Literaturverfilmung | Japan 1997 | 117 Minuten

Regie: Shôhei Imamura

Ein japanischer Angestellter, der seine untreue Ehefrau erstochen hat, wird nach acht Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Ein Aal, der dort sein einziger "Gesprächspartner" war, begleitet ihn in der Freiheit, wo der Mann als Friseur einen Neuanfang versucht. Als er eine Selbstmörderin rettet und in seinem Laden beschäftigt, werden alte Ängste wach. Der meditative Rhythmus und ein eigenwilliger, sowohl der Kunst der Reduktion als auch einem Realismus verpflichteter Erzählstil verweigern sich gängigen Sehgewohnheiten. Eine eindrucksvolle Studie über Einsamkeit und Isolation, die unter der Oberfläche der Erzählung psychischen und gesellschaftlichen Verdrängungen nachspürt und sich durch ihre kunstsinnige Bildersprache als aufschlußreicher Zeitkommentar verstehen läßt. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
UNAGI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
KSS/Eisei Gekijô Co./Groove Corp./Imamura Prod.
Regie
Shôhei Imamura
Buch
Motofumi Tomikawa · Daisuke Tengan · Shôhei Imamura
Kamera
Shigeru Komatsubara
Musik
Shinichirô Ikebe
Schnitt
Hajime Okayasu
Darsteller
Kôji Yakusho (Takurô Yamashita) · Misa Shimizu (Keiko Hattori) · Fujio Tokita (Jirô Nakajima, der Priester) · Mitsuko Baishô (Misako Nakajima, Frau des Priesters) · Tomorowo Taguchi (Eiji Dojima, Ex-Ehemann von Keiko)
Länge
117 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Neben der allgemein verbreiteten internationalen Fassung existiert noch ein sog. "Director's Cut" des Films (134 Min.), der jedoch bislang nur in Asien und Ozeanien auf DVD erschienen ist.

Verleih DVD
Alamode (16:9, 1.66:1, DD2.0 jap./dt.)
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Diskussion
Auf den neuen Film des japanischen Altmeisters Shohei Imamura hat man lange warten müssen. Acht Jahre liegen zwischen den erschütternden Bildern von „Schwarzer Regen“ (fd 28 128) und dem konzentrierten Blick auf eine Gruppe Außenseiter, die in einem verödeten Vorort Tokios aufeinandertreffen. Daß sein sperriges Werk 1997 in Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichnet wurde, rief vielleicht auch deswegen Verwunderung hervor, weil der extrem ruhige Rhythmus und die eigenwillige Erzählweise gängigen Seherfahrungen fast diametral entgegengesetzt sind. Mit der Gelassenheit von mehr als vier Regie-Jahrzehnten zelebriert der 72jährige einen provozierenden Stil der Kontemplation, in dem sich die Kunst der Reduktion nahtlos mit einem Realismus vereint, der die Authentizität von Schauplätzen und Zeitumständen wahrt, ohne das Reich der Träume auszusperren. Es ist kein Zufall, daß die Hauptfigur Takuro ebenfalls nach acht Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen wird und im Sommer 1996 einen Neuanfang versucht: In der Geschichte eines emotional gehemmten Mörders handelt Imamura von der Gegenwart seines Landes, von Isolation, Angst und den Verkrustungen einer autoritären Männerwelt.

