„Erin Brockovich“ ist in Steven Soderberghs filmischem Werks das, was für David Lynch „Ein wahre Geschichte - The Straight Story“
(fd 33 981) war: eine geradlinige Geschichte, eine willkommene Abwechslung - und eine Überraschung. Man kann es aber auch von der entgegengesetzten Seite betrachten: Auch Julia Roberts war bislang noch nie in einem Film zu sehen, der trotz seines Major-Budgets aussieht wie eine kleine Independent-Produktion. Man muss sich also einen geradeheraus erzählten Film vorstellen, der seiner Protagonistin in keiner Szene von der Seite weicht und sich dabei im dokumentarischen Look des New Hollywood der frühen 70er-Jahre präsentiert.Erin Brockovich ist zweifache Mutter und dreimal geschieden. Als es ihr nicht einmal gelingt, nach einem Verkehrsunfall eine gute Entschädigung zu erhalten, setzt sie ihren Anwalt moralisch unter Druck: Jetzt soll er ihr wenigstens einen Job in seiner Kanzlei verschaffen. Zwar ist er dort der Einzige, der dem schroffen Charme und der nicht minder offensiven Aufmachung der jungen Frau etwas Sympathie entgegenbringt - und doch ist er froh, als er sie mit einem Aktenkarton in Heimarbeit entlassen kann. Doch was die ungelernte Hilfskraft dann in einem unscheinbaren Immobilienfall an Konfliktpotenzial entdeckt, wird ihn und den Zuschauer noch den Film über beschäftigen. In einer kleinen Stadt in der kalifornischen Wüste hat ein Großkonzern mit seiner örtlichen Fabrik das Grundwasser verseucht, doch den Vorfall bei den Anwohnern so geschickt vertuscht, dass diese ihr Unglück nicht einmal glauben wollen. Im Alleingang motiviert Erin jeden Einzelnen der zum Teil schon schwer Erkrankten und die Hinterbliebenen der zahlreichen Leukämieopfer zur Sammelklage.Soderbergh folgt seiner Hauptfigur dabei auf Schritt und Tritt. So, wie sie selbst ihrer neuen Verantwortung alles andere im Leben unterordnet, so verweist auch seine Dramaturgie die für das Genre übliche romantische Nebenhandlung in die Schranken. Obwohl Erin in einem Motorradfahrer einen liebevollen Zweitvater für ihre Kinder findet, geht die Beziehung in die Brüche. Auch dies aber wird nicht überdramatisiert, wie Soderbergh überhaupt jede Übertreibung wie die (Umwelt-)Pest meidet. Weiß man um das Budget eines Julia-Roberts-Vehikels, dann kann man den Mut der Produzenten nicht hoch genug schätzen, der Realisation dieses wahren Vorfalls jeden falschen Glanz von vorn herein ausgetrieben zu haben. „Ich wollte sicher gehen“, sagt Soderbergh, „dass nichts im Drehbuch stand, das unnötig provokativ war oder nur da stand, um einen dramatischen Effekt zu schaffen.“ Das Ergebnis ist ein auf spektakuläre Weise unspektakulärer Film, pointiert im Dialog, wunderbar gespielt, der seine Laufzeit von rund zweieinhalb Stunden zur beharrlichen Unterstreichung und Intensivierung einer einzigen, auf rührende Weise einfachen Idee nutzt. Das mag am Ende durchaus an eine ambitionierte Fernsehserie der politisch wacheren 70er-Jahre erinnern - doch ist nicht gerade dies die größtmögliche Entfernung vom Mainstream, die sich Hollywood leisten kann? Soderberghs Grundthema, die Konfrontation unterschiedlicher Wirklichkeitsauffassungen, ist dabei freilich nicht minder präsent als in seinen früheren Filmen: Hier ist es die ungewöhnliche Weltsicht einer Protagonistin, die selbst zum Objekt äußerlicher Einschätzungen ihrer Umwelt wird. Seit einem Jahr verblüfft Hollywood nun mit radikalen Autorenfilmen, die scheinbar keinen Markt haben: „Der schmale Grat“, „Eyes Wide Shut“, „Fight Club“, „American Beauty“. In dieser Reihe künstlerisch unterschiedlicher, letztlich aber erfolgreicher Wagnisse wünscht man „Erin Brockovich“ einen Ehrenplatz.