Der Verfasser einer Seifenoper für eine Radiostation in New Orleans Anfang der 50er Jahre löst mit seinen Anleihen bei der Realität neben öffentlichen Aggressionen auch eine Beinahe-Katastrophe im Liebesverhältnis eines jungen Radio-Journalisten zu seiner angeheirateten älteren Tante aus. Ein in fotografischer Poesie angefertigtes Zeit- und Menschenbild, das in Vermischung von Humor, Ironie, Charme und Psychologie die gegenseitige Durchdringung von Sein und Schein aufzeigt. Auch in der virtuosen Darstellung der Fragwürdigkeit von Wiedergabe des Lebens durch Trivialkunst erreicht der schauspielerisch hervorragende Film eine bemerkenswerte Verbindung von Vergnügen und Nachdenklichkeit.
- Sehenswert.
Julia und ihre Liebhaber
Komödie | USA 1990/91 | 107 Minuten
Regie: Jon Amiel
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Filmdaten
- Originaltitel
- TUNE IN TOMORROW | AUNT JULIA AND THE SCRIPTWRITER
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1990/91
- Produktionsfirma
- Cinecom International/Odyssey/Polar
- Regie
- Jon Amiel
- Buch
- William Boyd
- Kamera
- Robert Stevens
- Musik
- Wynton Marsalis
- Schnitt
- Peter Boyle
- Darsteller
- Barbara Hershey (Julia) · Keanu Reeves (Martin) · Peter Falk (Carmichael) · Bill McCutcheon (Puddler) · Patricia Clarkson (Olga)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Komödie | Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Mit dem Rückgriff auf den Anfang der 50er Jahre, als Krimi- und Familienserien noch aus dem Radio kamen, behandelt der Film unter mehreren Aspekten das Thema der Scheinhaftigkeit des Seins. Wer hier das Leben mit seinem Lieben und Leiden zum bloßen Schein trivialisiert, ist der Verfasser einer schier endlosen Seifenoper, die im Studio eines Senders in New Orleans 1951 von einer Schar pathetischer Sprecherinnen und Sprecher produziert wird. Sie alle sind in ihrer Ältlichkeit schon ziemlich über die emotionalen Wallungen hinaus, die sie akustisch glaubhaft zu machen haben. Daß ihre Seifenoper aber an der Spitze der Hörergunst steht, liegt vor allem daran, daß der Autoredro Carmichael gern heiße Eisen zur Unterhaltung verschmiedet und besonders darauf achtet, daß immer ein ordentlicher Schuß "Realität" zur Würzung ins Spiel kommt. In seiner besessenen Kunstbemühung geht er eines Tages so weit, die Verliebtheit eines knapp 21jährigen Radio-Kollegen "realistisch" über den Sender unters Volk zu bringen. Dieser junge Martin hat nämlich sein Herz ganz jenseits aller kleinbürgerlichen Moralauffassungen an seine angeheiratete und zweimal schon geschiedene Tante Julia verloren, die 35 Jahre alt ist. Weil Carmichael als "Könstla" darin eine Chance zur Entwicklung eines großen Dramas innerhalb seiner Radio-Serie sieht, belauscht er mit Tonbandgeräten die Dialoge der Liebenden in seinem Haus, das er ihnen mit spekulativer Güte zur Verfügung stellt. Als ihre Worte originalgetreu in die Seifenoper eingehen und öffentlich werden, ergeben sich ob dieser "Realität" Skandale und folgenschwere Entwicklungen, die Carmichael aber letzten Endes genau so geschickt auflöst wie das reißerisch-sentimentale Gestrüpp seiner Seifenoper.Das Geschehen hat alle Möglichkeiten zu einer rosa Komödie mit schwarzen Troddeln im Sinne Jean Anouilhs; und sie werden auch mit kunstvollen Verzahnungen von Komik, Ironie, Charme und tieferer Bedeutung voll wahrgenommen. In der Gegenüberstellung von Realität und Fiktion waltet ein spielerischer Zauber. Intellektualität, Poesie, Präzision und Träumerei umgeben mehrere Gruppen bizarrer Charaktere, deren Handlungen immer wieder für Irritationen innerhalb des Spiels sorgen. Denn ins Tun und Treiben der realen Liebenden, Familien und Radioleute mischen sich mehr und mehr auch die Seifenoper-Darsteller in den "lebendigen" Formen ein, die sich die Radiohörer von ihnen gemacht haben, wodurch sich der Doppeleffekt einer Rückkehr der Abziehbilder einer Realität in die Realität ergibt. Ein großes Maß hintergründigen Witzes bezieht der Film zudem aus den Verhaltensweisen der Radioleute, die ungeachtet der nüchternen Alltäglichkeit ihrer Produktion hochtrabender falscher Gefühle selbst dem verfallen, was sie produzieren. Aus dieser allseitigen mehrschichtigen Abwertung des Lebens zum bloßen Schein ergibt sich auch im Schlußteil des Films der schöne Schein eines Happy-Ends für Julia und ihren jungen Liebhaber. Denn wenn der Seifenoper-Verfasser Carmichael seine Intelligenz, seinen Witz und Sarkasmus nebst Selbstironie in den Dienst einer realen End-Idylle stellt, entspricht das genau dem Charakter seiner Seifenoper-Verlogenheit: der Seelenfrieden als Glückspunkt nach Herzensschlachten ist nur das Stichwort für die nächste Katastrophe. Denn kann bei dem großen Alters- und Charakterunterschied von Julia und ihrem blutjungen Geliebten das holde Glück Bestand vor der "wartenden Asche der Realität" haben? Und ist Glück nicht immer nur Schein, solange der Mensch nicht zur wahrhaften Erkenntnis der Vorgänge in der Welt um ihn vorstößt, um einzusehen, daß nach alter Weisheit der Mensch sich sein Glück immer nur durch Leiden verdient? Das Kunststück, Vergnügen und Nachdenklichkeit gleichermaßen zu erreichen, erzielt der Film mit einem vielverzeigten Geflecht von Szenen, die voll aus der Atmosphäre und bunter Gestaltenfülle leben. Beteiligt ist an diesem "einspinnenden Eindruck" die Tradition der fotografischen Poesie ebenso wie die vom New-Orleans-Piano ausgehende musikalische Zeitreise bis zum Rock, und die souveräne chamäleonhafte Schauspielkunst Peter Falks. Alle die innerhalb seiner Carmichael-Rolle steckenden Rollen vom Stubenmädchen bis zum Rabbi reißt er mit der gleichen Vitalität an sich wie einst der große deutsche Verwandlungsdarsteller Werner Krauss seine Parts.
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