Welcome to Sarajevo

Kriegsfilm | Großbritannien/USA 1997 | 101 Minuten

Regie: Michael Winterbottom

Ein britischer Fernsehjournalist verspricht während einer Reportage über ein Waisenhaus in Sarajevo einem zehnjährigen Mädchen, es aus der umkämpften Stadt herauszuholen, und schmuggelt es in einem Kinderkonvoi außer Landes. Als die Mutter ihr Kind zurückfordert, kehrt er ins Kriegsgebiet zurück und kann sie überzeugen, die Adoptionspapiere zu unterschreiben. Die unspektakulär erzählte Geschichte dient der Inszenierung als dramaturgische Klammer, um von einem Krieg zu erzählen, der von außen mit ohnmächtiger Wut, aber auch mit voyeuristischem (Medien-)Blick begleitet wurde. Der beeindruckend montierten Mischung aus (Video-)Dokumentaraufnahmen und inszenierten Szenen ordnen sich die zurückgenommenen, aber einprägsam agierenden Schauspieler unter und verstärken so die Realitätsnähe des Films. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WELCOME TO SARAJEVO
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Channel Four/Miramax/Dragon
Regie
Michael Winterbottom
Buch
Frank Cottrell Boyce
Kamera
Daf Hobson
Musik
Adrian Johnston
Schnitt
Trevor Waite
Darsteller
Stephen Dillane (Henderson) · Woody Harrelson (Flynn) · Marisa Tomei (Nina) · Emira Nusevic (Emira) · Emily Lloyd (Annie McGee)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Kriegsfilm | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Beim Golf-Krieg ließ man den Fernsehzuschauer noch weitgehend außen vor: Die amerikanischen Militärs lieferten nur zensierte Bilder von den Kampfhandlungen für die Fernsehbildschirme. Leid und Elend waren auf diesen Aufnahmen nicht zu sehen, lediglich die technischen „Spiele“ der Militärs. Mit den hautnahen Bildern vom Krieg und von den bewaffneten Konflikten im ehemaligen Jugoslawien hat 1992 der Krieg mit seinen Schrecken dann endgültig Einzug in die gute Stube gehalten. Die Fernsehzuschauer waren (fast) live dabei und hörten voller Ohnmacht die Sprüche beschwichtigender westlicher Politiker oder die zynischen Beteuerungen von Serbenführer Karadzic, der der Zivilbevölkerung die vollständige Anwendung der Genfer Konventionen garantierte, während seine Schergen weiter mordeten. Fast 300.000 Menschen wurden während des Bosnienkrieges getötet, davon 16.000 Kinder. 175.000 Menschen wurden verwundet, über eine Million wurde heimatlos.

Michael Winterbottoms Film führt in die von den bosnischen Serben belagerte Stadt Sarajevo im Jahr 1992, aus der ausländische Fernsehteams von den Kampfhandlungen berichten. Einer von ihnen ist der britische Journalist Michael Henderson, der täglich mit dem Kameramann Greg, seiner Produzentin June und ihrem einheimischen Fahrer Risto durch die Stadt jagt, auf der Suche nach „starken“ Bildern. Genauso wie der amerikanische Starreporter Flynn, der auch schon einmal sein Leben riskiert, um spektakuläres Bildmaterial einzufangen. Mit von der Partie ist auch die freie Journalistin Annie, die zum ersten Mal aus einem Kriegsgebiet berichtet. Sie ist entsetzt von der Kaltschnäuzigkeit ihrer Kollegen, die ihre journalistische Verantwortung immer wieder ihrer Eitelkeit opfern. Bei einer Reportage über ein Waisenhaus, dessen Kinder wegen der Kämpfe nicht evakuiert werden können, lernt Henderson die zehnjährige Emira kennen und verspricht ihr, sie aus Sarajevo herauszuholen. Als die junge amerikanische Sozialarbeiterin Nina für eine Hilfsorganisation die Evakuierung der Waisenkinder plant, fragt sie Henderson, ob er den Konvoi begleiten möchte. So hat er seine Exklusivstory und sie internationale Publicity. Henderson geht das Risiko ein, Emira, die nicht unter den ausgesuchten Kindern ist, aus dem Land zu schmuggeln und sie in seine Familie aufzunehmen. Nach vielen Gefahren erreicht der Konvoi die rettende Fähre. In England angekommen, erhält Henderson die Nachricht, daß Emiras Mutter, die ihr Kind als Säugling abgeschoben hatte, es nun wiederhaben möchte. Henderson fährt zurück und kann sie überzeugen, die Adoptionspapiere zu unterschreiben.

