Mein Leben Teil 2

Dokumentarfilm | Deutschland 2003 | 85 Minuten

Regie: Angelika Levi

Dokumentarische Familienrekonstruktion der Filmemacherin Angelika Levi, die entlang der Zeugnisse eines umfangreichen biografischen Archivs ihrer Mutter deren Schicksal und dem ihrer Angehörigen im 20. Jahrhundert nachspürt. Das reiche Material und seine zurückgenommene Kommentierung ermöglichen verschiedene Lesarten, wobei es der Autorin um einen Perspektivenwechsel geht, der über die gängigen Engführungen hinaus weist. Die spannende Kombination aus geduldiger Analyse und nachhaltiger Reflexion sucht in der tastenden Befragung des eigenen Lebens nach individuellem wie kollektivem Sinn. (Teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
celestefilm/Das kleine Fernsehspiel
Regie
Angelika Levi
Buch
Angelika Levi
Kamera
Angelika Levi · Antje Schäfer · Markus Otto
Musik
Marta Monserrat
Schnitt
Angelika Levi
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Drei prominente Namen grenzen das Thema ab: Margarete Mitscherlich, Martin Walser, Guido Knopp. In Angelika Levis dokumentarischer Spurensuche geht es einmal mehr um die deutsche Vergangenheit oder vielmehr den schwierigen Umgang mit ihr. Prototypisch stehen die drei Gallionsfiguren für konträre intellektuelle Haltungen: psychoanalytisch orientierte Erinnerungs- und Trauerarbeit, den distanzierenden Gestus einer überdrüssig gewordenen Moralität sowie eine medial kunstvoll in Szene gesetzte Meinungserkundung der „Deutschen“ (die von ihrem Präsentator selbst keine eigene Position mehr verlangt). Die Art und Weise, wie die 1961 geborene Filmemacherin diese drei Repräsentanten deutscher Öffentlichkeit zitiert, spricht freilich Bände: fast beiläufig und nahezu am Ende ihres Films, wenn man schon lange eingetaucht ist ins Spannend-Unspektakuläre des Alltags einer deutschen Familiengeschichte.

Die Debatten des Feuilletons verblassen schnell angesichts konkreter Erfahrungen, zumal, wenn sie unprätentiös und ohne erklärenden Zwang am losen Band einer spannenden Vergegenwärtigung aufgereiht sind. Namen und die mit ihnen verbundenen Erzählungen werden zum Einfallstor in andere Leben und Existenzweisen, die durch überlieferte Gegenstände, Fotografien oder Briefe griffige Kontur gewinnen. So existiert von einem Vorfahr der Regisseurin noch ein schwerer Silberbecher, den Leon Levi, Amtsschreiber von Neustadt in der Pfalz, 1871 zu seinem 25. Dienstjubiläum als Anerkennung erhielt; knapp sieben Jahrzehnte später verlangte Angelika Levis Urgroßmutter nach diesem Becher, um daraus das Gift zu trinken, das sie vor der Deportation ins KZ bewahrte. Ihre Mutter überlebte das Dritte Reich, weil sie „Halbjüdin“ war; erst 1947 emigrierte sie nach Chile, studierte dort Biologie und erforschte als Ökologin die Anpassungsfähigkeit von Pflanzen unter extremen Bedingungen. 1957 kehrte sie wieder nach Deutschland zurück und heiratete einen evangelischen Theologen. Das Leben der christlich-jüdischen Modellfamilie in Bonn-Bad Godesberg und später in Aachen wurde fleißig aufgezeichnet, auf Super-8, Video oder Tonkassetten, zeitbedingt, aber auch, weil Levis Mutter schon als Kind den Hang zur genauen Dokumentation entwickelte. Als sie Ende der 1960er-Jahre an Krebs erkrankte, kämpfte sie mit minutiösen Selbstprotokollen gegen die Verzweiflung an. Ein Ringen, das Früchte trug. Nach ihrem Tod 1996 hinterließ sie eine umfangreiches „Archiv“, das die Tochter in Auszügen nun der Öffentlichkeit erschließt.

