Pi - Der Film

- | USA 1997 | 85 Minuten

Regie: Darren Aronofsky

Ein junger Mathematiker glaubt, über das Spiel mit Zahlen den Schlüssel zur Erkenntnis der Welt zu finden. Sein Wissensdrang treibt ihn in die Schizophrenie, so daß er nicht mehr zwischen Gut und Böse, Lüge und Wahrheit unterscheiden kann, sich von bösen Mächten verfolgt fühlt und sich immer mehr in seiner höhlenhaften Wohnung einschließt. Die bedrückende Studie eines Psychopathen, der auf die Muster klassischer Psychothriller und Horrorfilme zurückgreift und sie experimentell verarbeitet. Ein Film von beachtlicher atmosphärischer Dichte, dessen Hauptdarsteller die Stadien von Klaustrophobie und Schizophrenie körperlich intensiv vorführt. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
PI
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Harvest Filmworks/Plantain Films/Protozoa/Truth & Soul
Regie
Darren Aronofsky
Buch
Darren Aronofsky
Kamera
Matthew Libatique
Musik
Clint Mansell
Schnitt
Oren Sarch
Darsteller
Sean Gullette (Maximilian Cohen) · Mark Margolis (Sol Robeson) · Ben Shenkman (Lenny Meyer) · Pamela Hart (Marcy Dawson) · Stephen Pearlman (Rabbi Cohen)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Video)
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Diskussion
Die Geschichte der Welt ist die Geschichte finsterer Verschwörungen kleiner, aber mächtiger Gruppen. Zu diesem Schluß war schon Karl Koch, der Held aus Hans-Christian Schmidts Computerthriller „23“ (fd 33 482) gekommen. Auch Maximilian Cohen, sein New Yorker Geistesbruder, glaubt, diese Erkenntnis am eigenen Leibe zu erfahren: Eine aggressive Wall Street Mafia scheint sich seiner und seines Wissens bemächtigen zu wollen, um die Börsen der Erde zu erobern. Kaum weniger Machtgier geht von einer jüdischen Sekte aus, die sich an Maximilians Fersen heftet, um das Geheimnis der Kaballah zu lüften. Was ist es, das den jungen Mann so interessant macht? Maximilian gilt als ein besessener Mathematiker, der kurz vor einer revolutionären Entdeckung steht. Seit Jahren versucht er, das numerische System zu entschlüsseln. Mathematik, so seine These, sei die Sprache der Natur. Demzufolge könne alles in dieser Welt durch Zahlen dargestellt und erfaßt werden, das vermeintliche Chaos ebenso wie das Walten des Bösen. Wer hinter das Geheimnis der Zahlen kommt, erkennt zugleich, was die Welt im Innersten zusammenhält. Eine Theorie zwischen Genialität und Wahnsinn.

Maximilian bewegt sich wie der Urenkel der beiden Doktoren Faust und Frankenstein durch die Szenerie. Sean Gullette spielt ihn in ständiger Unruhe, wie von den Teufeln seiner eigenen Seele gejagt, die ihm ständig suggerieren, daß das Ziel seiner Forschungen unmittelbar bevorstehe. Sein Wissensdrang quält ihn. Häufig überfällt ihn kaum zu stillendes Nasenbluten. Die Kopfschmerzen werden rasend; zunehmend fällt es ihm schwerer, das Halbdutzend Tabletten, das er zu ihrer Linderung benötigt, in seine zitternde Hand zu schütten. Je näher er dem Ziel zu sein glaubt, um so mehr spaltet sich sein Bewußtsein. Das Irrationale gewinnt die Oberhand; die Zahlenexperimente gewinnen eine zunehmende Sogwirkung; der Geist ist wach, aber die Bilder verschwimmen. Seine Zuversicht, die Welt erkennen zu können, verwandelt sich in tiefe Depression, die einhergeht mit bedrükkenden Gesichtern vom Ende aller Dinge.

