Aileen Wuornos’ tatsächlicher Leidensweg wird nur angedeutet: Ihr Vater, ein verurteilter Kinderschänder, erhängte sich im Gefängnis; ihre Mutter schob Aileen zu den Großeltern ab; die Großmutter war Alkoholikerin, vom Großvater soll sie missbraucht worden sein. Mit 14 war sie schwanger; in einem Heim brachte sie einen Sohn zur Welt, der zur Adoption freigegeben wurde; sie verließ die Schule und schlug sich als Straßenprostituierte durch; ihr geliebter Bruder starb an Krebs. Eine derartige, nie enden wollende Häufung von Elend droht in einem Spielfilm, so verbürgt sie auch sein mag, schnell unglaubwürdig zu wirken.
In „Monster“ wird fast nichts davon inszeniert. Nur hin und wieder kommt Aileens traumatische Vergangenheit in Dialogen zur Sprache, fast immer wie nebenbei. Frei von einem selbstgerechten psychoanalytischen Impetus, will Jenkins’ Film nicht aufarbeiten, wie Wuornos zur Mörderin heranwuchs. Stattdessen eröffnet er ungeschönte Einblicke in eine Realität voller beunruhigend offener Fragen. Von Anfang an destruiert die Regisseurin das Bild vom lesbischen Monster, in dem sie den Zuschauer in Aileens verquere Perspektive hineinzwängt. Das Wort „Monster“ verweist jetzt nicht mehr auf eine skrupellose Mörderin, sondern nur noch auf ein kindlich bestauntes Riesenrad, das „Monster- Wheel“. Plötzlich, fast unvermittelt steht Aileen als Erwachsene im Regen, einsam, entkräftet, mutlos, zum Selbstmord bereit. Aber sie hat noch fünf Dollar in der Tasche, die ihr ein Freier bezahlt hat; wenn sie das Geld nicht ausgibt, ist es, als hätte sie umsonst gearbeitet. Also geht sie in eine Bar und wartet auf ein Wunder. Es ist Zufall, dass es eine Homosexuellen-Kneipe ist, aber als die junge Selby sie anspricht, glaubt sie noch einmal an eine letzte Chance. Zwischen Selby, die von ihrem Vater zur Tante geschickt wurde, um von ihrer lesbischen Neigung kuriert zu werden, und der Straßenhure entwickelt sich eine verzweifelte, alles verschlingende Liebe. Beide träumen von einer gemeinsamen bürgerlichen Zukunft; Sexualität spielt kaum eine Rolle. Nachdem Aileen einen Freier erschießt, der sie zuvor brutal misshandelt und bedroht hat, möchte sie mit der Prostitution aufhören. Aber ihre Versuche, in einem anständigen Beruf unterzukommen, scheitern. Um die verwöhnte, fordernde Selby nicht zu verlieren, geht sie zurück auf den Strich – und schon bald tötet sie wieder. Diesmal aber nicht aus Notwehr, so sehr sie es sich auch einzureden versucht.
Obwohl Patty Jenkins für ihren Film gründlich recherchiert, mit Aileen Wuornos gesprochen und noch in der Nacht vor deren Hinrichtung persönliche Briefe von ihr zur Verfügung gestellt bekam, ist kaum anzunehmen, dass die Darstellung der Morde den tatsächlichen Geschehnissen entspricht. Die Regisseurin steigert die moralische Verwerflichkeit von Wuornos’ Taten bis zu dem Punkt, an dem ihre Festnahme vom Zuschauer herbeigesehnt werden muss. Den Abscheu, den Aileens Taten auslösen, kontrastieren Liebesszenen im romantischen Hollywood-Tonfall, die angesichts Aileens geradezu rührender emotionaler Unbedarftheit Mitgefühl hervorrufen. Bei aller thematischen Schwere tut Patty Jenkins gut daran, ihren Film nicht zusätzlich mit formalen Experimenten zu belasten. Mise-en-Scène und Montage bleiben unauffällig, folgen dem Geschehen auf klassische Weise mit einer für eine Regiedebütantin erstaunlichen Selbstverständlichkeit. Seine unbehagliche Ambivalenz und irritierende Eindringlichkeit verdankt das Biopic neben dem Drehbuch vor allem Charlize Therons famoser Darbietung, die in Christina Riccis subtilem Spiel adäquate Unterstützung findet. Zu Recht wurde ihre ausdrucksstarke Performance als Durchbruch gefeiert und mit dem „Oscar“ sowie dem „Golden Globe“ belohnt. Wenn amerikanische Gazetten ihre schauspielerische Leistung jedoch in Kapitallettern als die Verwandlung von der „Schönen“ in das „Biest“ preisen, ist das gleich in doppelter Hinsicht zynisch. Denn nicht zuletzt dank Hollywoods offensichtlich programmatischer Ablehnung, junge Schauspielerinnen zu casten, die nicht im Ruf stehen, „sexy“ zu sein, erfüllte sich für Ex-Model Charlize Theron mit der Rolle der Mörderin ein beruflicher „Traum“. Bedenkt man zudem, dass für die echte Aileen Wuornos der Traum vom Film erst in der Todeszelle Gestalt anzunehmen begann, und Wuornos das Leben, das Theron spielen durfte, führen musste, erscheinen eine Gewichtszunahme von 30 Pfund und eine „entstellende“ Maske keine allzu schweren Opfer mehr.