Ende August, Anfang September

- | Frankreich 1998 | 111 Minuten

Regie: Olivier Assayas

Der Alltag einer kleinen Gruppe von etwa 40-jährigen Intellektuellen, die vorwiegend mit sich selbst beschäftigt sind und privat wie beruflich noch immer ihren Platz im Leben suchen. Das ironische, schmerzliche und nachdenkliche Selbstbild einer Generation wird als eine Art dokumentarisches Tagebuch ausgebreitet, wobei die hektisch bewegte Kamera immer dann zur Ruhe kommt, wenn der Film die Geschichte eines todkranken Freundes erzählt. Das Bewusstsein der Endlichkeit jeden Lebens zwingt, zumindest vorübergehend, zur Besinnung. Ein dialogreicher philosophischer Film, der die Unruhe und Suche der differenziert konturierten Personen in eine stilistisch adäquate Form gießt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FIN AOUT, DEBUT SEPTEMBRE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Dacia/Cinéa/Canal +/Centre National de la Cinématographie/Soficas Sofinergie/Sofigram
Regie
Olivier Assayas
Buch
Olivier Assayas
Kamera
Denis Lenoir
Musik
Ali Farka Touré
Schnitt
Luc Barnier
Darsteller
Mathieu Amalric (Gabriel) · Virginie Ledoyen (Anne) · François Cluzet (Adrien) · Jeanne Balibar (Jenny) · Alex Descas (Jérémie)
Länge
111 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Der Titel benennt den Zeitraum, den die Geschichte umfasst: Erzählt wird, was einem kleinen intellektuellen Freundeskreis zwischen August des einen und September des nächsten Jahres geschieht. Zugleich lässt sich der Titel aber auch als Verweis darauf deuten, wo die gezeigte Generation der zwischen 40- und 50-Jährigen angekommen ist: am Ende des eigenen Sommers. Zwar will man das längst nicht wahrhaben, aber die Natur ist unerbittlich. Es scheint an der Zeit, sich der Endlichkeit seiner selbst bewusst zu werden.

Olivier Assayas (geb. 1955) legt erneut ein sehr persönliches Werk vor: eine intime Reflexion über sich und seine Freunde, eine Bestandsaufnahme der inneren und äußeren Befindlichkeiten. Damit gestattet er sich einen zärtlichen, doch auch ziemlich ernüchternden Blick. Er zeigt Menschen, die ewig auf der Suche, aber noch nirgendwo angekommen sind. Im Gegenteil: Schon die erste Szene markiert einen Bruch. Gabriel und Jenny haben sich nach zehn Jahren getrennt; jetzt empfängt man, gleichsam als letzten gemeinsamen Akt, einen Käufer für die Wohnung. Die Berührungen und Worte der beiden spiegeln eine Unsicherheit, ob das Auseinandergehen tatsächlich richtig war. Vor allem Jennys Satz, dass man einzeln ärmer sei, bezieht sich nicht nur aufs Finanzielle. „Wir haben uns zwar angebrüllt, aber da hat man wenigstens gespürt, dass man lebt“, sagt sie und umreißt damit ihren Seelenzustand. Dass man weder die Verletzungen noch die Zärtlichkeiten der Vergangenheit vergessen hat, wird auch in späteren Szenen deutlich, wobei Mathieu Amalric als Gabriel die generelle mangelnde Fähigkeit seiner Figur skizziert, mit ihren Gefühlen umzugehen. Das war mit Jenny so, und das wird auch so bleiben: Als während einer Dienstreise seine neue Geliebte Anne auftaucht, weist er sie brüsk zurück – er wolle sich nicht von weiblichen Besitzansprüchen nerven lassen. Gleich danach umarmt er sie, als sie plötzlich aus der Dunkelheit tritt: ein Moment, in dem die Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe die latente diffuse Bindungsangst beiseite schiebt. Mit Amalric hat Assayas einen vorzüglichen Darsteller dieses Zwiespalts gefunden: jugendlich, aber schon ein bisschen müde, unsicher und melancholisch, immer am meisten mit sich selbst befasst, mit großen Fragezeichen in den Augen – ein differenziertes, genaues Charakterbild.

Das Unstete, Unruhige der Figuren, ihr Kreisen um den eigenen Bauchnabel wird in eine stilistisch adäquate Form gegossen. Wie in den Arbeiten der dänischen „Dogma“-Bewegung nutzte Assayas eine bewegte Handkamera und drehte meist ohne oder mit nur wenig künstlichem Licht an Originalschauplätzen, in real existierenden Wohnungen, Cafés, Büros. Das Aufblasen des 16-mm-Materials bewirkte grobkörnige Bilder; der Film macht weitgehend den Eindruck eines dokumentarischen Tagebuchs, was durch Inserts, die wie Überschriften der Kapitel wirken, noch unterstrichen wird. Die hektischen Schwenks und Unschärfen sind freilich auf ein Minimum reduziert, wenn von Gabriels Freund Adrien die Rede ist oder dieser selbst im Bild erscheint. Dass die Optik spürbar verhaltener wird, hat einen tieferen Grund: Adrien, der erfolglose Schriftsteller ist schwer krank. Der Tod bricht ins Bewusstsein der Gruppe ein, die schon mit dem Leben überfordert und nun auch noch mit dem Sterben konfrontiert ist, mit dem „viel zu frühen“ Abschied zu einem Zeitpunkt, als vieles offen, nichts geschafft scheint. Adrien grübelt und schreibt, aber kaum jemand lässt sich auf seine Texte ein. Niemals würde er, wie Gabriel, in das Büro einer Enzyklopädie-Redaktion einsteigen oder gar die Memoiren eines Politikers als Ghostwriter verfassen. Die Liaison mit einer 16-jährigen Schülerin hilft ihm, sich selbst ein Gefühl von bleibender Jugendlichkeit zu suggerieren: eine Flucht zurück an den Anfang, als noch alles denkbar war. Zugleich drückt er in einem Abschiedsbrief an sie das Schuldgefühl aus, sie ausgenutzt zu haben. Assayas spielt mit der Ironie des Schicksals, indem er das letzte Buch Adriens nach dessen Tod zum posthumen Erfolg werden lässt – ein Text, der von einem Freund zu Ende gebracht wurde. Als der Verleger darum bittet, nun auch andere, bisher unveröffentlichte Arbeiten publizieren zu dürfen, scheiden sich die Geister. Vor allem Gabriel zögert, zweifelt an der moralischen Rechtmäßigkeit und pocht auf eine verschwommene Pietät: Darf man das, soll man das? Wäre es nicht ehrfürchtiger, wenn man den Umgang mit dem Oeuvre des Toten im Zustand des Status quo beließe? Die Pointe, die Assayas mit der abschließenden Szene dagegen setzt, ist heiter, schmerzlich und irgendwie sogar weise: Aus dem Fenster eines Cafés sieht Gabriel die junge Geliebte Adriens, die nunmehr einen Gleichaltrigen umarmt und küsst. Das Leben geht weiter, so oder so, mit oder ohne uns. Und mit den Fragen, die es aufwirft, muss jeder letztlich ganz für sich allein fertig werden.
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