Der Filmtitel bezieht sich vorderhand auf ein orangefarbenes BASF-Band, eine gesprochene Autobiografie, die wie vieles andere das Bild einer humorvollen Kämpferin zeichnet. Die Details aus dem Leben von Ursula Becker Levi und ihrer Familie sind so gewählt, dass sich schon bald biografische und historische Linien erkennen lassen, in denen die Zeitläufte tiefe Wunden gerissen haben; durch die audiovisuelle Natur des Materials und seine zurückgenommene Strukturierung erlaubt der Film viele Lesarten: zeit- oder mentalitätsgeschichtliche, psycho- und soziologische, selbst Gender- oder systemtheoretische Fragen finden Nachhall. Man kann den Titel aber auch hintersinniger verstehen: der Film als zweiter Teil des Lebens der Mutter (und vielleicht auch der Tochter), als zwar weder olympischer noch göttlicher, aber doch fremder Blick, der anderes sieht und versteht, weil er zwischen den Bildern – und Schicksalsschlägen – Dinge und Zusammenhänge aufspürt, die Individuelles in Kontexte setzen. Die Autorin, die aus dem Off ihre Gedanken darlegt, geht dabei behutsam, aber zielstrebig voran. Ihr Interesse gilt der Traumatisierung und Stigmatisierung durch die Nazi-Zeit, die bei kindlichen Zuschreibungen (schwarze, „jüdische“ Haare gleich „schwarze“ Seele) beginnen und im unreflektierten Selbsthass der Mutter auf sich als „Judenschwein“ gespenstische Züge annehmen. Ohne die Parallelen allzu sehr zu strapazieren, enthüllt Levi an kleinen Nebenbemerkungen und Alltagsbeobachtungen eine beklemmende Sicht der 1960er- und 1970er-Jahre: der progressivliberale Vater als Inbegriff des guten, weil unbelasteten und auch noch religiös abgefederten Gewissens, der die „Anfälle“ seiner Frau hilflos pathologisiert; die psychisch und physisch schwer angeschlagene Mutter im Gefängnis ihrer blinden Angst, die überall Nazis am Werke sieht; dazwischen die Tochter, die vieles ahnt und manches versteht, aber selbst lange Jahre braucht, um ihre jüdische Seite zur Sprache zu bringen und ihre Opferrolle zu negieren, in „die man von deutschen Nichtjuden oft gedrängt wird“.

Allein schon um der Herausarbeitung dieser Differenz willen wünschte man Walser, Knopp und deren Publikum diesen Film wärmstens zur Lektüre. Denn ungeachtet aller realen Ungeheuerlichkeit („Nick-Neger“ und „Juden-Nasen“ als Pappkameraden auf einer Pfälzer Kirmes anno 2001) zielt der nachdenkliche Duktus von „Mein Leben Teil 2“ auf das intelligible Publikum, das einen Perspektivenwechsel wie den der Filmemacherin überhaupt nachvollziehen kann; diese hatte Mitte der 1990er-Jahre den Namen der Mutter angenommen, um dem Bruch, den ihre Familie in Deutschland erlebt hat, symbolisch wie real sichtbar zu machen. Dass es dabei am wenigsten um simple Gegensätze wie „wir“ und „ihr“, Täter und Opfer, Zeitgenossen und Nachgeborene geht, sondern vielmehr um die grundlegende Anerkennung von Differenz (auch und vor allem im Historischen), wird jeder verstehen, der sich dieser reflektierten Familienrekonstruktion überlässt. Der Sinn des Lebens sei die Evolution, die Vollendung, hatte Ursula Becker ihrer Tochter als Vermächtnis mit auf den Weg gegeben; ein Satz, dessen biologistische Spitze die Tochter nicht nur negiert, sondern auch dekonstruiert; ein alternatives, auch sprachlich formuliertes Credo müsste im Spiegel der Levischen Lebenserfahrungen hörbar bescheidener ausfallen.

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