Die Freundschaft einer jungen Frau, die einer bürgerlichen Karriere entsagt und eine moderne Form des Nichtstuns praktiziert, zu einem älteren verschrobenen Plattensammler wird auf eine Bewährungsprobe gestellt, als sie ihm hilft, eine Freundin zu finden, dann aber Zeichen von Eifersucht an sich entdeckt. Amüsante Komödie nach einer Comic-Vorlage, die als unverbindliche Teenie-Unterhaltung mit rasanten Schnitten beginnt, zunehmend unbequemer wird und bald in die Abgründe menschlicher Existenz blicken lässt. Die subversive Zustandsbeschreibung einer desillusionierten Jugend, getragen von einer überaus wandlungsfähigen Hauptdarstellerin. (Lobende Erwähnung der Ökumenischen Jury in Karlóvy Vary 2001)
- Sehenswert ab 16.
Ghost World
- | USA 2000 | 107 Minuten
Regie: Terry Zwigoff
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Filmdaten
- Originaltitel
- GHOST WORLD
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- United Artists/Granada Film
- Regie
- Terry Zwigoff
- Buch
- Daniel Clowes · Terry Zwigoff
- Kamera
- Affonso Beato
- Musik
- David Kitay
- Schnitt
- Carole Kravetz
- Darsteller
- Thora Birch (Enid) · Scarlett Johansson (Rebecca) · Steve Buscemi (Seymour) · Brad Renfro (Josh) · Illeana Douglas (Roberta)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6 (Video)
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Manchmal denkt Enid, dass Norman der einzige Mensch ist, der sie versteht. Der verwirrte alte Mann, der mit der unbeugsamen Gewissheit an einer stillgelegten Bushaltestelle sitzt, dass er eines Tages abgeholt wird, hat wenigstens ein klares Ziel vor Augen. Für Enid und ihre beste Freundin Rebecca ist das Leben im sonnigen Kalifornien dagegen alles andere als ein nicht enden wollender Traum. Nach dem High-School-Abschluss zieht es sie weder an die Strände Santa Monicas noch in eine Geld, Glück und Familie verheißende Ausbildung in einem prestige-trächtigen Unternehmen; vorerst begnügen sie sich damit, ihre spießige Umwelt zu verdammen, alles und jeden zu verachten und dabei extrem cool zu wirken. Während Rebecca als Bedienung in einem Coffee-Shop jobbt, um ihren Entschluss in die Tat umzusetzen, weit weg vom Elternhaus eine Wohngemeinschaft zu bilden, lässt sich Enid durch die Straßen der Kleinstadt treiben. Einziger Höhepunkt ihrer Tagesaktivitäten ist neben dem Herumhängen in abgeschmackten 50er-Jahre-Diners ein Sommer-Kunst-Kurs, den sie noch als High-School-Altlast absolvieren muss. Für Seymour hat die Welt nach 1970 nichts Vernünftiges mehr zu Stande gebracht. Der exzentrische „Nerd“ erfüllt seine wenigen Leidenschaften im antiquarischen Ambiente seines Apartments sowie im Tauschen von Jazz- und Blues-Schellack und abseitigem Country-Vinyl. Ein wenig befremdet nimmt er das Interesse zur Kenntnis, dass Enid an seiner Gesellschaft hat. Noch weiß er nicht, dass sie und Rebecca durch eine Annonce auf den wesentlich älteren Sonderling aufmerksam geworden sind und ihn nur zum Zeitvertreib vorführen wollen. Je länger sich Enid mit der eigenartigen Weltsicht Seymours beschäftigt, desto faszinierender erscheint ihr diese Alternative zum abgeschmackten Zeitgeist der Jahrtausendwende. Beide entdecken mehr Gemeinsamkeiten als sie vermuten, und Seymours Sichtweise auf den Lifestyle kultiviert bei Enid eine Ader, die ihre Kunstlehrerin mit einem Stipendium zu fördern gedenkt. Im Gegenzug geht Enids Engagement so weit, dass sie ihrem „Zeitvertreib“ hilft, die Frau seiner Träume zu finden. Während Rebecca für dieses Engagement nur wenig Verständnis aufbringt, erzeugt die Idylle zwischen Seymour und seiner hausbackenen Immobilienmaklerin Dana bei Enid ein Gefühl, das sie noch nie bei sich entdeckte: Eifersucht. Das fragile Beziehungsgeflecht, das sie bislang vor dem Absturz in die Isolation bewahrte, steht vor einer Zerreißprobe.
Terry Zwigoffs Karriere begann ebenso steil wie unverhofft mit einem Dokumentarfilm: „Crumb“ (fd 31 371), der eigentümliche und kongeniale Blick auf die Welt des gleichnamigen Karikaturisten, avancierte 1995 zum Publikums- und Kritikerliebling. Es verwundert daher nicht, dass auch Zwigoffs erster Spielfilm dem Sujet treu bleibt: Vorlage zu „Ghost World“ ist der gleichnamige, absonderlich zwischen Tristesse und beißender Satire pendelnde Comic von Daniel Clowes. Was in den dramatischen Wendungen der Chronologie einer verkorksten Jugend steckt, gibt „Ghost World“ zunächst nicht preis. Der geniale Kniff dieser amüsanten Tragödie liegt vielmehr in ihrer subtilen Überrumpelungstaktik: Der Film beginnt recht unverbindlich als leichtfüßige Teenie-Unterhaltung, wobei markige Sprüche gegen absurde Situationskomik geschnitten werden und der brillante Einsatz von Musik, Lifestyle-Attitüden und die hohe Schnitt-Kunst eher auf eine überdurchschnittliche Soap als ein abgründiges Drama verweisen. Die auf Wiedererkennungseffekt hin besetzten Charaktere (allen voran Steve Buscemi als Seymour und Illeana Douglas als groteske Hippie-Kunstlehrerin) vermitteln das trügerische Gefühl einer anspruchsvollen, aber auf üblichen Pfaden wandelnden Independent-Komödie. Die unbequemen, nachdenklich stimmenden Aspekte offenbaren sich erst, als dem zunehmenden Gefühlschaos, in das Enid sich selbst und den Zuschauer stürzt, keine Karthasis in Form eines Happy Ends folgt. Die aus dem Hut gezauberte Lösung aller Probleme wird man im Drehbuch wie auch in der Comic-Vorlage vergebens suchen, was „Ghost World“ zu einer der subversivsten Komödien der jüngsten Zeit macht; in der Zustandsbeschreibung einer desillusionierten Jugend mit virulenter „Null Bock“-Mentalität wirkt er wesentlich eindringlicher als viele erdenschwer daherkommende „Problemfilme“. Thora Birch („American Beauty“, fd 34 066) füllt souverän das einst von Wynona Ryder und (in Ansätzen) Christina Ricchi ausgefüllte Fach der unbeachteten Rebellin, die ihren hohen Ansprüchen nicht einmal selbst gerecht werden kann. Wenn Enid am Ende erkennt, dass der alte Norman der einzige logische Verbündete in einer von Menschen gemachten „Ghost World“ ist, dann ist es besonders ihrer schauspielerischen Wandlungsfähigkeit zu verdanken, dass der Film nicht an seinem dramaturgischen „U-Turn“ zerbricht.
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