Ein anonymer Brief beschuldigt Takuros Frau des Ehebruchs. Abends kehrt der Angestellte früher als gewöhnlich von einer Angeltour zurück, beobachtet das Paar durch ein Fenster, greift zum Messer und radelt anschließend scheinbar unberührt zur nächsten Polizeistation. Als sich die Gefängnistore wieder öffnen, ist ein gefangener Aal alles, was er mit in die Freiheit nimmt. Unterstützt von seinem Bewährungshelfer, dem buddhistischen Priester Nakajima, richtet er in einer leerstehenden Baracke ein Friseurgeschäft ein. Die spärliche Kundschaft aus der Nachbarschaft akzeptiert den wortkargen Sonderling, der stundenlang mit der Angelrute am Fluß sitzt, die Fische am Ende aber wieder ins Wasser wirft. Veränderungen bahnen sich an, als Takuro bei der Suche nach Nahrung für seinen Aal auf die bewußtlose Keiko stößt, die sich aus Liebeskummer das Leben nehmen will. Widerstrebend akzeptiert er den Rat des Priesters, die junge Frau anzustellen, die seinen Laden mit Blumen schmückt, Essen kocht und zaghaft versucht, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Einen Monat später blüht das Geschäft, doch Takuro flieht vor der scheuen Zuneigung und dehnt die nächtlichen Fischzüge aus. Albträume und düstere Ahnungen quälen ihn, als zuerst ein ehemaliger Mitgefangener und dann auch Keikos früherer Liebhaber auftauchen.

Der Aal ist die zentrale Metapher dieser an alltäglichen Situationen wie eigenartigen Charakteren reichen Studie über Einsamkeit, Schuld und Versöhnung. Im Gefängnis war der Fisch Takuros einziger „Gesprächspartner“, im neuen Zuhause wird das Aquarium zum letzten Zufluchtsort. In der schönsten Szene des Films, einer von mehreren surrealen Visionen, sieht man Takuro däumlingsgroß neben dem Aal durch das blaue Wasser irren, Gefährte und Gefangener seines Gegenübers, der, aus seiner natürlichen Umwelt gerissen, träge und leblos ins Leere starrt. Wie das Tier sich im Schlamm, so hat sich Takuro in seinen Erinnerungen an die blutige Tat verscharrt: Aasfresser, die sich von Toten nähren. Takuros panische Sorge, daß etwas von seiner Vergangenheit ruchbar wird, hindert ihn lange, sich zu seiner Tat zu bekennen und die seelischen Hintergründe einer unterdrückten Sexualität wahrzunehmen. Erst im Kontakt mit einem UFO-Gläubigen, der für Außerirdische einen Landeplatz anlegt, kommt ihm das Eingeständnis über die Lippen, daß Menschen ihn ängstigen. Von seinem schrulligen Fischerfreund erfährt er über die Brutpflege der Aale, die ihre Nachkommen von den Laichplätzen nahe dem Äquator über viele hundert Kilometer in ihre Heimatreviere geleiten, in der Auseinandersetzung mit Keikos einstigem Liebhaber ergreift er schließlich ihre Partei, ohne dem befürchteten Wiederholungszwang zu erliegen.

Obwohl der Film keines seiner vielen Themen explizit in den Vordergrund rückt, spielt Imamura immer wieder auf Verdrängungen und Spaltungen an, die sich in Spleens, Neurosen oder purer Gewalt niederschlagen. Während er mit langen Einstellungen, Halbtotalen und unter weitgehendem Verzicht auf Filmmusik dem banalen, unspektakulären Geschehen folgt, blitzen an vielen Stellen mosaikartig Zusammenhänge auf, die seine Arbeit als vielschichtigen Zeitkommentar lesbar machen. Vor allem im ersten Teil legen sorgfältig inszenierte Bilder viele Fährten, wenn etwa beim Eifersuchtsdrama Takuros Lethargie und ein Anflug von Voyeurismus mit der Aktivität des Liebesspiels kontrastiert wird, während gegen Ende die Anspielungen deutlicher werden, wenn Keiko mit dem als Aalfalle dienenden Bambusrohr zuerst Takuro, dann ihren Liebhaber schlägt und schließlich das Aquarium zertrümmert. In den letzten Aufnahmen erlaubt der Regisseur erstmals auch aus der Nähe einen Blick in die Gesichter seiner Protagonisten, die im hellen Tageslicht nebeneinander gehen und in eine Zukunft schauen, in der vielleicht mehr Austausch und Partnerschaftlichkeit möglich sind. Wer sich auf den meditativen Duktus dieses aufregend „altmodischen“ Filmschaffens einzulassen vermag und der kunstsinnigen Bildersprache seine Aufmerksamkeit schenkt, wird bei Imamura auch in eine Schule des Sehens entführt.
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