Der Obrist und die Tänzerin

Drama | Spanien/USA 2001 | 133 Minuten

Regie: John Malkovich

Ein aufrechter, idealistisch eingestellter Polizist soll in den 1980er-Jahren in einem namenlosen südamerikanischen Staat einen mysteriösen Drahtzieher terroristischer Anschläge aufspüren und gefangen nehmen. Spannende Parabel über die Schwierigkeiten, Pflicht, Glück und die Folgen des Handelns unter einen Hut zu bringen. Ambitioniertes Regiedebüt von John Malkovich, das durch seine im guten Sinne altmodische, zudem fast semi-dokumentarische Erzählweise sowie den Mut zu Leerstellen fasziniert. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE DANCER UPSTAIRS | PASOS DE BAILE
Produktionsland
Spanien/USA
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Antena 3 Televisión/Lola Films/Mr. Mudd/Vía Digital
Regie
John Malkovich
Buch
Nicholas Shakespeare
Kamera
José Luis Alcaine
Musik
Pedro Malgheas · Alberto Iglesias
Schnitt
Mario Battistel
Darsteller
Javier Bardem (Agustin Rejas) · Juan Diego Botto (Sucre) · Laura Morante (Yolanda) · Elvira Mínguez (Llosa) · Lucas Rodríguez (Sargento Gómez)
Länge
133 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Eine Grenzstation, irgendwo in den Anden. Man wird Zeuge, wie ein Grenzpolizist überfahren wird. Eine beklemmende, unheilschwangere Atmosphäre liegt über der Szene, man ahnt die Eskalation der Gewalt. Doch alles scheint reine Routine zu sein, ein Foto wird geschossen, ein junger Grenzbeamter unterhält sich mit dem Anführer der Gruppe im Fahrzeug, dann setzt diese ihre Fahrt fort. Erst Jahre später werden sich die beiden Männer wieder Auge in Auge gegenüber stehen. Die flüchtige Bewegung verändert das Leben des Polizeibeamten Rejas dennoch grundlegend. Schnitt: Längst arbeitet Rejas in leitender Funktion bei der Polizei in der Hauptstadt, als diese mit einer nicht abreißenden Welle äußerst eindrücklicher, aber merkwürdig kontextloser Anschläge konfrontiert wird, verübt im Namen eines mysteriösen „Präsident Ezequiel“. Rejas Nachforschungen belegen, dass diese Formen eines Terrors ohne ideologische Absichtserklärung, aber auf hohem theatralisch-symbolischem Niveau in der Provinz seit längerem gang und gäbe sind. Kündigt sich hier eine noch orientierungslose soziale Revolution an? Als eine Theatertruppe während einer Vorstellung in einer Art „Snuff“-Performance einige Regierungsmitglieder exekutiert, ist die Geduld der Militärs erschöpft. Polizei und Staatsanwaltschaft werden im Handstreich entmachtet; fortan „ermittelt“ das Militär mit einer den Terroristen durchaus vergleichbaren menschenverachtenden Gewalt. Rejas muss an den Generälen vorbei ermitteln und manchen Rückschlag hinnehmen. Immerhin liefert ihm ein konfisziertes Videoband ein erstes Bild von Ezequiel und Hinweise auf dessen Aufenthaltsort. Der Rest ist eine Mischung aus routinierter Fahndung und etwas Glück. Doch „Der Obrist und die Tänzerin“ ist nur teilweise ein zurückhaltend erzählter Politthriller, sondern auch das skizzenhafte Porträt eines aufrichtigen, etwas melancholisch wirkenden Polizisten, der von Javier Bardem wunderbar zurückgenommen gespielt wird. Rejas hatte sich vor Jahren entschlossen, seine Karriere als Anwalt aufzugeben, um sich der politischen Korruption zu entziehen. Im Verlauf des Films muss er jedoch erkennen, wie gering der Spielraum eines Gesinnungsethikers in einem umfassenden System aus Korruption, Unterdrückung, Terror und Gegenterror ist. Als er versucht, seine Arbeit mit seinen privaten Interessen – zwischen ihm und Yolanda, der Ballettlehrerin seiner Tochter, entwickelt sich zögernd eine zarte Liebesgeschichte – zu verbinden, wird seine private Utopie und damit auch das symbolische Kapital seiner Integrität zerstört. Am Schluss opfert Rejas seine politische Macht einem verzweifelten Liebesbeweis, obwohl er weiß, dass seine Geliebte diesen weder akzeptieren wird noch kann. Der Schauspieler John Malkovich hat sich für sein Regiedebüt einen faszinierenden Stoff ausgesucht und diesen auf provozierend altmodische und reduzierte Weise realisiert. Sein Film greift Motive aus der Geschichte der peruanischen Terroristengruppe „Sendinero Luminoso“ („Leuchtender Pfad“) auf, deren Kopf, dem ehemaligen Philosophiedozenten Abimael Guzmán, die schillernde Figur des Ezequiel wesentliche Züge verdankt. Doch obwohl der Film bemerkenswerte Bilder für die Ankunft des Terrors in der Hauptstadt findet, handelt er weniger vom Terrorismus, sondern in Form einer Parabel mehr über die Handlungsmöglichkeiten eines Idealisten, der zwar seine Pflicht erfüllt, dabei aber sein individuelles Glück und die mit seiner Person verknüpften politischen Hoffnungen zerstört. Malkovich hat sich für ein fast semi-dokumentarisches Erzählen mit vielen Leerstellen entschieden, die der Geschichte eine ungewöhnliche Vagheit und Zurückhaltung verleihen – und den Terrorakten eine fast surreale Dimension. Seien es die wild um sich schießenden Schulmädchen in ihren Uniformen, sei es die Exekution der politischen Führungselite während eines Avantgarde-Spektakels oder das Bild eines Augenpaares, das Indio-Kinder als Poster auf ihrem Rücken durch die Stadt tragen: der moralische Rigorismus der Revolution trägt hier Züge von Pop-Art, wie sich auch die bittersüße Liebesgeschichte fast wie ein irrwitziges Hollywood-Zitat ausnimmt – und das in einem Film, der mehr als einmal an Peter Lilienthals spröden Klassiker „Es herrscht Ruhe im Land“ (fd 19 661) erinnert. Diese Doppelbödigkeit im Verweis auf die mediale Konstruktion des Terrors charakterisiert auch die explizite Anspielung auf Costa-Gavras’ „Der unsichtbare Aufstand“ (fd 18 264), den die Terroristen auf Video anschauen. Dass Filme Terror und Terroristen glamourös erscheinen lassen können, weiß Rejas’ Vorgesetzter, wenn er erklärt: „In diesen Filmen sind die Terroristinnen immer hübsche Französinnen, und die Polizisten sehen wie Ärsche aus.“ „Der Obrist und die Tänzerin“ macht dabei keine Ausnahme, aber er verschweigt auch nicht die unangenehme Hautkrankheit Ezequiels und weiß zudem: Eine Überdosis Kant, gemischt mit Mao und Marx, gefährdet die innere Sicherheit, Rauchen dagegen das Leben in der Heimlichkeit – und beides zusammen die Gesundheit.
Kommentar verfassen

Kommentieren