Bereits als 23jähriger hatte sich Sam Raimi in die Filmgeschichte eingeschrieben, wenn auch in das marginale Kapitel des Horror-Genres. Sein 1982 gedrehtes Teenage-Slasher-Movie „The Evil Dead“ („Tanz der Teufel“, fd 24 413) um eine Gruppe Jugendlicher, die in ein abgelegenes Haus reist, dort ein mysteriöses Buch findet (das legendäre „Nekronomikon“) und nach und nach von den entfesselten Geistern dezimiert wird, hat maßgeblichen Einfluß auf eine ganze Welle von Nachfolgeprojekten ausgeübt. (In Deutschland lieferte sich übrigens der Verleiher mit der Staatsanwaltschaft einen bis 1993 währenden, im nachhinein lächerlich erscheinenden Rechtskampf um die Freigabe des Films.) Tatsächlich haftet dem Werk noch heute eine etwas rüpelhafte, aber durchaus authentische Originalität an, wie sie so manchem Low-Budget-Debüt eigen ist. Von den Urhebern derartiger Filme hört man meistens nie wieder etwas, und was Sam Raimi in den vergangenen 15 Jahren vorgelegt hat, ist ebenfalls kaum der Erwähnung wert (u.a. „Tanz der Teufel II“, fd 26 646, ein Remake seines eigenen Erstlings, sowie „Darkman“ mit Liam Neeson, fd 28 633). Um so überraschender nun, daß es sich bei „Ein einfacher Plan“ um eine rundum gelungene künstlerische Leistung handelt, die völlig frei ist von spekulativen Momenten. Der Name Sam Raimi hat nun einen anderen Klang.Ein tief verschneites Nest, irgendwo in den Südstaaten. Hank führt das ausgeglichene Leben eines Buchhalters, bewirtschaftet nebenher einen kleinen Hof, weiß eine gute Frau an seiner Seite, die sich gerade anschickt, das gemeinsame Kind auszutragen. Dieses Leben ist für die nächsten 50 Jahre vorgezeichnet, wartet zwar nicht mit Überraschungen auf, kann sich aber insgesamt durchaus auf der Gewinnerseite wähnen. Es gibt genug Elend und Versagertum ringsum, die Hank immer wieder auf seine privilegierte Stellung hinweisen. Da ist beispielsweise sein Bruder Jacob, nicht ganz so rege im Kopf, der in einer heruntergekommenen Hütte seinen Tagträumen nachhängt. Und da ist noch dessen bester Kumpel Lou, zu Jähzorn neigend, dem Alkohol verfallen, sich mit seiner Frau in aller Öffentlichkeit lauthals Auseinandersetzungen liefernd. Ausgerechnet mit Jacob und Lou ist Hank unterwegs, als sie in einem abgelegenen Waldstück einen überraschenden Fund machen: Sie stoßen auf das Wrack eines Sportflugzeuges, in dessen Kabine sich die Leiche des Piloten und ein Seesack voller Banknoten befinden. Vier Millionen Dollar, wie eine erste Zählung ergibt. Nach diversen Spekulationen bietet sich Hank an, die Summe in Verwahrung zu nehmen. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist, soll der Betrag aufgeteilt werden. Allerdings laufen die Dinge schon bald aus dem Ruder. Die von vornherein mürbe Allianz zwischen den Findern zerbricht mehr und mehr, führt zu gegenseitigen Unterstellungen und Übervorteilungen, schließlich sogar zu Mord und Totschlag. Als sich das FBI im Provinzflecken einfindet, nimmt das Geschehen noch einmal unvorhergesehene Wendungen.Es ist wohl kein Zufall, daß die Atmosphäre von „Ein einfacher Plan“ an „Fargo“
(fd 32 223) von Joel und Ethan Coen erinnert. Raimi hat in der Vergangenheit gemeinsam mit den Coens an Drehbüchern gearbeitet und lieferte in „Miller’s Crossing“
(fd 28 746) einen Gastauftritt als Darsteller. Ähnlich wie in „Fargo“ geht es in Raimis Film um sich unvermutet auftuende Abgründe in der Kleinbürgerseele. Beide Filme werden maßgeblich von der winterlichen Stimmung ihres Geschehens geprägt. Der Schnee selbst kann in seiner Ambivalenz aus fast pelzartiger, optisch wohliger Konsistenz und seiner materiebedingten Kälte als Metapher gesehen werden für die Widersprüche zwischen Sein und Schein. Was der Schnee so malerisch verhüllt, kommt irgendwann doch wieder ans Tageslicht des Frühlings. Als Zuschauer ahnt man dies natürlich von Beginn an, und das soll man auch. Es ist deshalb in keiner Weise der Spannung abträglich, wenn Hank in die Handlung über das alte filmische Vehikel des Off-Monologs einführt: Sein Kommentar aus einer Zeit jenseits der vorgeführten Handlung verrät bereits das Scheitern all seiner im Film so sorgsam eingefädelten Pläne. Überhaupt, diese Pläne: Getreu dem Brecht-Motto aus der „Dreigroschenoper“ „Drum mach dir einen Plan...“ fungieren sie als Running Gag der Vergeblichkeit. Hank, der sich sozial und intellektuell seinen Mitstreitern überlegen fühlt, glaubt stets, der Wirklichkeit seine Szenarien überstülpen zu können. Und stolpert doch von einem Debakel ins nächste. Raimi gelingt es hervorragend, das latent Dämonische hinter der Kleinbürgerfassade aufzuzeigen, was (fast) Lynchsche Dimensionen annimmt. Dem ist das Verhalten von Hanks Frau Sarah wesentlich zuträglich, die zeitweilig sogar zum treibenden Moment für die kriminellen Energien ihres Mannes wird. Wunderschön im Kontrast zu dem im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehenden Verhalten des Paares stehen z.B. die Neugeborenen-Accessoires in ihrem Haushalt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das ausgezeichnete Casting. Bridget Fonda (die kaum zu erkennen ist) in der Rolle der biederen, bereits im jugendlichen Alter zu Verhärmung neigenden Kleinstadt-Bibliothekarin, die im unverhofften Geldsegen ihre romantisch verklärte Fluchtchance sieht, ist ebenso differenziert gezeichnet wie Bill Paxton als Hank und dessen unberechenbarer Kumpan Lou. Den darstellerischen Lorbeerkranz trägt jedoch wieder einmal Billy Bob Thornton davon, bei dem es sich inzwischen um einen der wandlungsfähigsten Schauspieler Nordamerikas handeln dürfte, eine Art DeNiro der 90er. Als leicht begriffsstutziger Bruder Jacob vermag er mit sparsamstem Spiel und ohne jede Polemik aufzuzeigen, daß Intellekt und Moral nichts miteinander zu tun haben. Daß „Ein einfacher Plan“ zur universellen Parabel um Schuld und Sühne, Versuchung und Integrität wird, ist wesentlich seiner Leistung zu verdanken.