Während eines Wahlkampfs im Südwesten Frankreichs wird die Kandidatin fürs Bürgermeisteramt mit einem früheren Kollaborateur sowie manchen düsteren Familiengeheimnissen konfrontiert. Eine von Claude Chabrol mit hintergründigem Schmunzeln dargebotene, milde-altersweise Variante seines Lieblingsthemas von der Dekadenz der Bourgeoisie, der er eine unschuldig-junge Liebe als Hoffnungsträger entgegensetzt. Schnörkellos fotografiert und von einem bis in die Nebenrollen überzeugenden Ensemble gespielt, unterhält der Film auf intelligent-hintergründige Weise.
- Sehenswert ab 14.
Die Blume des Bösen
Drama | Frankreich 2002 | 104 Minuten
Regie: Claude Chabrol
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Filmdaten
- Originaltitel
- LA FLEUR DU MAL
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- MK2/France 3 Cinema
- Regie
- Claude Chabrol
- Buch
- Caroline Eliacheff · Louise L. Lambrichs · Claude Chabrol
- Kamera
- Eduardo Serra
- Musik
- Matthieu Chabrol
- Schnitt
- Monique Fardoulis
- Darsteller
- Nathalie Baye (Anne) · Bernard Le Coq (Gérard) · Mélanie Doutey (Michèle) · Benoît Magimel (François) · Suzanne Flon (Tante Line)
- Länge
- 104 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
In der Anzahl der Kinofilme hat Claude Chabrol (Jahrgang 1930) mittlerweile mit seinem großen Vorbild Alfred Hitchcock (1899-1980) – über den er einst mit seinem „Nouvelle Vague“-Mitstreiter Eric Rohmer eine Biografie verfasste – nahezu gleichgezogen. Wie der Meister ist auch er bis ins hohe Alter produktiv geblieben und bringt seit seinem Spielfilmdebüt mit „Die Enttäuschten“ (1958) mit schöner Regelmäßigkeit (mindestens) einen Film pro Jahr in die Kinos. Auch wenn er schon mal den Sprung in verschiedene Genres gewagt hat, so ist Chabrol doch immer wieder zu seinem ureigenen Thema zurückgekehrt: der (bösen) Kritik am französischen Bürgertum. Nicht von ungefähr trägt sein 52. Leinwandepos den Titel „Die Blume des Bösen“, der einerseits auf den 1857 erschienenen Gedichtzyklus des „Genius der Dekadenz“ Charles Baudelaire verweist, andererseits die zugleich perfide wie faszinierende Fassade der gegenwärtigen französischen Bourgeoisie beschreibt. So erweist sich das Idyll, mit dem der Film in einem hochherrschaftlichen Landsitzes in der Nähe von Bordeaux empfängt, schnell als trügerisch. Als die Kamera durch die Flure gleitet, fährt sie an einem in ihrem Zimmer zusammengekauert sitzenden Mädchen vorbei und bleibt dann bei der Leiche eines Mannes stehen.
Umschnitt in die jüngste Vergangenheit. Man lernt die Hausbewohner kennen, die Familien Charpin und Vasseur, die über drei Generationen auf merkwürdige Weise miteinander verflochten sind. Die hochbetagte Tante Line hält nicht nur den Haushalt zusammen, sondern hütet auch ein düsteres Geheimnis um ihren toten Ehemann. Ihre Nichte Anne ist in zweiter Ehe mit Gérard verheiratet, dessen Frau Nathalie zur selben Zeit starb wie Annes Mann. Beide haben ein Kind mit in die Ehe gebracht, François und Michèle, die sich später ineinander verlieben. Wegen dieser Liebe war Gérards Sohn zum Studium in die USA geflohen, ist aber nun in die Arme seiner Halbschwester zurückgekehrt. Auch in der „Außenwelt“ geht es chaotisch zu. Während der eher konservative Apotheker Gérard immer auf dem „Seitensprung“ ist, kandidiert seine liberale Frau für den Bürgermeister-Posten, stets begleitet von ihrem ehrgeizigen und servilen „Adjutanten“ Matthieu und genervt von einem plötzlich auftauchenden Flugblatt, das sie mit einem früheren Kollaborateur aus dem Familienkreis konfrontiert. Dann passiert der eingangs schon bebilderte „Todesfall“, der Tante Line auf den Plan ruft und ihrem früheren Geheimnis ein Neues hinzufügt.
Man hat Chabrol in den letzten Jahren oft vorgeworfen, dass seine Filme nicht mehr die gesellschaftskritische Schärfe und formale Brillanz seiner frühen Meisterwerke wie „Das Biest muss sterben“ (fd 19 308) oder „Die untreue Frau“(fd 16 409) haben. Tatsächlich scheint sein Blick milder geworden zu sein, er begnügt sich mit Andeutungen, gefilmt mit der Routine eines perfekten Handwerkers, der keinen (optischen) Aufwand mehr um seine Arbeit macht und seine Geschichte von den schnörkellosen Bildern Eduardo Serras kongenial illustrieren lässt. Und doch treffen seine Seitenhiebe genau auf den Punkt, etwa wenn er beim genussvoll zelebrierten Begrüßungsschmaus für François die französische Lebensart mit der von „Gott und Geld“ besessenen Lebensweise der Amerikaner vergleicht. Selten sah man die Verlogenheit der Politiker deutlicher entlarvt als bei Annes und Matthieus Besuch bei ihren potenziellen Wählern in der Sozialsiedlung, den Chabrol mit sarkastischem Humor begleitet. Ein „Humor“, den auch Gérard an den Tag legt, wenn er die Wahlkabine betritt und sein süffisanter Blick erahnen lässt, dass er jeden anderen, nur nicht seine Frau wählen wird. Dennoch denunziert Chabrol seine Figuren nicht, gibt Annes Engagement für eine bessere Politik nicht ganz der Heuchelei, Gérards schlüpfrige Avancen gegenüber dem anderen Geschlecht nicht der Geschmacklosigkeit preis. Letzlich sind es die charmant-arrogante Art von Bernard Le Coq, die reife Schauspielkunst von Nathalie Baye und das hintergründige Spiel von Suzanne Flon, die die Inszenierung adeln, in der auch Chabrols Sohn Thomas eine passable Figur abgibt. Überhaupt scheint Chabrol seinen Hang zu Familiengeschichten auch im Hinblick auf die eigene Familientradition fortschreiben zu wollen: Sohn Matthieu komponiert nun schon seit „Die Fantome des Hutmachers“ (fd 23 697) die Filmmusik, und Tochter Aurore ist nach ihrer Drehbuchmitarbeit an „Das Leben ist ein Spiel“ (fd 32 920) wieder als Scriptgirl dabei.
Mit dem französischen Shooting-Star Benoît Magimel – Darstellerpreis in Cannes für seine Hauptrolle in Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ (fd 35 070) – und der Neuentdeckung Melanie Doutey, setzt Chabrol wie schon in „Die Farbe der Lüge“ (fd 33783) die Kraft der (jungen) Liebe den morbiden Strukturen der Bourgeoisie entgegen. Wobei die Leinwandpräsenz von Melanie Doutey, aus deren ausdrucksstarken Augen die Ehrlichkeit des Herzens blickt, an einen Satz von François Truffaut erinnert, den er über Isabelle Adjani schrieb: „... als ich aus ‚La Gifle’ (‚Die Ohrfeige’) kam, hatte ich die Überzeugung gewonnen, dass man sie jeden Tag filmen sollte, sogar sonntags.“
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