Manche Dialogsätze könnte man in Stein meißeln und als Pretiosen auf einem Devotionalienmarkt den „Matrix“- Freaks feilbieten: „Ein geschriebenes Programm muss seinen Zweck erfüllen, sonst wird es gelöscht.“ – „Ein Programm, das von Liebe spricht? Liebe ist nur ein Wort; es geht darum, es mit Bedeutung zu füllen!“ – „Ein gefährliches Spiel! Das ist Veränderung immer.“ Doch mit ein wenig Distanz zum gewiss immer noch perfekt dargebotenen Actionspektakel kann man solche vermeintlich tiefschürfenden und abgründigen Aussagen lediglich als Kalenderweisheiten ansehen, nicht aber als tragfähige Koordinaten eines spielerisch-anregenden Konzepts mit philosophischen Anklängen, als das „Matrix“ nach dem ersten Teil
(fd 33 720) erschienen war. Vom Ende her betrachtet, ist „Matrix“ denn auch weniger eine in sich schlüssige Trilogie mit einem Netz aus Referenzen und Verknüpfungen, sondern lediglich ein reizvoller Erfolgsfilm mit zwei Fortsetzungen, die unter deutlich erkennbaren kommerziellen Vorzeichen die äußeren Hauptfäden des ersten Films weiterspinnen, sich dabei aber deren gedanklicher Vielfalt als überflüssigen Ballast weitgehend entledigen. War bereits die erste Fortsetzung „Matrix Reloaded“
(fd 35 974) ein übersteigertes, letztlich aber redundantes Spiel mit den vertraut gewordenen Effekten, ist die Handlung in „Matrix Revolution“ endgültig nur noch eine lästige Pflichtübung, die dem Jonglieren mit Effekten und Schaukämpfen, aberwitzigen Verfolgungsjagden und ins Bombastische übersteigerten Kampfszenen zeitweilig gar im Wege steht. Irgendwie verschwindet Neo sogar zwischenzeitlich von der Bildfläche, ohne dass man ihn allzu sehr vermisst – er brauche halt Zeit, begründet er den wacker kämpfenden Rebellen auf Zion und kehrt dann mit der irgendwo außerhalb der Geschichte gewonnenen Überzeugung zurück, dass er jetzt endlich das tun werde, was er glaubt, tun zu müssen. So wird er dann doch zum längst vermuteten messianischen Erlöser, der sein persönliches Golgatha durchleidet, bis der „Maschinengott“ raunt: „Es ist vollbracht.“ Erschöpft und erleichtert zugleich möchte man dem zustimmen – ohne freilich auch nur einen Gedanken an den damit angerissenen gedanklichen Kosmos des biblischen Zitats zu verschwenden.
Die Handlung hakt Stationen ab, die man wie eine Aneinanderreihung von episodischen Kurzfilmen erlebt. Zwischen der Matrix und der Maschinenwelt treibt Neo zunächst in einer Art komatösem Tiefschlaf durch ein Nirgendwo, der ihn auf einem klinisch weißen Untergrundbahnhof gefangen hält. Da hat er ein wenig Zeit, mit einem indischen Programm(ierer) über die Liebe zu sinnieren, doch der „Trainman“, der hier als Gott fungiert, macht dem ein Ende. Trinity ist es schließlich, die Neo aus dem Vakuum befreit, indem sie den Merowinger von der rigorosen „Kraft“ ihrer Liebe zu Neo überzeugt. Derweil Neo nun in Klausur geht, durchdringen die Maschinen die Schutzdämme von Zion, doch die Menschen wehren sich standhaft bis zum bald zu erwartenden letzten Atemzug. Dieser wird hinausgezögert durch die wackere Niobe, die mit großem Geschick ihr Hovercraft-Schiff durch prinzipiell unpassierbare Lüftungssysteme lenkt und trotz Entdeckung durch die Maschinen kurzzeitig für Entlastung sorgt. Auch einige Zivilisten wie der 16-jährige Kid, der gerne ein heroischer Soldat sein möchte, und die ebenfalls von Liebe erfüllte Zee bestimmen zwischenzeitlich die Handlung, um dann wieder ins hintere Glied zurückzutreten. Dass alles am Ende auf die Konfrontation zwischen Neo und seinem Widersacher Agent Smith hinausläuft, war abzusehen; Smith, das sich verselbständigende Maschinenprogramm, fungiert nunmehr als die dunkle Spiegelung Neos und wird selbst für die Maschinengottheit zur Bedrohung. Um Smith auszuschalten und den Frieden zwischen Menschen und Maschinen herbeizuführen, bedarf es übermenschlicher Opfer, die Neo und Trinity bereit sind zu bringen.
