Eine junge Frau, die mit ihrem kleinen Jungen in der Sertao im Nordosten Brasiliens lebt, heiratet einen älteren Mann und führt seinen bescheidenen Haushalt. Nach und nach stoßen zwei weitere Männer hinzu, mit denen sie Kinder bekommt und mit denen sie unter einem gemeinsamen Dach lebt. Eindringliche Parabel über das Geschlechterverhältnis, die die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt und pointiert die Möglichkeit eines radikalen Gegenentwurfs vor Augen führt.
- Sehenswert ab 12.
Ich Du Sie - Darlenes Männer
- | Brasilien 2000 | 106 Minuten
Regie: Andrucha Waddington
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Filmdaten
- Originaltitel
- EU, TU, ELES
- Produktionsland
- Brasilien
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- Conspiraçao Filmes/Columbia TriStar Filmes do Brasil Prod.
- Regie
- Andrucha Waddington
- Buch
- Elena Soarez
- Kamera
- Breno Silveira
- Musik
- Gilberto Gil
- Schnitt
- Vicente Kubrusly
- Darsteller
- Regina Casé (Darlene) · Lima Duarte (Osias) · Stênio Garcia (Zezinho) · Luis Carlos Vasconcellos (Ciro) · Nilda Spencer (Raquel)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Das brasilianische Filmschaffen war im letzten Jahrzehnt heftigen Turbulenzen ausgesetzt. Nach der neoliberalen Kappung aller öffentlichen Unterstützungen und dem daraus resultierenden Niedergang der Filmindustrie besann man sich Mitte der 90er-Jahre und legte neue Filmfonds auf, die von steuerlichen Vergünstigungen flankiert wurden. Die Folge waren nicht nur teure Renommier-Projekte wie „Tieta do Brasil“ (fd 32 687), aufwändige historische Kostümschinken sowie eine wuchernde Fülle von Co-Produktionen mit dem Fernsehen, sondern es entstand auch eine Reihe ambitionierter Arbeiten junger Regisseure, von denen Walter Salles mit „Central Station“ (fd 33 459) sogar in Europa bekannt wurde. Wie in dessen halbdokumentarischem Road Movie spielt auch in Andrucha Waddingtons wirklichkeitsgestättigter Parabel über das Geschlechterverhältnis der Sertão eine zentrale Rolle, der karge, nichtindustrialisierte Nordosten Brasiliens. In dieser lehmbraunen, meistens sehr trockenen Region lebt Darlene, eine starke, aufrechte Frau, die aus ihrem Dorf verschwindet, als sie schwanger wird. Jahre später kehrt sie in die staubigen Weiten zurück, um ihren Jungen von ihrer Mutter segnen zu lassen, kommt aber nur noch zu deren Beerdigung recht. Der graubärtige, schon etwas ältere Osias findet Gefallen an der stolzen Erscheinung und bietet ihr die Heirat an. Sein Motiv ist nicht Leidenschaft, sondern ein ausgeprägtes Phlegma, kann er doch mit Darlene in seiner schlichten Hütte künftig den Tag in der Hängematte dösen, während sie für Essen sorgt, Wasser holt und auf dem Feld arbeitet. Darlene lässt sich von Osias’ herrischer Muffigkeit jedoch nicht die Laune verderben; als ein junger Schwarzer vorbeikommt, wird sie wieder schwanger. Dass das Kind ziemlich dunkel gerät, stört den Lauf der Dinge nicht weiter. Irgendwann aber ist Darlene die Eintönigkeit dennoch leid: Sie packt ihre Habseligkeiten, liefert den Erstgeborenen bei seinem leiblichen Vater ab und sucht mit dem zweiten Kind das Weite. Osias aber holt sie zurück und überredet seinen Vetter Zezinho, sich um Darlene zu kümmern. Beide gehen gerne aus und lachen viel; weil Zezinho auch kochen kann, zieht er zu den beiden. Bald kündigt sich weiterer Nachwuchs an: Auch Zezinho wird Vater. Irgendwann - Zeit spielt in dieser Welt kaum eine Rolle - lernt Darlene beim Tanzen Ciro kennen, einen jungen Wanderarbeiter, mit dem sie bald ein Verhältnis beginnt. Als sie zum vierten Mal ein Kind erwartet, besteht sie darauf, dass auch Ciro einen festen Platz in Osias Haus erhält.
Eine Frau mit drei Ehemännern - alle Kinder sind Knaben - ist nicht nur in Brasilien eine Provokation, stellt sie doch nicht nur den „Machismo“, sondern auch dezentere patriarchale Modelle auf den Kopf. Doch es geht in diesem humorvollen Drama nicht um eine billige Travestie, die im Spiegel schlichten Rollentausches tradierte Herrschaftsformen der Lächerlichkeit überführt. Im Zentrum steht vielmehr eine kraftvolle, vitale Utopie, deren subversive Wirkung sich der Qualität ihrer filmischen Gestaltung verdankt. Nichts an diesem Film wirkt konstruiert oder illustrativ, was zu einem beträchtlichen Teil dem Charisma der Hauptdarstellerin Regina Casé zu verdanken ist, die ihrer Figur eine beeindruckende Natürlichkeit verleiht. Darlenes Lebensmut und ihre Fähigkeit, sich der Kraft des Augenblicks zu öffnen, würde ohne ihre pointierten männlichen Antipoden jedoch bald verpuffen. Deren Besetzung, mehr aber noch die Anlage ihrer Rollen sichert der Geschichte jene Glaubwürdigkeit, auf der sich die parabelhaften Züge entfaltet können. So fällt es nicht schwer nachzuvollziehen, warum Osias seinen Vetter ins Haus holt und nach einiger Zeit auch als Zweitmann akzeptiert, da er alle Strippen in der Hand zu halten glaubt. Selbst Ciro kommt ihm im Grunde recht, weil er sich aus der Position des konkurrierenden Rivalen gänzlich auf die Rolle des Übervaters zurückziehen kann; nur Zezinho erscheint vorübergehend als quengelnder Verlierer.
Die subtile Dialektik von Macht und Ohnmacht, Abhängigkeit und Dominanz funktioniert auch deshalb so reibungslos, weil die filmische Erzählung zwar geradlinig, aber in episodischen Zeitsprüngen vorwärts schreitet, wobei die Übergänge so gestaltet sind, dass sie kaum wahrgenommen werden, wobei der allgegenwärtige Ocker-Ton der Sertão das Geschehen kontinuierlich grundiert. „Ich Du Sie - Darlenes Männer“ ist ein eindringlicher Film jenseits der ausgetretenen Kinopfade, der weniger die realen Verhältnisse konterkariert als die Möglichkeit eines radikalen Gegenentwurfs vor Augen führt. Zwar sind der Übertragbarkeit seiner Elemente enge Grenzen gesetzt, weil sich die archaische Einbettung dem Transfer in städtisch geprägte Lebensverhältnisse widersetzt, und doch vermag die unzeitgemäße Geschichte der Fixierung auf die Kleinfamilie zumindest im Reich des Imaginativen eine plausible Alternative zur Seite zu stellen.
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