Die "Verfehlung" besteht darin, daß im Herbst 1988 eine Reinmachefrau in einem Dorf der DDR, auf das landverödend der Braunkohleabbau zurückt, einen in der Nachbarschaft zu Besuch weilenden Hafenarbeiter aus Hamburg kennenlernt. Beide haben mit mehr als 50 Lebensjahren nicht nur das Alter, sondern auch ein verschüttetes Zärtlichkeitsbedürfnis gemeinsam. Das führt zu einem still heranwachsenden "späten Glück". Es kann sich aber wegen der politischen Verhältnisse nur in Heimlichkeit erfüllen, etwa in der "Absteige" bei einer Berliner Freundin der Frau. Doch diese Heimlichkeit widerstrebt der Frau um so mehr, je stärker ihre Liebe wird. "Ich kann so nicht leben", lautet das verzweifelte Schlüsselwort für ihren Mut, während einer öffentlichen Silvesterfeier sich zu ihm zu bekennen. Während die Glocken 1989, das letzte Jahr der DDR, einläuten, gibt sie ihre Verlobung mit dem Hamburger bekannt. Aber wie sie die im Lande immer stärker aufbrechenden politischen Konflikte unvollkommen nur als Reflexe in den Beziehungen zu ihren zwei erwachsenen Söhnen wahrnimmt, geht ihr auch das volle Bewußtsein dafür ab, daß in diesem realsozialistischen Staat bestimmte Wunschträume keine Wirklichkeit werden können. Die voraussetzungslose Liebe zum Nächsten ist hier aus ideologischem Grund unerwünscht. Erbarmungslos bekommt die Frau für ihre "Unbotmäßigkeit" die herrschaftsstabilisierenden Mechanismen des SED-Regimes, das flächendeckende Spitzelsystem mit seinen fleißigen Informanten, das staatspolizeiliche Denken und Handeln zu spüren: der Hamburger wird bei einem ihrer Treffen in Ost-Berlin verhaftet und des Landes verwiesen; der in oppositionellen Kirchenkreisen aktive jüngere Sohn verschwindet in einer psychiatrischen Klinik, wo die Frau ihn nach erkämpftem Besuch als ein mit Psychopharmaka vollgepumptes menschliches Wrack wiederfindet; und den im Journalismus erfolgreichen älteren Sohn, Familienvater mit zwei Kindern, wirft sie zur Tür hinaus, als er sie in Angst vor dem drohenden Verlust des parteilichen Wohlwollens und seiner Karriere zum Verzicht auf ihre Liebe auffordert. Ohne Alternative zu ihrer völligen Resignation erschießt sie als vermeintlichen Auslöser ihres ganzen Unglücks den Bürgermeister. Denn dieser Mann hat sie begehrt, geliebt und umworben und sich um so gedemütigter gefühlt, je mehr die Liebe der Frau zum Hamburger Hafenarbeiter für alle offenbar wurde; und er hat sie in einem Ausbruch von Frustration und Aggression in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt und zuletzt mit sexueller Gewalt als Frau entwürdigt. Aber so sehr das Motiv, die Frau ins Unglück zu treiben, zum lokalen Machthaber paßt, liegt die wahre Schuld für das ganze Unheil beim totalitären SED-System. Denn wo ist besser Gelegenheit gegeben, aus Verschmähtsein, Neid und Haß einen Menschen in Gefahr, Unglück oder gar Tod zu bringen, als in einem Staat mit vollendet strukturiertem Bespitzelungs- und Unterdrückungsapparat? So hat die Frau, die am Ende des Films immerzu stumpfsinnig in der "Freistunde" im engen Gefängnishofmit ein paar Schritten im Kreise umhergeht, während draußen im Lande die Wende-Euphorie aufrauscht, letzthin doch den "Falschen" erschossen.Heiner Carow, einst DEFA-Filmemacher und ein DDR-Kenner mit viel Selbsterfahrung, stellt im schonungslosen Bewußtmachen des SED-Totalitarismus nicht nur die vergiftenden Eingriffe der Diktatur in die Beziehungen der Menschen untereinander dar. Einfühlsam zeichnet er mit dem Bürgermeister einen (wenn auch seinerzeit bestimmt nicht gängigen) Funktionärstyp nach. In diesem Dorfoberen mit ausgenutztem Idealismus, wachsendem Gefühl für ein Betrogensein und hilflosem Selbstreinigungsbedürfnis, das aber doch nicht zu einer Grundlage für Neuanfang und Unabhängigkeit führt, macht Carow ein Stück deutscher Generationstragik deutlich. Hingegen gerinnen die eingeflochtenen Schicksale der Söhne -abgesehen von der beklemmend schrecklichen Szene mit dem Jüngsten in der Psychiatrie -wegen der dramaturgisch bedingten Verkürzung weitgehend zu Klischees. Jedes dieser Schicksale ist einen ganzen Film wert. Auch das Parteirummel darstellende Jahresfest der dörflichen Betriebs- und Kampfgruppen ist ungeachtet entlarvender Absichten ohne sonderliche Wirkung. Wenn eine weibliche Betriebsgruppe in kläglicher Kostümierung und mit verfrorenen, ausdruckslosen Gesichtern beim Umzug auf vereister Dorfstraße einen Cancan hinlegt, sieht zumindest der "Wessi" darin nur eine exotische Groteske. Auf keinen Fall aber empfindet er diese in ihrer Würdelosigkeit peinigende Sequenz als Symbolisierung des ständig im Miefig-Provinziellen landenden DDR-Bemühens, sinnenfrohe "große Welt" zu sein. Was den Film aber auch an solchen Schwachstellen trägt, ist die Schauspielkunst; allen voran Angelica Domröse, die schon einmal unter Heiner Carows Regie einen gegen Normen und Anpassungsideologien kämpfenden Menschen im "real existierenden Sozialismus" gespielt hat: 1973 in "Die Legende von Paul und Paula"
(fd 18 775).