Es sind zahlreiche Bezugnahmen auf die Leidensgeschichte Jesu, die herhalten müssen, um Neos Passion ernsthaft und „tief“ erscheinen zu lassen. Je mehr man darüber nachdenkt, desto unangenehmer stößt einem dabei manche plakative Replik auf, während die visuellen Bezüge auf den Leidensweg Christi, sein Ende als göttliches Opfer und sogar die Grablegung Jesus letztlich doch nur leere Chiffren wie aus einem musikalischen Videoclip sind. Weitergedacht und variiert wird das Messias-Thema nur ansatzweise, und zwar in der finalen Konfrontation Neos mit Agent Smith, der zum zynischen Kommentator aller vorgeblich fruchtlosen menschlichen Bemühungen ums (Über-)Leben wird. „Der blinde Messias!“, höhnt er über den im Kampf geblendeten Neo. „Sie sind ein Symbol für Ihre ganze Gattung, Mr. Anderson: hilflos, mitleiderregend.“ Doch das Potenzial dieses Disputs wird nicht annähernd ausgeschöpft, weil weit mehr Zeit und Aufwand in die spektakulären Kampfszenen während der Maschineninvasion investiert werden muss. Das Gewusel und Gewimmel der Myriaden von kleinen und großen Maschinen, die in Schwärmen aus den Bohrlöchern ins Refugium der Rebellen eindringen, ist phasenweise von höchster visueller Faszination und verselbständigt sich gelegentlich zu Eindrücken von surrealer Bildkraft – bis dann ein markiger Soldatenspruch solche Wahrnehmung schnöde unterbricht und den Betrachter ins Fahrwasser eines lärmenden Kriegsfilms zurückführt, der in seinem heroischen Pathos wie in seiner derben Virilität manchmal schon peinlich ist.
Was bleibt nach all den Hoffnungen auf eine Renaissance des Fantasy- und Science-Fiction- Abenteuerkinos, die „Matrix“ mit seiner anfänglichen Skepsis gegenüber der sichtbaren Welt weckte? Vor allem wohl die Erkenntnis, dass das Sichtbare letztlich doch attraktiver zu gestalten und zu vermarkten ist als das dem rein Gedanklichen verhaftete Misstrauen gegenüber einer möglichen (Fehl-)Entwicklung der menschlichen Zivilisation. Gewiss haben die drei Filme bis zu „Matrix Revolutions“ neue Maßstäbe in der Ausgestaltung visueller (Digital-)Effekte gesetzt, die Gelegenheit zu einem glaubwürdigen, eigenständigen Kino-Mythos wurde letztlich unter dem offenbar allzu großen kommerziellen Druck aber verschenkt. So attraktiv die optischen Eindrücke auch sein mögen, so sehr enttäuscht „Matrix“ in seiner am Ende dünnen reflektorischen Substanz, die sich von Film zu Film mehr in eklektizistischen Bezügen auf vertraute Topoi verflüchtigte. Die Schlusspointe, dass es die Bestimmung allen Lebens sei, zu enden, ist dann ebenso mager wie aufgesetzt. Zwangsläufig schweift man in „Matrix Revolutions“ gedanklich immer wieder ab, löst sich von der Handlung und gibt sich eigenen Assoziationen hin: Ist Zion eigentlich etwas anderes als Gondor, wohin sich ebenfalls „Gefährten“ zurückgezogen haben, um dort so lange auszuharren, bis Neo, der auch Frodo heißen könnte, mit übermenschlicher Willenskraft endlich bis zum Schicksalsberg vordringt? Und während das Ende des Dritten Zeitalters naht und Trinity, gleichsam als weiblicher Sam ... aber halt, das ist ja nun wirklich eine andere und hoffentlich auch besser zum Abschluss gebrachte Geschichte.