Moloch (1999)

- | Deutschland/Russland 1999 | 107 Minuten

Regie: Alexander Sokurow

In einer von der Welt abgeschirmten Festung wollen Hitler, sein Adjutant Bormann, Eva Braun, das Ehepaar Goebbels und ein Priester im Frühjahr 1942 ein Wochenende verbringen. Man trifft sich am Abend zum langen Mahl, dessen Gespräche fast nur um Alltäglichkeiten oder Banales kreisen. Am nächsten Morgen reist die Gesellschaft wieder ab. Formbewusster, in seiner bildgewaltigen Umsetzung beeindruckender, inhaltlich aber eher zwiespältiger Versuch, Hitler und den Nationalsozialismus mit primär ästhetischen Mitteln zu dekonstruieren. Der Widerspruch zwischen mythischer Monumentaliät und ihren trivialen Protagonisten löst sich damit nicht auf.
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Filmdaten

Originaltitel
MOLOCH
Produktionsland
Deutschland/Russland
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Lenfilm/zero Film/Fusion Product/Fabrica/Arte/WDR
Regie
Alexander Sokurow
Buch
Juri Arabow · Marina Korenewa
Kamera
Alexej Fjodorow · Anatoli Rodionow
Schnitt
Leda Semjonowa
Darsteller
Jelena Rufanowa (Eva Braun) · Leonid Mosgowoi (Adolf Hitler) · Leonid Sokol (Josef Goebbels) · Elena Spiridonowa (Magda Goebbels) · Wladimir Bogdanow (Martin Bormann)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches, sehr interessantes Interview mit dem Regisseur (50 Min.).

Verleih DVD
Kinowelt (1.66:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Zwischen Nebel und Wolken, hoch in den Alpen, taucht eine graue Festung auf. Sie ist der Schauplatz für einen Wochenendausflug im Frühjahr 1942, der zur Farce wird, ohne dass die Beteiligten es merken. Eva Braun ist zuerst da. Die Zeit, bis ihr Geliebter Adolf Hitler kommt, vertreibt sie sich, indem sie nackt auf Terrassen und Treppen tanzt. Wie ein blonder Engel schwebt sie durch die triste Welt, bis sie auf dem großen Tisch in Hitlers Konferenzzimmer landet. Nach und nach treffen Hitler und seine Vertrauten in dem Hochsicherheitstrakt ein: Parteikanzlei-Leiter und Reichminister Martin Bormann , Propagandaminister Joseph Goebbels mit seiner Frau Magda sowie ein Priester. Mit dem Wagen kommen sie nur bis vor die Eingangsschleuse. Sie müssen durch einen dunklen Tunnel gehen bis zu einem Fahrstuhl, der sie nach oben in die Festung bringt. Dann stehen sie in einem kalten Foyer typisch nationalsozialistischer Bauart mit hohen Wänden und einer Treppe, die zur Galerie und zu den Zimmern führt. Hitler stellt Eva Braun zusammen mit seinen anderen Hausangestellten vor. Bis zum gemeinsamen Essen erlebt man die Beteiligten privat in ihren Zimmern bei Gesprächen über Politik, die Liebe und was sie vom Leben erwarten. Bei der eigentlichen Zusammenkunft, dem langem Abendessen, an dem auch Eva Braun teilnehmen darf, kreisen die (weitgehend echten) Gespräche um Kochrezepte, die Schönheit der Alpen, am Rande auch um die Zukunft Deutschlands, ohne dass Entscheidendes gesagt wird oder Entscheidungen getroffen werden. Am nächsten Morgen reisen die Gäste wieder ab.

