Eine Harvard-Absolventin und angehende Journalistin verehrt abgöttisch ihren Vater, einen brillanten Literaturprofessor, während sie die Liebe ihrer Mutter als naturgegeben hinnimmt. Als die Mutter an Krebs erkrankt, wird sie mit den wahren Strukturen in ihrer Familie konfrontiert, relativiert die Beziehung zum Vater und nimmt die bescheidene Aufopferung der Mutter als Größe wahr. Ein feinfühliger Film über einen innerfamiliären Heilungsprozeß, der geschickt die Balance zwischen Nähe und Distanz zu den Charakteren hält und durch die Idealbesetzung der Hauptfiguren zu einer überzeugenden Einheit findet.
- Sehenswert ab 14.
Familiensache (1998)
Drama | USA 1998 | 127 Minuten
Regie: Carl Franklin
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Filmdaten
- Originaltitel
- ONE TRUE THING
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1998
- Produktionsfirma
- Universal
- Regie
- Carl Franklin
- Buch
- Karen Croner
- Kamera
- Declan Quinn
- Musik
- Cliff Eidelman
- Schnitt
- Carole Kravetz
- Darsteller
- Meryl Streep (Kate Gulden) · Renée Zellweger (Ellen Gulden) · William Hurt (George Gulden) · Tom Everett Scott (Brian Gulden) · Lauren Graham (Jules)
- Länge
- 127 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
Heimkino
Diskussion
Carl Franklin gehört offenbar nicht zu jenen Regisseuren, die ihr Leben lang nur einem Genre treu bleiben. Nach seinem brillanten Debüt, dem Thriller „One False Move“ (fd 30 266), und der „film noir“-Hommage „Teufel in Blau“ (fd 31 897) wagt er sich nun an ein Drama, dessen Inhalt alle Voraussetzungen für ein unsägliches Rührstück geboten hätte. Ellen Gulden ist jung und erfolgreich. Als Harvard-Absolventin und aufstrebende Journalistin versucht sie stets, ihrem Vater George nachzueifern, einem brillanten Literaturprofessor oder einfach „Mister American Literature“, wie sich Ellens Bruder Brian auszudrücken pflegt. Georges Anerkennung ist Ellens größtes Anliegen, sein Wort Gesetz. Als er ihren neuesten Artikel als nicht „muskulös“ genug kritisiert, ist sie am Boden zerstört. Die Liebe ihrer Mutter Kate dagegen hat sie immer als selbstverständlich hingenommen. Nun aber wurde bei Kate ein Krebsgeschwür diagnostiziert. Widerwillig beugt sich Ellen Georges Forderung, New York zu verlassen und ins ländliche New Jersey zurückzukehren, um ihrer Mutter beizustehen. Doch mit jedem Tag, den Ellen zu Hause verbringt, kommt sie Kate näher und lernt, deren Dasein an „Heim und Herd“ zu respektieren. Allmählich findet sie sogar selbst Gefallen am Kochen und tritt den „Minnies“ bei, einem Hausfrauenbund, der sich mit glühender Leidenschaft der Dekoration des Christbaums auf dem örtlichen Marktplatz verschrieben hat. Je mehr Ellen in die Welt ihrer Mutter eintaucht, desto mehr gerät ihr einstiges Idol George ins Wanken. Sie muß erkennen, daß auch er ein normaler Mensch mit vielen Fehlern ist.Wie schon Anna Quindlen in ihrem Roman mißbraucht auch Franklin das qualvolle Sterben seiner Protagonistin nicht für einen billigen Leidensvoyeurismus oder effektheischende Rührseligkeit. Kates Krankheit ist nur der Auslöser für das eigentliche Thema des Films. „Familiensache“ ist die Geschichte einer jungen Frau, die lernt, ihre Eltern nicht mehr aus der Perspektive eines Kindes wahrzunehmen. Dadurch entdeckt sie an ihnen wie auch an sich selbst unbekannte Seiten. Als Ellen zu Beginn zur Geburtstagsparty ihres Vaters nach Hause kommt, begrüßt ihre Mutter sie in der Verkleidung der kleinen Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“ (fd 30 170), was Ellen zu der Bemerkung provoziert „There’s no place like home, thank God!