Eine in Deutschland lebende Türkin muss erkennen, dass ihr 20-jähriger Sohn drogensüchtig ist und ihr Mann sie betrügt. Da sie nicht in der traditionellen Opferrolle verharren will, entwickelt sie auf den Trümmern ihres Familienlebens ein neues Selbstbewusstsein. Der beachtenswerte Erstlingsfilm einer jungen Türkin, der die Balance zwischen Leichtigkeit und Schwere, Lebensfreude und Verzweiflung findet und sich für einen offensiven Umgang mit tradierten Klischees entscheidet, um den Entwicklungsprozess der Protagonistin sinnfällig zu machen.
- Ab 14.
Anam
Drama | Deutschland 2001 | 86 Minuten
Regie: Buket Alakus
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Wüste Filmprod./ZDF/arte/Wüste Film West
- Regie
- Buket Alakus
- Buch
- Buket Alakus
- Kamera
- Marcus Lambrecht
- Musik
- Mehmet Ergin
- Schnitt
- Ann-Sophie Schweizer
- Darsteller
- Nursel Köse (Anam) · Saskia Vester (Rita) · Audrey Motaung (Didi) · Patrycia Ziolkowska (Mandy) · Leonard Lansink (Bernd)
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Salsa-Musik in einer kleinen Wohnung; drei Frauen um die 40 tanzen ausgelassen durch ein schummerig beleuchtetes Wohnzimmer. Anam ist Türkin, Mutter zweier Kinder, traditionsbewusst, aber nicht konservativ; sie arbeitet als Putzfrau. Ihre besten Freundinnen sind Rita, eine mannstolle Deutsche, und Didi, eine esoterisch angehauchte Schwarzafrikanerin. In Anams überschaubaren Alltag bricht das Unheil ein, als sie entdeckt, das ihr 20-jähriger Sohn Deniz drogenabhängig ist und ihr Mann Mehmet sie mit einer ihrer Kolleginnen betrügt. Zu allem Überdruss zieht auch noch die extrem konservative Schwägerin bei ihr ein, um die häusliche Ordnung zu bewahren: „Ich bleibe solange hier, bis dein Mann wieder zu dir zurückkehrt!“ Für die mürrische Frau mit dem Kopftuch ist klar, dass niemand anderer als Anam am Fortgang der beiden Männer schuld sein kann. Verzweifelt beginnt Anam, ihren Sohn in der ganzen Stadt zu suchen, merkt aber bald, dass Deniz ihre Hilfe nicht will und auf keinen Fall nach Hause zurückzukehren gedenkt. Empfänger ihrer Fürsorge wird dagegen ein deutsches Mädchen: Mandy, die Freundin ihres Sohns, die dringend Heroin benötigt. Mit mütterlicher Wärme versucht Anam, gegen Mandys Drogensucht anzukämpfen, wodurch in ihrer Wohnung die Extreme lautstark aufeinander prallen. Schließlich macht sich das Putzfrauentrio auf den Weg durch die Hamburger Subkultur, um Deniz aus den Krallen des Drogendealers zu befreien.
Es ist viel Zeit vergangen seit Fassbinders „Angst essen Seelen auf“ (fd 18 756), jener bedrückenden und pessimistischen Liebesgeschichte zwischen einer alternden Putzfrau und einem marokkanischen Gastarbeiter. Lange zurück liegt auch „40 qm Deutschland“ (fd 25 729) von Tevfik Baser, jene klaustrophobische Perspektive einer jungen Frau, die Deutschland nur als Hinterhof kennen lernt. Mittlerweile sind aber auch die frischen und lebendigen Geschichten aus der unbekannten Welt deutsch-türkischer Filmemacher zum festen Bestandteil des deutschen Films geworden, wobei es darunter bislang wenige Frauen gab: Ayse Polats „Auslandstournee“ war eine der raren Ausnahmen. „Anam“ ist Buket Alakus Erstlingsfilm. Sie hat ihn ihrer Mutter gewidmet, weil viel Persönliches in den Charakter der Hauptfigur eingeflossen ist – Charakterzüge ihrer Mutter und besonders deren Durchsetzungskraft, aber auch die Erlebnisse anderer Frauen dieser Generation. Dabei scheut die Regisseurin nicht vor Klischees zurück: „Anam“ greift gleich drei Stereotypen auf, die das Bild von Türken in Deutschland bestimmen – Putzfrauen, Kopftücher und Drogen. Doch in diesem offensiven Umgang mit den Klischees liegt auch die besondere Dynamik des Films begründet. Seine Balance zwischen Heiterem und Traurigem, zwischen Lebensfreude und Verzweiflung, Leichtigkeit und Schwere erinnert in ihrer grotesken Tragikomik stellenweise an Pedro Almodóvar oder an den skurrilen Galgenhumor des kubanischen Films. Für Buket Alakus gründet diese Mischung in ihrer eigenen Biografie: Als Kind türkischer Eltern wuchs sie in Hamburg in zwei sehr unterschiedlichen Kulturen auf. Im offensiven Umgang mit den gängigen Stereotypen richtet sich der Film auch gegen die Schweigespirale der „political correctness“ und zeigt eine große Natürlichkeit im Umgang mit der eigenen Identität. War etwa die Hauptfigur in „40 qm Deutschland“ noch ganz leidendes Opfer der Verhältnisse, so ist Anam eine Türkin mit Selbstbewusstsein, die sich im Lauf der Geschichte immer mehr von der traditionellen Rolle als Frau und Mutter und manchen falschen Illusionen entfernt. Sie realisiert ihren einzigen Traum und lernt Autofahren; auf den Trümmern ihres Familienlebens entwickelt sie ein neues Selbstbewusstsein. „Anam“ ist ein Film über starke Frauen, wobei die Titelheldin zwischen den Welten steht, zwischen ihren Kolleginnen und der konservativen Schwägerin, mit deren Weltbild Anams kleine Tochter schon gar nichts mehr zu tun haben will: „Ich will nicht putzen, ich muss nicht putzen, ich soll ein Buch lesen“, sagt diese ganz selbstbewusst. Männer erscheinen dabei nur gebrochen, fast hilflos, allerdings werden sie nie unmenschlich gezeichnet. Gegen die der Thematik innewohnende Tendenz des Moralinsauren wirken die Dynamik der Handlung und die Natürlichkeit der Darstellerinnen. Besonders die beeindruckende Kraft der Hauptdarstellerin Nursel Köse machen ein multikulturell-feministischee Rührstück von vornherein unmöglich.
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