Obwohl Alexander Sokurow seinen Film wie ein Theaterstück inszeniert hat und sein Stammautor Juri Arabow in Cannes den Drehbuchpreis erhielt, sind es nicht die Dialoge, die im Gedächtnis bleiben, sondern die eigenwillige Bildsprache, die diese Dialoge reflektiert. Es sind Grisaillen, die Farben sind künstlich eingedunkelt und verblasst, alles hat eine eigentümliche Graublaubraun-Tönung, ist bewusst grobkörnig und ein bisschen unscharf gefilmt. Zusammen mit der sterilen Architektur der Festung schaffen Sokurow und seine Kameramänner eine faszinierend irreale Welt, die immer im Halbdunkel bleibt - genauso wie die Aussagen, die Hitler und seine Gäste machen. Sie sprechen mit Stimmen, die verblüffend sanft und gedämpft klingen, wie durch einen Schleier, und ähnlich weichgezeichnet sind wie die Bilder. Wie es mit dem Krieg weitergehen soll, mit Europa und mit den Juden sind Themen, die nur am Rande der bizarren Tafelrunde diskutiert werden. Für Hitler scheint alles nur ein Spiel zu sein, über die Folgen seines Tuns, über die vielen Menschenopfer, lächelt er müde hinweg. Da ist er durchaus der „Moloch“ des Titels, der sich wie ein Gott aufführt und alle Menschen verschlingt. „Wie viele SS-Abteilungen stehen mir unter? Viele. Und keiner dieser Soldaten geht in die Kirche“, sagt Hitler zu dem Priester. Der scheint ratlos. „Weißt du, wohin sie gehen? In den Tod. Wer kann dieses Paradoxon erklären? Diejenigen, die einen gekreuzigten Toten anbeten, wollen nicht sterben“, wundert sich Hitler. Seine Tischgenossen widersprechen nicht, im Gegenteil - sie plappern oft einfach nach, was er sagt, sie lachen mit ihm und fallen immer recht schnell wieder zurück in Banalitäten wie die Essenszubereitung, die Schönheit der Alpen und anderer Landschaften, die man unbedingt bereisen müsste. Bei alldem geben sie sich durchaus nicht unnahbar, sondern eher menschlich - vor allem Goebbels und Bormann, die um Hitlers Gunst um die Wette buhlen - sind aber auch erstaunlich weltfremd.

In dem langen Tischgespräch will Sokurow die Einfachheit, die Oberflächlichkeit und die Leere nicht nur dieses Gespräches, sondern der ganzen NS-Ideologie vor Augen führen. Dabei macht er es sich jedoch zu einfach, wenn er konstatiert, dass der auf die Massen so begeisternd wirkende Nationalsozialismus und sein charismatischer Führer nur absurdes Theater spielen. Das fängt schon bei der für die Beteiligten extrem wichtigen Diskussion an, wer neben Hitler sitzen darf. Dabei ist Hitler keinen Deut besser oder schlauer als seine Vertrauten, er kann nur besser schauspielern. Denn die Schlüsselszenen, die knappe Zeit, die Hitler und Eva Braun zusammen bringen, offenbaren die Trivialität hinter der Maske. Wenn Eva Braun Hitler, den sie zärtlich „Adi“ nennt, an den Kopf wirft, dass sie ihn liebt, obwohl er eine „große Null“ sei - und ihn bittet, das zu auch zu bleiben, dann regt sich in Hitler kein Widerstand. „Ich weiß, ich weiß alles“, sagt er - und dass es nicht darauf ankomme, was man tue, sondern nur darauf, dass man gewinnt, weil man nur dann Macht habe und verehrt werde. Diesen Worten entsprechend, zeigt Sokurow den Privatmann Hitler im wahrsten Sinn des Wortes nackt - in der Badewanne - und als absolut lächerliche Figur in Unterhemd und Unterhose, während Eva Braun selbst als Nackttänzerin ihre Würde behält. Der private Hitler ist einsam, schmächtig, egoistisch und spricht sich gegen Eva Brauns Kinderwunsch aus. Als Liebende akzeptiert Eva Braun alles bedingungslos, dennoch scheint sie intellektuell allen anderen Personen in der Festung überlegen zu sein. Aber auch sie ist ein Opfer des „Molochs“, denn aus dem versprochenen gemütlichen Wochenende zu zweit wird nichts, weil Hitler seine Vertrauten dazu eingeladen hat, und Eva Braun zusätzlich noch demütigt, indem er sie nicht als seine Geliebte, sondern seine Dienerin vorstellt. Sie hetzt ihm nach, als sie erfährt, dass er schon im Begriff ist, die Festung zu verlassen. Zwar erreicht sie ihn noch, kurz, bevor der Wagen wegfährt, und zeigt vor aller Augen ihre Liebe, er aber - wieder ganz der perfekte Schauspieler – denkt nicht daran, sie mitzunehmen. So ist letztlich Eva Braun, mit der der Film beginnt und endet, die wichtigste Figur, was aber auch nicht zur Erhellung des Phänomens von Hitlers Erfolg beiträgt und die Zwiespältigkeit des Films unterstreicht.
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