Die enge Beziehung der Geschwister Erika und Klaus Mann wird chronologisch bis zum Tode Klaus Manns erzählt, wobei vor allem ihre Homosexualität, der Wandel zu politisch bewussten Menschen und Drogenprobleme deutlich werden und die Zeitgeschichte eher beiläufig erwähnt wird. Ein filmischer Essay, der mit gezielten Brüchen, Archivbildern, Fotografien, Zitaten der Geschwister aus dem Off, Interviews mit Erika Mann sowie mit Zeitzeugen und nachgespielten Szenen mit Schauspielern arbeitet.
- Ab 16.
Escape to Life - Die Erika und Klaus Mann Story
- | Großbritannien/Deutschland/Frankreich 2000 | Minuten
Regie: Andrea Weiss
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- ESCAPE TO LIFE
- Produktionsland
- Großbritannien/Deutschland/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- Jezebel/zero film/YLE TV2/ZDF/arte
- Regie
- Andrea Weiss · Wieland Speck
- Buch
- Andrea Weiss · Wieland Speck
- Kamera
- Uli Fischer · Ann T. Rossetti
- Musik
- John Eacott
- Schnitt
- Andrea Weiss · Prisca Swan
- Darsteller
- Christoph Eichhorn (Karl) · Maren Kroymann (Marion von Kammer) · Cora Frost (Franziska) · Jean Loup (Speed) · Guido Kleinadam (Andreas)
- Länge
- Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Das berühmte Schwarz-Weiß-Foto, das die Avantgarde-Künstlerin Lotte Jacobi 1930 in Berlin aufnahm, darf nicht fehlen: Erika im Profil mit Kurzhaarschnitt, Hemd und Schlips. Sie sieht aus wie ein Mann und dreht den Kopf hinüber zu Klaus, der lässig eine Zigarette im Mund hält und sie mit verschleiertem Blick von der Seite anschaut. „Wir traten wie Zwillinge auf, die Erwachsenen wie die Kinder hatten uns als Einheit zu akzeptieren“, sagt die Stimme aus dem Off. Beides zusammen ist das Leitmotiv des Films, den Andrea Weiss (nach ihrem im vergangenen Jahr veröffentlichten Buch) und Wieland Speck über das Leben der beiden Kinder von Thomas Mann zusammengestellt haben. Auch wenn der Film chronologisch dem über weite Strecken gemeinsamen Leben von Erika und Klaus Mann folgt und ohne Kommentar auskommt, ist er eher ein Zeitbild und ein multimedialer Denkanstoß denn eine Biografie, mehr Essay denn Dokumentation. In jedem Satz der Fotografin Marianne Breslauer, des Schauspielers Igor Pahlen der jüngsten Schwester Elisabeth und natürlich in dem Interview mit Erika Mann selbst kommt ein neuer Aspekt aus dem vielschichtigen Leben ans Tageslicht; wie schön es in der Münchner Villa war, in der sie aufwuchsen, mit wie viel Spaß sie schon als Kinder Theater spielten und wie sich Erika freute, als sie bei Max Reinhardt ihr erstes Engagement als Schauspielerin bekam. Das (späte) Interview mit Erika Mann stammt aus dem Archiv, aber wenn Erika und Klaus sich - richtig mondän - in Berlin Mitte der 20er-Jahre ins wilde Nachtleben stürzen, wird die Szenerie mit Darstellern nachgespielt: in Farbe und atmosphärisch-satten Hochglanzbildern.
Immer wieder bekommt die Stimmung einen Bruch, wenn solche Szenen inszeniert werden, nicht nur, weil sie immer eine Spur zu theatralisch geraten sind, was nicht zuletzt an den Darstellern Maren Kroymann, Cora Frost und Christoph Eichhorn liegt, sondern weil die Bilder oft die Zitate einfach nur verdoppeln, ohne ihnen eine neue Dimension zu geben. Auf Erika Manns beschreibende Worte „Es war ganz allgemein ein offenes Sich-Berauschen ohne Grund, um dies zu erreichen, waren alle Mittel erlaubt: Musik und Alkohol, Marihuana, Morphium und Kokain“ folgen Bildern von Klaus im Rausch. Wenn von Klaus Manns ersten homosexuellen Erfahrungen und Bekenntnissen die Rede ist, sieht man ihn kurz drauf mit seinem Geliebten im Bett. Auch wenn diese Einlagen in sich stimmig sind, wollen sie nicht so recht zu den anderen Einzelteilen des filmischen Puzzles passen. Paradoxerweise liegt genau darin aber der Reiz dieses Essays, denn das weitgehend gemeinsame Leben der Geschwister - in Deutschland, später in Europa und Amerika im Exil - war geprägt von solchen Widersprüchen. Die Liebe und Fürsorge der Geschwister füreinander überbrückte sie. Warum sonst heiratete Erika Gustaf Gründgens, der doch wohl eher der Geliebte von Klaus war, und Erika zu der Zeit in Liebe einer Frau, Pamela Wedekind, zugetan war?
Solche Fragen kann der Film natürlich nicht klären, und die Sache mit Klaus Manns exzessivem Drogenkonsum auch nicht. Als die beiden 1933 Hitler-Deutschland verlassen und Klaus Mann zunehmend depressiver wird, ändert sich der Tonfalls des Essays nur unmerklich, trotz der Zitate mit den Selbstmordgedanken, die Klaus Mann immer wieder äußert. Vanessa Redgraves herbe Stimme auf dem Off (die Erika Manns Gedanken im Exil spricht, auf Englisch) ist nun mal markanter als die ihres Bruders Corin, aber es ist eine schöne Geste, das Geschwisterpaar Mann von den Schauspieler-Geschwistern Redgrave sprechen zu lassen. Der Film über die Manns, dessen enge Beziehung sich durch Klaus’ Drogenkonsum in den 40er-Jahren und Erikas allmähliche Annäherung an ihren Vater, die Klaus nicht billigte, etwas lockerte, schließt folgerichtig mit dem Ende der Symbiose, mit Klaus Manns Selbstmord im Jahr 1949. Auch wenn „Escape to Life“ nicht von einem Geschwisterpaar gedreht wurde, so gibt es auch Parallelen zu den Filmemachern. Andrea Weiss und Wieland Speck bekennen sich ebenfalls beide zu ihrer Homosexualität - und so wie Erika Mann der stärkere des Duos war, dominiert auch die bekannte amerikanische Dokumentaristin Andrea Weiss mit ihrem typischen Stil, Interviews, Fotos und Archivaufnahmen zu einem atmosphärischen Zeitbild zusammen zu stellen. Die Spielszenen sind eher Wieland Speck zuzuordnen, der vorher schon Spielfilme („Westler“, 1985) und Video-Dokumentation drehte und ursprünglich eine Serie von Kurzfilmen nach Werken von Klaus Mann plante. Die Einheit, die Klaus und Erika Mann in sich selbst sahen, ist hier zwar nicht entstanden, dafür aber ein Essay, der lebhafter und konzentrierter ist als viele Bücher über die Manns.
Kommentar verfassen