Das englische Sprichwort „Where there is a will, there is a way“ (Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg) scheint vor allem auch in Hollywood Geltung zu haben. Gene Kelly begann im zarten Alter von fast 40 Jahren in Filmen wie „Ein Amerikaner in Paris“ eine beispiellose Karriere als Tänzer. Da nimmt es nicht Wunder, dass ein elfjähriger Junge aus einer nordostenglischen Bergarbeitersiedlung zu träumen beginnt, wenn er Fred Astaire in „Ich tanz’ mich in dein Herz hinein“ mit „White Tie and Tails“ tanzen sieht.
„Billy Elliot - I will dance“ kommt wie großes Hollywood-Kino daher, und noch die roten Backsteinhäuser der Bergarbeitersiedlung möchte man zunächst für eine Studiokulisse halten. Verwundert muss man feststellen, dass es sich um einen britischen Film vor authentischer Kulisse handelt, wo es eine der letzten Zechen der Region gibt. Die Menschen dort haben nicht viel zu lachen: wenig Arbeit, viel Elend und bis auf eine Sporthalle, in der die Jungen das Boxen und die Mädchen Ballett lernen, kaum Unterhaltung.
Eine heimliche Leidenschaft
Zwischen Boxschule und Tanzschule, zwischen Kohlenhalde und pittoreskem Friedhof lebt Billy Elliot, ein musisch begabtes Kind, das eines Tages den Boxhandschuh mit dem Tanzschuh vertauscht. Seine Leidenschaft muss Billy jedoch vor seinem Vater verbergen, der nach dem Tod der Mutter verbittert und durch Streik und Arbeitslosigkeit recht deprimiert ist. Tanz erscheint ihm als Frauensache, die, wenn Männer sie betreiben, womöglich homosexuell macht.
Die Idee, einen Tanzfilm in eine Bergarbeitersiedlung zu positionieren, ist ungewöhnlich genug. Dass Drehbuchautor Lee Hall als zeitlichen Hintergrund auch noch den großen Bergarbeiterstreik Mitte der 1980er-Jahre wählte, sichert erfolgreich große Emotionen. Der Kampf des Jungen um sein individuelles Glück geht mit dem Arbeitskampf eine wohl kalkulierte Verbindung ein. So gewinnt die Geschichte an Dramatik und Sentimentalität, wenn berittene und mit großen Plastikschilden bewehrte Polizei choreografisch geführt zum Einsatz kommt oder wenn die Arbeitslosen Geld sammeln, um Billy die Fahrt ins Tanzmekka nach London zu ermöglichen.
Für „Billy Elliot - I will dance“ müsste das zitierte Sprichwort indes leicht abgewandelt werden: Wo ein Talent ist, ist eine Tanzlehrerin. Mrs. Wilkinson nimmt so etwas wie die Rolle einer Ersatzmutter ein. Während des Tanzunterrichts raucht sie Kette und hält ihre Zigarette wie einen Degen, um einen imaginären Feind fernzuhalten. Weil sie weder in ihrer Ehe noch in ihrem Beruf ausgelastet ist, bietet sie dem Jungen für einen symbolischen Preis von 50 Pence Einzelunterricht an. Fordernd und einfühlend führt sie ihn zur Prüfung an der London Ballett School und interveniert bei Billys an allen Fronten streikender Familie.
Ohne sentimentale Manipulation
Was die Leidenschaft für den Tanz angeht, musste Jamie Bell als Billy Elliot offenbar nicht in die große Trickkiste greifen; der 14-Jährige verwandelt einfachste Bewegungen in Tanzfragmente und spielt und tanzt mit großem Ernst und ganzer Hingabe einfach großartig. Selbst wenn er seine Pirouetten übt und zwischen all den sechs- bis zwölfjährigen Miniballerinen übers Parkett gleitet, macht er eine gute Figur.
Dramaturgisch ausgepolstert wird die Geschichte durch psychologisch wohl kalkulierte Nebencharaktere. So wird das familiäre Milieu der Tanzlehrerin zwischen einem trunksüchtigen Mann und einer frühreifen Tochter so offen präsentiert wie Billys dumpfes Heim zwischen siechender Großmutter und großspurigem Bruder. Das alles wird geschickt inszeniert, geschnitten und montiert, wobei Theaterregisseur Stephen Daldry, der hier sein Filmdebüt gibt, ein großes Talent offenbart, visuell Stimmungen zu erzeugen, zu steuern und den Zuschauer sentimental zu lenken.