Drama | Frankreich 2002 | 94 Minuten
Regie: Abbas Kiarostami
Filmdaten
- Originaltitel
- TEN
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Abbas Kiarostami Prod./MK2
- Regie
- Abbas Kiarostami
- Buch
- Abbas Kiarostami
- Kamera
- Abbas Kiarostami
- Musik
- Howard Blake
- Schnitt
- Abbas Kiarostami · Vahid Ghazi · Bahman Kiarostami
- Darsteller
- Mania Akbari (Fahrerin) · Amin Maher (Amin) · Kamran Adl · Roya Arabashi · Amene Moradi
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Formal starr und fast schon ermüdend gibt der minimalistische Film einen Einblick in die iranische Gesellschaft, vor allem was die Stellung der Frauen betrifft.
Wenn zwei Menschen zusammen im Auto fahren, gibt es kein Entkommen. „Niemand gehört niemandem, nicht mal du. Du bist mein Kind, aber du gehörst mir nicht, du gehörst einfach nur zu dieser Welt“, sagt die etwa 30-jährige Mutter zu ihrem zehnjährigen Sohn, der neben ihr im Wagen sitzt. „Aber ich bin ein Kind, ich kann nicht mal mir selbst gehören. Ich muss erst größer werden und ein gewisses Alter erreichen, damit ich mir selbst gehören kann“, erwidert der Junge. Es dauert nicht lange, da wirft der Kleine seiner Mutter vor, egoistisch zu sein, weil sie sich hat scheiden lassen – als wäre er der verlassene Ehemann, der über seine Frau richtet. Irgendwann schreit er seine Mutter auch an.
Redet ein Zehnjähriger wirklich so? Vielleicht schon, wenn er vor dem Improvisieren der Worte so instruiert wird, wie das der iranische Regisseur Abbas Kiarostami mit seinen Laiendarstellern zu tun pflegt. Vielleicht übertreibt der Junge aber auch. Gerade das aber ist es, was „Ten“ bei aller formalen Strenge immer wieder spannend macht: Man weiß nie so genau, was Fiktion und Realität, was improvisiert und inszeniert ist und ob diese zehn Dialoge, in denen auch Widersprüche auftauchen, in den zehn gleichförmigen Szenen wirklich ein getreues Abbild der Situation der Frau im Iran liefern
Formal starr und eingeengt
Manche Gespräche – vor allem die vier zwischen Mutter und Sohn – sind wie lehrreiche philosophische Dispute, andere eher einfache Zustandsbeschreibungen über die (Selbst-)Unterdrückung der Frau in vielen Bereichen. Auf Dauer wirken sie etwas ermüdend, weniger aus inhaltlichen Gründen als aus formalen. Kiarostami engt die Zuschauer hier (ähnlich wie schon in „Der Geschmack der Kirsche“ [fd 33 215], wo es jeweils zwei Männer sind, die sich während einer Autofahrt unterhalten) genauso ein wie die Protagonisten seines Redefilms: Er filmt starre Bilder mit zwei starren Digitalkameras.
Meistens ist während des Gesprächs nur eine Person im Blickfeld, die Fahrerin oder ihr Passagier, sodass sich Aktion und Reaktion im Gesicht dieser einen Person widerspiegeln. Eigentlich eine extreme „Dogma“-Situation, doch mit der dänischen Bewegung hat Kiarostami nichts im Sinn; er drehte schon immer Filme von ungewöhnlicher Einfachheit und Radikalität. Nur, dass diesmal die betörenden Landschaftsszenen fehlen – und auch eine fortlaufende Handlung.
Die Irritation der Zuschauer gehört zu Kiarostamis Selbstverständnis, weil er zum Nachdenken provozieren will, auch über formale Dinge. So beginnt die Nummerierung der Episoden mit der zehnten und arbeitet sich nach vorne, was der Chronologie zuwiderläuft
Von Zehn bis Eins
Zehn: Die Mutter fährt ihren Sohn ins Schwimmbad, während sie über Scheidung, Heirat, die Freiheit des Einzelnen und die Verantwortung für die Familie sprechen. Neun: Sie bringt ihre Schwester nach Hause und diskutiert mit ihr über Kindererziehung. Acht: Fahrgast ist eine alte Frau, die zum Gebet ins Mausoleum will, Gesprächsthema ist Religion. Sieben: Mit einer Prostituierten nachts unterwegs durch die Stadt; beide diskutieren über den sexuellen Handel zwischen Männern und Frauen. Sechs: Sie fährt eine junge Frau, die aus dem Mausoleum kommt und voller Angst ist, dass ihr Freund sie verlassen will. Fünf: Mit dem Sohn vom Haus ihres Ex-Mannes auf der Fahrt zu seiner Großmutter. Vier: Eine junge Frau, die gerade von ihrem Ehemann verlassen wurde, will in ein Restaurant. Drei: Wiederum ihr Sohn; die Diskussion dreht sich um die Eigenschaften, die eine perfekte Ehefrau haben sollte. Zwei: Erneut die junge Frau aus dem Mausoleum, die nun wirklich von ihrem Freund verlassen wurde und völlig aufgelöst ist. Eins: Sie fährt ihren Sohn zur Großmutter.
Die Protagonistin ist keine Taxifahrerin, sie ist einfach nur hilfsbereit, wenn sie außer ihrem Sohn und ihrer Schwester auch andere Frauen mitnimmt, die ihr, der Fremden, jedoch so sehr vertrauen, dass sie ihr ganzes Leben erzählen. Auch das gehört zum Bild der Frau im Iran, von dem hier einige Facetten sichtbar werden, wie sie in anderen iranischen Filmen nicht zu finden sind. Die Fahrerin ist eine gebildete Frau mit weißem Tschador und Sonnenbrille, ihre Schwester ist konservativer gekleidet und verhält sich auch so. Am eindrucksvollsten ist die von ihrem Verlobten wegen einer anderen verlassene Frau: Sie nimmt ihren Schleier ab, zeigt, dass sie ihren Kopf kahl scheren ließ, und bricht in Tränen aus.
Bis zur Emanzipation ist es noch ein weiter Weg, scheint Kiarostami zu sagen, zumal gleich darauf der kleine Junge wieder heftig dafür plädiert, dass die Frau dem Mann Untertan sein soll. Die Fahrerin lächelt nur, weise und traurig – ganz so wie zu Anfang des Films.