Ein arbeitsloser Baggerführer kidnappt eine Richterin, um seine von ihr verurteilte Geliebte freizupressen. Nach einer kurzen Odyssee landen sie bei seiner Mutter in einem stillgelegten Braunkohlegebiet, die in der Entführten die Verlobte ihres Sohnes vermutet. Als die tatsächliche Verlobte auftaucht, überstürzen sich die Ereignisse und enden tragisch. Ein stimmungsvoll die Landschaft und das Innenleben der Protagonisten verbindender Film, dessen hervorragende Schauspieler Anteil nehmen lassen an den ebenso skurrilen wie anrührenden Schicksalen. Der trockene Humor und die großartige Fotografie fügen dies zu einer kongenialen Einheit.
- Sehenswert ab 16.
Bis zum Horizont und weiter
Tragikomödie | Deutschland 1998 | 96 Minuten
Regie: Peter Kahane
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1998
- Produktionsfirma
- Polyphon Film/mdr
- Regie
- Peter Kahane
- Buch
- Oliver Bukowski
- Kamera
- Gero Steffen
- Musik
- Tamás Kahane
- Schnitt
- Birgit Bahr
- Darsteller
- Wolfgang Stumph (Henning Stahnke) · Corinna Harfouch (Beate Nelken) · Nina Petri (Katja Pfeifer) · Gudrun Okras (Mutter Stahnke) · Heinrich Schafmeister (Verteidiger)
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Tragikomödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Immer dann, wenn sich der deutsche Film nicht auf „Großproduktionen“ stürzt oder „schwerblütige“ Regisseure und Autoren nicht der unerreichbaren Leichtigkeit der Komödie hinterherhecheln, gelingen interessante Werke; Wolfgang Beckers „Das Leben ist eine Baustelle“ (fd 32 448) und Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ (fd 33 374) sind dafür Beispiele aus der jüngsten Zeit. Daß man sogar die im englischen Kino so perfekte Mischung aus Humor und Realität auch hierzulande beherrscht, zeigt „Bis zum Horizont und weiter“. Als die Berlinerin Katja wieder einmal vor Gericht steht, wartet sie vergebens auf den Beistand ihres arbeitslosen Geliebten Henning, einem ehemaligen Baggerführer aus der Lausitz. Von schlechtem Gewissen getrieben, entführt er kurzerhand die Richterin Beate Nelken, um seine Geliebte aus der Haft freizupressen. Da Beate allein lebt, gerade auf dem Weg in den Urlaub war und somit die nächsten Wochen kaum vermißt wird, gerät sein Plan durcheinander – zumal auch der von Beate angerufene Verteidiger Katjas das Ganze für einen Scherz hält. Henning nimmt Beate mit zu seiner im brachliegenden Braunkohlegebiet wohnenden Mutter und stellt sie als seine Verlobte Katja vor. Um nicht gefesselt und geknebelt in einem stillgelegten Bagger eingesperrt zu werden, spielt sie das Spiel mit. Mutter Stahnke schließt sie gleich ins Herz, und Beate entwickelt langsam so etwas wie Verständnis und Sympathie für ihren Entführer. Katja ist mittlerweile mit Hilfe ihrer Zellengenossin geflohen und taucht unvermittelt bei ihrer zukünftigen Schwiegermutter auf. Nachdem nach der ersten großen Überraschung die Mißverständnisse ausgeräumt sind und Beate eigentlich mehr das junge Glück als eine strafrechtliche Betrachtung der Situation am Herzen liegt, macht sie sich just in dem Moment auf den Heimweg, als die Polizei mit großem Aufgebot anrückt. Während Mutter Stahnke beim Schußwechsel tödlich verletzt wird, fliehen Katja und Henning in den Tagebau und werden dort in die Enge getrieben. Hilflos muß Beate mitansehen, wie die beiden den Selbstmord wählen.Man kommt aus dem Kino – und hat vor allem das gesehen, was der junge deutsche Film so selten zu bieten hat: leinwandgerechte Bilder. Kameramann Gero Steffen, der Thomas Jahns Debüt „Knockin’ on Heaven’s Door“ (fd 32 404) vor dem Fall in die Belanglosigkeit bewahrte, gelingt es auch hier, Landschaft und Stimmung zu einer Einheit zu verschmelzen. Ruhig beobachtet er den verlassenen Landstrich und die Menschen, die sich in dieser Einsamkeit eingerichtet haben. Sein Blick ist immer bestimmt von einer „zarten“ Annäherung an die Personen; nie wird er aufdringlich. Da sieht er sich ganz im Einklang mit der zurückhaltenden Inszenierung, die sich jeder Versuchung einer voyeuristischen Betrachtungsweise versagt und versucht, das Innenleben der Personen nahezubringen. Und genauso wie er die Protagonisten liebt, „verliebt“ sich der Zuschauer immer mehr in sie, die selbst in ihrer scheinbaren Normalität noch liebenswert skurril erscheinen. Henning, den Katjas Zellengenossin nach deren enthusiastischer, von Wunschdenken geprägter Schilderung einmal als eine Reinkarnation von „Lassie im falschen Gehäuse“ bezeichnet, wird von dem sächsischen Kabarettisten Wolfgang Stumph auf jenem schmalen Grat gespielt, auf dem seine Gutmütigkeit jederzeit auch in eine aus Verzweiflung geborene Gewalt umschlagen könnte. Und Corinna Harfouch spielt ohne jegliche Larmoyanz eine Frau, die ihre in drei Jahren geschriebene Doktorarbeit über „Geiselnehmer“ in nur zehn Minuten von der Realität eingeholt sieht und die trotz ihrer mißlichen Lage bereit ist, in andere hineinzusehen und somit auch in sich selbst hineinzuhören. Der vordergründig grobschlächtig-teddyartige Henning und die eher feinnervige Art Beates erfahren durch die Schauspielkunst einen eindrucksvollen Gleichklang. Unterstützt werden Wolfgang Stumph und Corinna Harfouch dabei von der handfesten Nina Petri, die dem Glück hinter dem Horizont näher steht, als ihre Wurschtigkeit vermuten läßt, und der resolut-bodenständigen Gudrun Okras, die versucht, der Traumwelt ihres Sohnes eine Heimat zu geben. Mit welcher Präzision und Natürlichkeit Kahane sie alle durch die Szenerie führt und dabei auch die treffsicher besetzten Nebenfiguren nicht vernächlässigt, zeugt ebenso von seiner Regiekunst wie die Nonchalance, mit der er den trockenen Humor des Drehbuchs umsetzt. Mit Kahane ist ein Regisseur wieder „auferstanden“, der im Kino (viel zu) lange „verschollen“ war. Oliver Bukowski hat sein eigenes Hörspiel kongenial für den Film bearbeitet, und Peter Kahane hat den Blick für die darin angelegten Bilder.
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