Ein schwarzer Automechaniker rettet einen weißen Anwalt vor der Bedrohung durch eine Gruppe schwarzer Jugendlicher, woraus sich eine Freundschaft entwickelt, die beider Leben zum Besseren verändert. Episodisch angelegt, wird das Bild einer Gesellschaft entworfen, in der es keine großen Utopien mehr gibt und den Menschen nur noch ihre privaten Hoffnungen bleiben. Trotz des bombastischen Soundtracks ein leiser, unspektakulärer "Hollywood-Autorenfilm", der existentielle Grundfragen in simplen Geschichten und Metaphern zusammenfaßt.
- Sehenswert ab 16.
Grand Canyon - Im Herzen der Stadt
Drama | USA 1991 | 131 Minuten
Regie: Lawrence Kasdan
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Filmdaten
- Originaltitel
- GRAND CANYON
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1991
- Produktionsfirma
- 20th Century Fox
- Regie
- Lawrence Kasdan
- Buch
- Lawrence Kasdan · Meg Kasdan
- Kamera
- Owen Roizman
- Musik
- James Newton Howard
- Schnitt
- Carol Littleton
- Darsteller
- Danny Glover (Simon) · Kevin Kline (Mack) · Steve Martin (Davis) · Mary McDonnell (Claire) · Mary-Louise Parker (Dee)
- Länge
- 131 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Hubschrauber kreisen über den imposanten Kulissen der Schlucht. Einmal habe ihm am Rand des Grand Canyon die Erkenntnis überfallen, wie unbedeutend die Sorgen jedes einzelnen sich angesichts dieser schier endlosen Weite und Tiefe ausnehmen, erzählt Simon seinem Zufallsbekannten Mack dem er - wahrscheinlich - kurz zuvor das Leben gerettet hat.Wenn gelungenes Kino auch bedeutet, Banalität und Größe des menschlichen Daseins in sinnfälligen Metaphern zu komprimieren, dann ist "Grand Canyon" ein großartiger Film und ein ziemlich banaler dazu. Hubschrauber kreisen über den Kulissen der Schlucht Los Angeles mit ihren abgrundtiefen Gräben zwischen ethnischen Gruppen und Generationen, zwischen heilem "american way of life" und einer der höchsten Kriminalitätsraten der Vereinigten Staaten. Regisseur Lawrence Kasdan allerdings ist es nicht an der Vogelperspektive gelegen, jenem relativierenden Blick aufs imposante Ganze. Kasdan geht auf Tauchstation, erzählt am Beispiel einer Handvoll Figuren vom wenig aussichtsreichen Kampf ums physische und moralische Überleben.Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist Mack, Prototyp des männlichen, weißen Erfolgsmenschen um die Vierzig. Macks Flucht aus dem Verkehrsstau nach einem abendlichen Baseballspiel endet mit einem Autoschaden in .feindlichem Territorium'. Von einer Gang jugendlicher Schwarzer bedroht, kommt Mack im letzten Moment durch die Intervention Simons, eines farbigen Mechanikers, mit heiler Haut davon. In einer Mischung aus Dankbarkeit, Neugier und dem (leicht gönnerhaften) Bestreben nach Wiedergutmachung sucht Mack die Freundschaft seines ,Retters'. Simon erweist sich als einsamer und zäher Mann mit handfesten Problemen: die Ausbildung seiner gehörlosen Tochter verschlingt den größten Teil seiner Einkünfte; sein jugendlicher Neffe sucht Halt bei einer gewalttätigen Straßengang.Mack selbst und seine Frau Claire plagen sich derweil mit den Sinnkrisen des wohlhabenden Mittelstands. Das Heranwachsen ihres Sohnes Roberto droht dem Familienidyll das Zentrum zu nehmen und die Ehe vor eine Belastungsprobe zu stellen. Als Claire beim Joggen ein ausgesetztes Baby entdeckt, glaubt sie an einen Wink des Schicksals. Mack allerdings steht der Idee einer Adoption kritisch gegenüber.Frei von allen Sorgen wähnt sich lediglich Davis (Steve Martin in einer seiner besten Rollen). Der Produzent von kassenträchtigen Brutalo-Filmen aalt sich an der Sonnenseite des Lebens, bis ihm ein Fremder unvermittelt ins Bein schießt und sich der Saulus daraufhin zum Paulus wandelt. Vorübergehend. Zwei Frauen runden das Sextett der Hauptfiguren ab. Die junge Sekretärin Dee hat sich in Mack, ihren Chef, verliebt und verfällt in Depressionen, als ihr bewußt wird, daß er nach einem einmaligen Seitensprung keine längerfristige Affäre will. Dees farbige Freundin Jane dagegen erlebt das große Glück, als Mack sie mit Simon bekanntmacht - und als ,Stifter' dieser Liaison endlich sein Bedürfnis nach Wiedergutmachung befriedigt.Das Chaos beim Verlassen eines überfüllten Parkplatzes rührt gerade daher, daß sich alle gleichzeitig um ein geordnetes Fortkommen bemühen, heißt es zu Beginn des Films. Macks Lebenskrise beginnt mit einer Autopanne. Später erlebt man Mack und Roberto gemeinsam ihm Wagen; der Vater gibt dem Sohn Fahrstunden. Metaphern für die ständig präsenten Gefahren des Großstadtlebens, das die eben gewonnenen Erfahrungen an der nächsten Ecke ad absurdum führt. Jenseits jeder gesellschaftlichen Analyse gelingt Kasdan mit relativ simplen Mitteln, Sympathie für seine Figuren und ihre teils verzweifelte Suche nach Spuren von Lebenssinn zu erwecken. Daß die kleinen Siege einiger dieser Personen am Ende beinahe märchenhaft anmuten, wirft dennoch ein bezeichnendes Licht auf Kasdans Porträt einer Gesellschaft, deren hehre Utopien auf ein Minimum privater Hoffnungen geschrumpft sind: eine neue Wohngegend, eine neue Beziehung, die Chance, sich nützlich zu fühlen.Über die eigene Erzählperspektive läßt der Autor/Regisseur zum Glück keinen Zweifel. Kasdan versucht erst gar nicht, sich als Experte in Sachen Bandenkriminalität anzudienen - und wohl nicht ganz zufällig stellen Jane und Simon bei einem Rendezvous plötzlich fest: "Wir sind wahrscheinlich die einzigen Schwarzen, die Mack kennt." Mack und Claire sind die primären Identifikationsfiguren, die Repräsentaten jener weißen Mittelstandsgesellschaft, die "Grand Canyon" in den USA allerdings schmählich hat durchfallen lassen - trotz des auf Massengeschmack getrimmten unsäglichen Soundtracks von James Newton Howard. Kasdans Szenario ist fürs US-Publikum offenbar zu bedrückend, auch wenn allgegenwärtige Gewalt und Hoffnungslosigkeit kaum je explizit gezeigt werden.Am Ende gönnt der Film seinen Hauptfiguren einen Moment der Erlösung - den Blick vom Rand des Grand Canyon. Und (wie zuvor einmal kurz in L.A.) schwingt sich die Kamera in die Hubschrauberperspektive. Ein langer Glücksmoment des Durchatmens, Sich-Distanzierens und Auftankens. Der nächste Verkehrsstau kommt bestimmt.
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