Drama | USA 1999 | 193 Minuten

Regie: Paul Thomas Anderson

Ein Tag und eine Nacht im Leben von neun Personen im San Fernando Valley, deren Schicksale auf mehr oder weniger wundersame Weise miteinander verknüpft sind. Ein episodisch strukturierter Film, der eine Fülle von Geschichten entfaltet, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Schuld der Väter und die Kraft des Verzeihens ihrer Kinder steht. Dabei beinhaltet das virtuos inszenierte und eindrucksvoll gespielte Drama die Hoffnung, dass zwanghafte psychische Prägungen überwunden werden können. Ein vielschichtiger, immer wieder überraschender Film von großer Intensität, der moderne Wirklichkeitskonstruktionen nachhaltig in Frage stellt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MAGNOLIA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Ghoulardi Film/The Magnolia Project/New Line Cinema
Regie
Paul Thomas Anderson
Buch
Paul Thomas Anderson
Kamera
Robert Elswit
Musik
Jon Brion · Fiona Apple · Aimee Mann
Schnitt
Dylan Tichenor
Darsteller
Jason Robards (Earl Partridge) · Julianne Moore (Linda Partridge) · Tom Cruise (Frank T.J. Mackey) · Philip Seymour Hoffman (Phil Parma) · Philip Baker Hall (Jimmy Gator)
Länge
193 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die mustergültige Special Edition (2 DVDs) enthält u.a. eine 73-minütige "Making-of..."-Reportage und ein Feature mit nicht verwendeten Szenen (8 Min.).

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Im Wettbewerb der diesjährigen „Berlinale“ hätte es radikalere, vielleicht auch tief schürfendere Filme für den „Goldenen Bären“ gegeben als Paul Thomas Anderson dreistündiges symphonisches Mammutwerk - aber gewiss keinen wagemutigeren. Was der 30-jährige Kalifornier nach „Last Exit Reno“ (fd 34 127) und „Boogie Nights“ (fd 33 156) an erzählerischer und formaler Kühnheit an den Tag legt, grenzt ans Fahrlässige - und belegt im Ergebnis ein außerordentliches filmisches Talent, das die gewaltige Partitur einer kaum zu überblickenden Zahl an Figuren, Konstellationen und Ereignissen jederzeit und energisch im Griff hat. Der Zufall, dem darin eine Hauptrolle eingeräumt wird, erhält in der Inszenierung jedenfalls keine Chance, die mit einer irrwitzigen Ouvertüre auf das treibende Stakkato verdrängter Schuld und lastender Versäumnisse einstimmt. Ein TV-Special informiert in rasanter Geschwindigkeit über drei unglaubliche, aber historisch verbürgte Fälle: zum Beispiel über den Tod eines Selbstmörders, der den Sprung überlebt hätte, wenn ihn auf dem Weg in die Tiefe nicht eine Kugel getroffen hätte, die von seinem Vater unabsichtlich abgefeuert wurde. Das Eigenartigste daran aber war, dass der Tote selbst Tage zuvor das Gewehr geladen hatte, das in den Auseinandersetzungen seiner Eltern eine fast rituelle Rolle spielte. Solchermaßen auf das Unwahrscheinliche vorbereitet, landet der Film im San Fernando Valley in der titelgebenden Straße, die er für den Zeitraum eines Tages und einer Nacht episodisch entlang streift und am Leben seiner neun Protagonisten teilnimmt.

„Magnolia“ ist einer jener Filme, über die man nicht sprechen kann, ohne eine zentrale Pointe zu verraten. Bis zu dessen Ereignis aber lockt er in die Untiefen der Gegenwart, in der das Fernsehen eine dominante Wirklichkeit darstellt. Ein alt gewordener, krebskranker Showmaster wie Jimmy Gator ist darin eigentlich ein Anachronismus. Seit Jahrzehnten moderiert er die „What do Kids Know“-Show, deren zynische Scherze er im Schlaf rückwärts, aber nicht ohne Alkohol aufsagen könnte. Das Genie unter den jungen Teilnehmer heißt Stanley, der den Jackpot knacken könnte, würde ihn nicht ein dringendes Bedürfnis plagen. In einer Bar verfolgt ein anderes, vormals berühmtes „Quiz Kid“ die Live-Show: Donnie Smith, der nichts mehr auf die Reihe bringt, seit ihn ein Blitz gestreift hat. Währenddessen ringt ein paar Häuser weiter ringt der Produzent der Sendung, Earl Partridge, mit dem Tod, umgeben von seiner hysterisch aufgelösten, wesentlich jüngeren Frau Linda, die ihn nur widerwillig der Obhut seines Pflegers Phil Parma überlässt, um neues Morphium zu besorgen. Auch Partridge leidet an Krebs, trägt aber noch schwerer am schlechten Gewissen, das nach seinem Sohn verlangt, zu dem seit langem jeder Kontakt abgebrochen ist. Es kostet Phil viel Mühe, diesen ans Telefon zu bekommen, denn Frank T.J. Mackey ist ein gefragter Experte des Geschlechterkampfes, der Männer rüde Macho-Tricks beibringt und eben in einem Interview sitzt, das seine professionelle Maske bald gefrieren lässt. Von Mackeys Grundsätzen („Gehorche deinem Schwanz!“) würde Jim Kurring kaum etwas halten, der den Beruf des Polizist wählte, weil er ohne Helfen zu können ziemlich hilflos wäre. In der hypernervösen Claudia will er deshalb nicht die Kokssüchtige, sondern ein verängstigtes Wesen erkennen, bei dem er dienstlich und privat nicht mehr richtig unterscheiden kann. Mit ihr schließt sich einer der vielen Kreise in diesem Film, denn sie ist die Tochter des todkranken Moderators, den sie aus gutem Grund zum Teufel schickt.