“ In ihrem peinlichen Outfit sowie ihrer nervtötenden Geschäftigkeit wird Kate ebenso klischeehaft präsentiert wie George mit seiner überheblich wirkenden intellektuellen Reserviertheit und seinen wohlgesetzten Aperçus. Was Ellen in den folgenden Monaten über ihren Vater erfährt, entspricht Dorothys Entdeckung, daß sich hinter dem Vorhang kein mächtiger Zauberer, sondern ein Mann verbirgt, der über viele Jahre mühsam eine brüchige Fassade aufrecht erhalten hat. Georges geistreiche Anekdoten entpuppen sich als hohle Floskeln, die zu jedem gesellschaftlichen Anlaß wiederholt werden. Sein erster Roman ist noch immer nicht fertiggestellt; außerdem hat er es nie wirklich verstanden, sich in das Leben seiner Familie zu integrieren. Wie sehr er Kate liebt und braucht, wird ihm erst klar, als er im Begriff ist, sie zu verlieren. Wie George verwandelt sich auch Kate vor Ellens Augen vom Klischee in einen lebendigen Menschen oder, filmanalytisch betrachtet, von einem „flat“ in einen „round character“. Hinter der Fassade der einfältigen Hausfrau verbirgt sich ein Mensch voller Energie, Kreativität und immenser Leidensfähigkeit. Erst ganz am Ende, als ihre physischen Schmerzen unerträglich werden und sie gleichzeitig merkt, daß Ellen sich immer mehr von ihrem Vater entfremdet, fällt die Maske der verdrängenden Fröhlichkeit. Kate macht ihrer Tochter klar, warum sie all ihre Kräfte stets auf ein intaktes Familienleben verwendet hat und warum sie unerschütterlich an ihrer Liebe zu George festhält. Ellen begreift schließlich auch das Wesen und die Dimension der Verbindung zwischen ihren Eltern, die für sie immer ein Mysterium war. Diese Erkenntnis geht einher mit der Entdeckung ihrer Weiblichkeit. Durch Kates sanfte Führung hört sie auf, ihr gesamtes Dasein als Überlebenskampf in einer von Männern dominierten Berufswelt zu betrachten und sich an den „kleinen Dingen“ des Lebens zu erfreuen. So wird der Verlust der Mutter gleichzeitig zu einem Akt der Selbstfindung, ihr Tod zum Auslöser für einen innerfamilären Heilungsprozeß.Der Film hat durchaus Schwächen. Vor allem kann man ihm vorwerfen, daß er die Klischees, die er innerhalb der Familie abbaut, an anderer Stelle unreflektiert stehen läßt. Dies gilt besonders für den Gegensatz zwischen der zynischen New Yorker Geschäftswelt und dem idyllischen Landleben, das idealisierend als einzig erstrebenswerte Daseinsform präsentiert wird. Auch Ellens Einstieg in die Tätigkeiten einer Hausfrau erfolgt zu glatt und wirkt nicht ganz glaubwürdig. Dennoch ist „Familiensache“ ein außerordentlich bewegender Film, weil Franklins behutsame Regie und Karen Croners kluges Drehbuch stets die richtige Balance zwischen Distanz und Nähe zu den Charakteren halten, und weil diese Charaktere ideal besetzt sind: Neben Meryl Streep beeindruckt William Hurt mit seiner besten Vorstellung seit langem: Als George Gulden läßt er die Widersprüche und die Gebrochenheit seiner Figur in jeder Einstellung spüren. Die vielleicht größte Überraschung aber ist, daß Renee Zellweger als oberflächliche, in Wahrheit aber äußerst empfindsame Ellen der Leinwandpräsenz von Streep und Hurt mühelos standhält und ihre Leistung dem Zuschauer ebenfalls nachhaltig in Erinnerung bleibt.
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