Wann ist denn „man“ ein Mann? Mit dieser Gretchenfrage sieht sich der allseits beliebte High-School-Pädagoge Howard Brackett konfrontiert, als ihn sein ehemaliger Schüler Cameron Drake, ein genialischer Hollywood-Jungschauspieler auf den Spuren von Bratt Pitt und Johnny Depp, bei der „Oscar“-Verleihung vor dem weltweiten Fernsehpublikum als „wunderbaren schwulen Lehrer“ bezeichnet. Seiner Langzeit-Verlobten und Kollegin Emily bleibt eine Woche vor der Hochzeit das Knabberzeug im Munde stecken, mit Howards Ruhe und mit der des Provinzstädtchens Greenleaf, Indiana, das so idyllisch ist, wie sein Name klingt, ist es vorbei.
In seinen stärksten Momenten erinnert der Film mit seiner in warmes Sonnenlicht getauchten Atmosphäre einer uramerikanischen Kleinstadt an eine Komödie von Frank Capra. Und so ist denn Howard Brackett auch ein entfernter Verwandter von Capras unverdorbenen Charakteren wie Longfellow Deeds und Jefferson Smith. Machten sich diese jedoch auf den Weg in die Großstadt, so kommt bei Regisseur Frank Oz die Großstadt zu Howard Brackett, und zwar in Gestalt des sensationsgierigen Fernsehreporters Peter Malloy, der sich von seinen Storys über dessen Schicksal eine Frischzellenkur für seine kümmerlichen Einschaltquoten verspricht. Schüler, Postmann, Friseur – alle in Greenleaf spekulieren bereitwillig vor seinem Mikrofon, ob Howard und Emily heiraten werden. Der schöngeistige Englischlehrer ist über Nacht eine öffentliche Persönlichkeit geworden, die auch der US-Startalker Jay Leno in der Witzparade seiner Late-Night-Show bedenkt.
Die satirische Schärfe des Vorbildes Capra erreicht Oz’ Film allerdings nicht. Denn die Seitenhiebe auf das Provinzleben oder auf Hollywood sind zwar meistens amüsant und im besten Fall sogar erhellend, aber nie wirklich bissig: Cameron erhält die begehrte „Oscar“-Statue für ein unsäglich pathetisches Machwerk namens „Geboren am 16. Oktober“ (einer Verballhornung von Oliver Stones „Geboren am 4. Juli“), und seine Ansprache persifliert die üblichen Dankesorgien. Auch die Modeszene kriegt ihr Fett ab, wenn Camerons spindeldürre Supermodel-Geliebte mit morbider Selbstverständlichkeit vor dem nächsten Defilé noch „duschen und kotzen“ muß. An Capra erinnert auch die heute fast ein wenig altmodisch wirkende dramaturgische Tugend, Figuren ebenso prägnant wie liebevoll zu charakterisieren, beispielsweise den stets ein wenig verlegenen Schuldirektor Tom Halliwell oder Howards Mutter Berniece (nach 25 Jahren Leinwandabstinenz wunderbar gespielt von Debbie Reynolds) und ihre Freundinnen, die ihre Abgründe wie ein gestohlenes Rezept für Reiscrispies „outen“, sowie die frustrierte Emily, die sich in der „Twilight Zone“ glaubt, als auch Malloy ihre unmißverständlichen Avancen mit Hinweis auf seine Vorliebe für Männer abwehrt.
Besonders im Gedächtnis haften bleibt Tom Selleck als Malloy, der es sichtlich genießt, spektakulär gegen sein „Magnum“-Image besetzt zu sein. Man muß sich auf die Ausgangssituation einlassen, daß die Nachricht von Howards Homosexualität ein Provinznest so durcheinanderwirbeln kann wie es hier turbulent, aber auch mit Längen vorführt wird, und wie es im urbanen Milieu eigentlich undenkbar wäre. Zwar glauben alle Greenleafer vorgeblich Howards Versicherung, nicht homosexuell zu sein, aber: Hat seine Gestik nicht doch etwas Feminines? Was ist mit seiner Vorliebe für die Filme und Platten von Barbra Streisand? Howards Gegenprogramm besteht darin, daß er auf „richtigen Kerl“ à la John Wayne und Arnold Schwarzenegger macht und in bester Machomanier bei seinem Junggesellenabschied Pornos, Zigarren und Alkohol fordert. Aber den als unmännlich beschimpften Bewegungen zu Disco-Rhythmen kann er einfach nicht widerstehen.
Seine glanzvolle tänzerische Solonummer, mit der Kevin Kline seine Vielseitigkeit bestätigt, ist allein das Eintrittsgeld wert. Und Malloys Kuß auf öffentlicher Straße bringt die „männliche Jungfrau“ Howard so durcheinander, daß sie sich vor dem Traualtar als Freudsche Fehlleistung selbst outet. Diese Thematik geht dem homosexuellen Drehbuchautor Paul Rudnik spielerisch leicht und mit Augenzwinkern von der Hand. Schon sein Off-Broadway-Bühnenstück „Jeffrey“ und der danach entstandene Film (fd 31 933) waren wichtige Beiträge zum homosexuellen Selbstverständnis im Zeitalter von AIDS. „In & Out“ geht sogar noch einen Schritt weiter: Mit beeindruckender Selbstverständlichkeit werden Homosexuelle zu Protagonisten einer Komödie gemacht, ohne daß das Lachen auf ihre Kosten geht. Eine witzige Szene erhellt die Botschaft des Films, dem es um den „Menschen im Mann“ fern seiner geschlechtlichen Orientierung geht: Als der Schuldirektor Howard nach seiner (sexuellen) Identität befragt, aber nach der ersten Silbe des Wortes „homosexuell“ ins Stottern gerät, springt Howard ihm bei und formuliert zu Ende: „Homo sapiens?“