Was sich in dieser Auflistung der „Hauptfiguren“ statuarisch liest, fließt im Film ungeheuer elegant ineinander, ohne dass man sofort versteht oder zu verstehen bräuchte, was die einzelnen Personen miteinander zu tun haben. Und obwohl es eine große Zahl weiterer Nebenrollen und vor allem eine stupende Fülle an Geschehnissen gibt, gerät der erzählerische Fluss fast nie ins Stocken, wozu atemberaubende Plansequenzen, aber auch die dynamisierende Musik einen hohen Anteil beisteuern. Dass dieses polyphone Konzept einer aus den Filmen Robert Altmans bekannten Gleichzeitigkeit aufgeht, hängt auch an der bewunderswerten Interaktion Andersons mit seinem Schauspieler-Ensemble, in dem sich bereits eine Stammbesetzung abzuzeichnen beginnt. Julianne Moore als an sich und dem Schicksal verzweifelnde Linda, der extrem wandlungsfähige Philip Seymour Hofman in der Rolle des treuherzigen Pflegers oder Melora Walters als Rotz- und Nervenbündel verfügen über jene wunderbare Präsenz, die es dem Film ermöglicht, scheinbar nach Belieben zwischen emotional völlig disparaten Handlungssträngen hin- und herzuspringen, ohne dass der Zusammenhang verloren ginge. In besonderer Weise fügt sich auch Tom Cruise in dieses Kontext, der mit dem schmierigen, aggressiven Mackey die gewagteste, vielleicht aber auch beste Rolle seiner Karriere übernahm: Mitten in der aufgewühlten Szene am Sterbebett seines Vaters, wenn die jahrelang aufgestaute Wut aus ihm herausbricht, schneidet Anderson minutenlang andere Sequenzen, um dann ebenso unvermittelt bruchlos fortzufahren, als fügten sich die Aufnahmen wie Schuss und Gegenschuss.

Über die Demonstration von Andersons filmischer Virtuosität hinaus verlangt aber auch die wichtigste inhaltliche Absicht des Films nach dessen Länge und Struktur: die Artikulation des Glaubens an die Möglichkeit, dem blinden Zwang psychischer Prägung zu entkommen. Auf ihre Weise zahlen bis auf den Pfleger Phil und mit Abstrichen auch der Polizist einen (zu) hohen Preis für ihre Wirklichkeitskonstruktion, am deutlichsten sichtbar am Gift und Galle spuckenden Mackey und der süchtigen Claudia, denen die Vergehen ihrer Väter, Verstoß und Missbrauch, quasi ins Gesicht geschrieben stehen, oder dem Wunderkind, dessen Zukunft in der traurigen Gestalt seiner Vorläufers, aber auch an der kalten Liebe seinen Vater ablesbar ist. Gegen diese physisch wie psychisch im Kinosaal erfahrbare Zwangsläufigkeit protestiert „Magnolia“ mit zwei pointierten formalen Brüchen: zunächst nach knapp der Hälfte mit dem von Figur zu Figur weiterlaufenden Lied „It’s not ... going to stop“, dann aber, im letzten Drittel, indem sich der Himmel erbarmt und eine Flut dunkelgrüner Riesenfrösche aufs Land niederdonnern lässt, dass die Häuser beben. Die während der „Berlinale“ eifrig bemühten Parallelen zur Plage, die das biblische Ägypten heimsuchte, verwechselten Bild und Bedeutung, was den durchaus religiös interpretierbaren Sinn dieses surrealen Kniffs gänzlich aus dem Blick geraten ließ: den der Unterbrechung. Mehr als der Zusammenhang von Schuld, Einsicht und Vergebung angesichts des nahen Endes, das der Film als gelingende und als scheiternde Variation durchspielt, mehr auch als die anderen, vielleicht etwas leichthin postulierten Revisionen ausgetretener Lebenspfade berührt der Einbruch des Fantastischen, der als produktive Unterbrechung die Luft reinigt und im Medium des Imaginären die Hoffnung formuliert, dass die Schuld der Väter nicht zwangsläufig ihren Kindern zum Verhängnis werden muss.
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