Bei der Ankündigung eines weiteren Todesstrafenfilms lehnt man sich zunächst gelangweilt im Kinosessel zurück, um dann aber umso wacher das (Leinwand-)Leben des David Gale zu verfolgen. Was als Justizdrama beginnt, entwickelt sich zum Thriller und zur gewitzten Charade, was von anglophonen Kritikern als Verrat am ernsten Thema Todesstrafe gebrandmarkt wurde. David Gale, ein brillanter Philosophie-Professor in Austin, Texas, sitzt im Todestrakt ein und wartet auf seine Exekution. Delikaterweise war er politischer Aktivist gegen jene Strafe, die ihm bevorsteht – und es ist ausgerechnet seine Geliebte und Mitstreiterin Constance, die er brutal vergewaltigt und ermordet haben soll. Wenige Tage vor seinem Hinrichtungstermin lässt er die prominente Reporterin Bitsey Bloom für ein letztes Interview kommen, und in Flashbacks entfaltet sich nun das Schicksal eines Mannes, der alles hatte: Frau und ein wohlgeratenes Kind, Kompetenz und große Beliebtheit bei seinen Studenten, außerdem das Bewusstsein, politisch auf der richtigen Seite zu stehen – gegen Todesstrafe und Repression in Texas, wo im Jahr 2002 immerhin die Hälfte aller US-amerikanischen Exekutionen stattfand. Als sich Gale – stark alkoholisiert – von einer zuvor abgewiesenen Studentin verführen lässt, bezichtigt sie ihn später der Vergewaltigung, und das Unheil nimmt seinen Lauf: Er wird zwar freigesprochen, die Familie aber ist weg, Ruf und Existenz sind ruiniert. Je mehr Gale von seinem Leben aufblättert, desto stärker kann er Bitsey von seiner Unschuld überzeugen. Sie recherchiert den Mordhergang an Constance, entdeckt Unstimmigkeiten und kommt zu einem überraschenden Ergebnis. Doch die Exekution ist in ein paar Stunden, und ihr bleibt nicht viel Zeit.
Viel mehr darf man eigentlich nicht verraten. Für den Plot dient die Todesstrafe nur der Erhöhung des Einsatzes und addiert eine dramatisch tickende Uhr hinzu. Im Grunde geht es nur um Enthüllung – der Umstände, der Motive, der Beteiligten eines Mordes. Dabei schlagen Drehbuch und Film handwerklich raffiniert Haken, denen man allerdings oft vorausschauend begegnen kann. Schade, dass die Figuren oft zu funktional eingeführt sind, wie der von Anfang an Verdächtige, der es natürlich gar nicht gewesen sein kann, obwohl immer wieder neue Verdachtsmomente gegen ihn auftauchen. Die Rolle Bitseys ist für Kate Winslet reichlich undankbar: naiv und eindimensional wechselt sie allzu schnell von professioneller Distanz zur passionierten Streiterin für Gales Unschuld. Die Studentin, der Gale den Verlust seiner Existenz verdankt, nervt als verführerische Schlampe, und man fragt sich, warum für solche bösen Hexenrollen immer nur Modelfrauen gecastet werden. Und doch ist es seltsam, dass man trotz solcher optischen und inhaltlichen Schwächen gefangen bleibt; was gar nicht so seltsam ist, wenn man sich das bisherige Werk Alan Parkers in Erinnerung ruft, das mit gut 15 Filmen bislang alle Genres bediente. Ob Musik-Kultfilm („The Commitments“, fd 29 158), psychologisches Drama („Birdy“, fd 25 276) oder Horror-Thriller („Angel Heart“, fd 26 378): stets fand Parker die effektivste Synergie von Stil und Sentiment.
Es sind Menschen, die unvermutet bis zum Hals in etwas hineingeraten, Menschen, die ein Ziel haben, doch ihren Preis dafür zahlen. Sie interessieren den in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsenen Briten Parker. Das findet auch Eingang in die wundervoll tiefe Figur von Gales Mitstreiterin Constance. Sie allein ist die verwundbare, gebrochene Person, als die eigentlich David Gale daherkommt. Laura Linney als Kämpferin über den Tod hinaus beherrscht ihre Szenen vollkommen – auch die mit Kevin Spacey. Nicht zuletzt sie sorgt dafür, dass das Leben ihres Freundes nicht in der Gosse endet, sondern sich in einem beispiellosen Akt der Liebe, Freundschaft und Treue erfüllt. Wie sich die Beziehung der beiden zueinander verändert, das allein hat eine Schönheit, die eine eigene Geschichte wert wäre. Diese Entwicklung setzt bei Parker – vielleicht unabsichtlich – genau dort ein, wo der Thriller allein schwächelt, und rettet ihn dadurch. Für einen Moment weiß man nicht mehr, worauf der Film nun hinausläuft, weder vermisst man Kate Winslet noch die Antwort, wer denn jetzt der Mörder war. Allerdings nicht für lange, und die Auflösung der Ereignisse wird durch die letzten Schlussminuten überboten, die alles vorher Gesehene über den Haufen werfen. Nicht völlig unvorhersehbar, nicht ganz einfach nachzuvollziehen, doch schwungvoll präsentiert und zudem äußerst clever.