Mit auf CinemaScope aufgeblasenen Videobildern von den Olympischen Winterspielen 1984, als Sarajevo noch eine friedliche, multikulturelle Stadt war, stimmt Winterbottom den Zuschauer ein, um dann gleich in die „Realität“ zu springen: die Bombardierung der Stadt, verstümmelte Zivilisten, Heckenschützen, die Frauen und Kinder im Visier haben und ihr blutiges Handwerk wie einen Sport betreiben. Die verwackelten, unscharfen Aufnahmen „bezeugen“ ihre Echtheit, und doch zweifelt man manchmal, wenn die Videoaufnahmen in die glasklaren Bilder des CinemaScope-Formats wechseln, ob man einer Täuschung aufgesessen ist. Denn Winterbottom spielt bewußt mit dem Filmmaterial, um die Grenzen zwischen Wirklichkeit und inszenierter Medienrealität zu verwischen. Und wenn er dann mit der Steadycam-Kamera durch die Schützengräben wuselt und man als Zuschauer instinktiv die Köpfe einzieht, dann ist es schon gleichgültig, ob man mit ihm durch eine Filmkulisse hetzt oder sich im Gefolge eines echten Frontberichterstatters befindet. Mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Trick nimmt Winterbottoms Inszenierung dem Betrachter die Möglichkeit der totalen Identifikation mit den Protagonisten: Indem er sie mehr als Funktionsträger zeigt und ihre Charaktere nur ansatzweise entwickelt, sieht man weder Stars noch „Helden“ in ihnen. So wirken selbst Hollywood-Größen wie Woody Harrelson und Marisa Tomei wie „unbekannte“ Schauspieler, weil man sich ganz auf das Thema des Films konzentriert: auf einen unsinnigen, jeder menschlichen Vernunft spottenden Krieg. Dabei wird der Schrecken auch nicht übermäßig dramatisiert, die Erschießung einer Gruppe Männer und das Herausholen von Kindern mit serbischen Namen aus dem Konvoi durch marodierende Tschetniks ereignet sich genauso unspektakulär wie das tägliche Sterben auf den Straßen, sei es beim Markteinkauf oder auf dem Weg zur Kirche. Wie in der Wirklichkeit bleiben die hinterhältigen Mörder auch in Winterbottoms Film ohne Gesicht, wird der Krieg zu einem überdimensionalen (Video-) Spiel, in dem jeder jeden ungestraft abschießen kann und in dem die Anonymität des Tötens erst gar keine moralischen Skrupel aufkommen läßt.

Trotz allen Erschreckens über diese Bilder ertappt man sich doch immer wieder auch bei einem zaghaften voyeuristischen Blick, den die Sensationsgier der Medien schon lange in uns entfacht hat. So beruhigt auch das Happy End für Emira nicht sonderlich, weil Winterbottom diesem Handlungszweig von vornherein jede Gefühlsduselei nimmt, indem er dem Zuschauer unbarmherzig klar macht, daß ihr Glück das tausendfache Leid der zurückgebliebenen Kinder nicht aufwiegen kann. Die letzten Bilder, in denen ein Geiger auf einem Hügel ein Konzert gibt, zu dem die Leute wie zu einem „Messias“ pilgern, sind hoffnungsvoll und trügerisch zugleich. Denn jederzeit könnte die friedvolle Atmosphäre von den Gewehrsalven der Heckenschützen zerfetzt werden.
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