Unübersehbar sind die cineastischen Vorbilder, die Darren Aronofsky in seinem Erstlingsfilm zitiert und verarbeitet. Wie der Monstervater in David Lynchs ebenfalls schwarz-weißem Debüt „Eraserhead“ (fd 22 752) bewegt sich auch sein Held in einem düsteren, schmutzigen Universum, das sich auf eine winzige Wohnung im New Yorker Stadtteil Chinatown verengt. Sie ist wie eine Höhle, in deren Zentrum der alles beherrschende Supercomputer „Euclid“ thront. Dessen Kabel legen sich wie Schlingpflanzen ums Mobiliar. Immerhin zwei Tonnen Computerteile benötigte Produktionsdesigner Matthew Marraffi, um „Euclid“ zusammenzubasteln. Der Film führt vor, wie Maximilian die Verbindung zur Außenwelt nach und nach kappt; er leistet sich bestenfalls noch einen Blick durch den Türspion; seine Wohnung wird zum selbstgewählten Gefängnis. Geräusche aus der Nachbarwohnung, das wollüstige Stöhnen einer schönen junge Frau, empfindet er als Qual. Menschen und Tiere, ja überhaupt alles Leben, werden zur Bedrohung. Eine Ameise, die auf der Festplatte des Computers kriecht, scheint schuldig an dessen plötzlicher Funktionsunfähigkeit. Der Absturz in den Wahnsinn steht jeden Moment bevor – und findet endgültig statt, als sich Maximilian, wie einst Travis Bickle in „Taxi Driver“ (fd 19 983), vor dem Spiegel eine Glatze schert.

p“ ist weitgehend aus der subjektiven Perspektive Maximilians erzählt. Das schwarz-weiße Filmmaterial ermöglichte es, die reale Welt von Beginn an zu verfremden, Konturen zu schärfen oder verschwimmen zu lassen, Gegenständliches in Weißblenden abzukippen, um das Surreale jedes Augenblicks zu betonen. Um körperliche und seelische Regungen des Hauptdarstellers direkt ins Filmbild „einfließen“ zu lassen, erfanden der Regisseur und sein Kameramann Apparaturen, die sie am Körper Sean Gullettes befestigten: eine „Heat-Cam“ etwa, die kleine Hitzewellen vor dem Objektiv erzeugte, oder eine „Vibrator Cam“ , die einen Ruckeleffekt hervorrief. Größere tricktechnische Verfahren waren bei einem Budget von 60.000 Dollar kaum möglich – was der Ursprünglichkeit des Films gut bekommt.

Als einziges, verschmerzbares Manko von „p“ erweist sich die Figur von Maximilians älterem Freund und Schachpartner Sol. Eine Art moralische Instanz: Sol, der stets nach höherem Wissen strebte, warnt Maximilian vor der damit verbundenen Selbstvernichtung. Die Welt sei nicht durch Zahlen erkennbar, er solle lieber ein Bad nehmen. Sols verbale Rettungsversuche für einen Unrettbaren wirken didaktisch – bis zum Finale, in dem sein eigener Tod dann tatsächlich Hoffnung für den jungen Freund bedeutet. Die Gestalt des Maximilian und die optischen und akustischen Finessen erinnern an einen anderen großen, mit Horroreffekten jonglierenden Psychothriller, der die Suche nach Erkenntnis, das Süchtigwerden, die damit verbundene Schizophrenie und Klaustrophobie eindringlich beschrieben hatte: Ken Russells „Der Höllentrip“ (fd 23 301). Wie hier scheint es auch in „p“ einen Moment lang, als ob den Helden nur die Liebe aus dem Zustand permanenter innerer Unruhe und eines rauschhaften Wahrheitsfanatismus retten, die bösen Geister seiner Seele vertreiben könnte. „p“ verschließt sich letzten Endes einem solch fragilen Happy End. Ein Satz aus „Der Höllentrip“ trifft freilich auch auf diesen Film zu: „Weißt Du, daß die letzte Wahrheit der Dinge ist, daß es gar keine Wahrheit gibt?“ Eine Sentenz, die das erkenntnispessimistische Credo Aronofskys auf den Punkt bringt – auch wenn den Helden am Ende wieder Natur und Helligkeit umgeben.
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