Ein „schwieriger“ Schüler erhält im Internat des Leipziger Thomaner-Chors eine letzte Chance, wird dort aber schnell in allerlei Abenteuer und den Kampf gegen die „Externen“ verwickelt. Eine kurzweilig-turbulente Adaption des Kinderbuch-Klassiker.
Erich Kästners Jugendbuchklassiker „Das fliegende Klassenzimmer“ entstand 1933 – ein Jahr später ging das Buch mit allen anderen Werken Kästners bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten in Flammen auf. Umso bewegender war es, als Kästner selbst gut 20 Jahre später in Kurt Hoffmanns erster Verfilmung des Stoffs als markanter Erzähler auftrat, der die Ereignisse pointiert kommentierte und nebenbei manchen sentimentalen Anflug ausbügelte. Vor allem das Wiedersehen der beiden alten Freunde, die durch Schicksalsschläge zu verbitterten Einzelgängern geworden waren, sagte zudem viel über den damaligen „Zeitgeist“ und passte in die Botschaft einer möglichen Aussöhnung durch Vergebung und Freundschaft.
Wiederum 20 Jahre später war diese sanfte Utopie in Werner Jacobs’ Neuverfilmung einer turbulent-vordergründigen Internatsgeschichte gewichen, die immerhin einiges über das geistig-soziale Weltbild der frühen 1970er-Jahre verriet: Die bürgerliche Vorstellung von wohlerzogenen, gehorsamen Kindern verband sich mit der markanten Überzeichnung eines „gütigen“ Kapitalismus, der die Armen beschenkt und damit zu sich „emporhebt“.
Die deutsche Teilung spielt jetzt eine Rolle
Was man im Rückblick wohl über die nunmehr dritte Adaption des unverwüstlichen Romans sagen wird? Vor allem wird die Einbeziehung der deutsch-deutschen Teilung sowie der Wiedervereinigung bemerkenswert bleiben: Die zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen voneinander getrennten Freunde Justus und „Nichtraucher“ begegnen sich nun als Erwachsene im vereinten Deutschland im Internat in Leipzig wieder, verarbeiten ihre seelischen Blessuren und ihre Schuldgefühle und besiegeln einen Neuanfang, dem die ihnen anvertrauten Kinder gerne folgen.
Die zentrale Handlung der Kästnerschen Vorlage funktioniert immer noch ausgesprochen gut – was angenehm überrascht, stand doch zu befürchten, dass sich die eher „altmodischen“ Verhaltensweisen der Figuren kaum noch mit dem Bewusstseinszuständen heutiger Schüler in Einklang bringen ließen. Doch Regisseur Tomy Wigand erzählt die vertraute Internatsgeschichte dermaßen unverkrampft, flott und kurzweilig, dass zu keinem Zeitpunkt Berührungsängste oder Befremdlichkeiten auftreten. Behutsam modifiziert und aktualisiert Wigand einige Handlungsstränge, etwa indem er den Schüler Martin Thaler nicht mehr an sozialer Armut, sondern an der schmerzhaften Trennung der Eltern leiden lässt; ansonsten vertraut er zu Recht auf die zeitlose Attraktivität des Stoffes: die handfest ausgetragene Rivalität der Internatsschüler mit den „Externen“, was zu Schneeballschlachten, Ringkämpfen und Entführung führt, vor allem aber die unverbrüchliche Freundschaft und Solidarität von Jonathan, Martin, Matz, Uli und all den anderen Jungs und Mädchen, die die weihnachtliche Musical-Aufführung vom „Fliegenden Klassenzimmer“ zur Nagelprobe für Durchsetzungsvermögen, Charakterstärke und Selbstbewusstsein nutzen.
Utopisch-freundliches, pädagogisch aufgeklärtes Spiel
Selbst die im Grunde sinnlose Mutprobe des zarten, um Anerkennung ringenden Uli wird einfühlsam und respektvoll in ein „modernes Weltbild“ eingefügt, das sich zugleich aus den ethischen Maximen Kästners speist und den Wert der Freundschaft über alle „Traditionsfeindschaften“ zwischen Generationen, aber auch verschiedenen sozialen Schichten erstrahlen lässt. So ergibt sich ein freundlich-utopisches, pädagogisch aufgeklärtes, selten schönfärberisches Spiel, das vor allem auch für sich einnimmt, weil es zeigt, dass nicht nur imaginäre Zauberwelten, Ringträger und Jedi-Ritter unterhalten können, sondern auch ganz normale Kinder mitten in Deutschland.
Die routinierte, nicht sonderlich aufregende Inszenierung wird vor allem von leidenschaftlichen jungen und alten Schauspielern getragen, in der selbst ein ansonsten eher alberner Komödiant wie Piet Klocke weise werden darf, wenn er doziert: „An allem Unfug, der passiert, sind nicht nur diejenigen Schuld, die ihn verzapfen, sondern auch die, die ihn nicht verhindern!“