Die bittere Liebe
Komödie | Italien 1951 | 86 Minuten
Regie: Federico Fellini
Filmdaten
- Originaltitel
- LO SCEICCO BIANCO
- Produktionsland
- Italien
- Produktionsjahr
- 1951
- Produktionsfirma
- P.D.C.
- Regie
- Federico Fellini
- Buch
- Federico Fellini · Tullio Pinelli · Ennio Flaiano
- Kamera
- Arturo Gallea
- Musik
- Nino Rota
- Schnitt
- Rolando Benedetti
- Darsteller
- Alberto Sordi ("Der weiße Scheich") · Brunella Bovo (Wanda) · Leopoldo Trieste (Ivan) · Ernesto Almirante (Dottore Fortuna) · Giulietta Masina (Cabiria)
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; nf
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Komödie | Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
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Heimkino
„Träume sind unser wahres Leben“, heißt es in Federico Fellinis Frühwerk „Der weiße Scheich“ (1951), in dem der Regisseur bereits viele seiner Lieblingsmotive versammelt.
Wenn man es genau nimmt, ist dies Federico Fellinis erster eigener Film. Denn „Die Lichter des Varieté“ (1950) hatte er noch in Co-Regie mit Alberto Lattuada gedreht. „Der weiße Scheich“ inszenierte er im Alleingang – ein Film, in dem bereits vieles enthalten ist, was Fellini später noch deutlicher und eindrücklicher beschäftigte: das Aufeinanderprallen von Realität und Illusion, die Spannung zwischen Maske und Gesicht, das auffallende Gespür für den Ausdruck persönlicher Obsessionen.
„Der weiße Scheich“ ist ein schöner, anspielungsreicher Titel. Da denkt man gleich an Rudolph Valentino und seine Filme „Der Scheich“ (1921) und „Der Sohn des Scheichs“ (1926). Doch Fellini bezieht sich hier noch auf etwas anderes, auf ein Phänomen, das man in Deutschland allenfalls aus alten „Bravo“-Ausgaben kennt: die sogenannten „foto romanzi“. Sie sind das fotorealistische Äquivalent zu einem Cartoon, also Bilder mit Sprechblasen. Inhaltlich orientieren sich diese „Fotoromanzen“ an Fernseh-Soap-Operas. Der Clash von Wirklichkeit und Fantasie könnte in dieser Erzählform nicht größer sein.
„Der weiße Scheich“, 1951 gedreht, aber erst 1962 als „Die bittere Liebe“ in den deutschen Kinos zu sehen, beginnt mit einer Ankunft. Ivan Cavalli und seine Frau Wanda kommen mit dem Zug in der „Stazione Termini“ in Rom an. Es ist ihre Hochzeitsreise. Das Besuchsprogramm ist vollgepackt: Essen mit Verwandten, Papstaudienz, Besichtigungen, sogar die Hochzeitsnacht hat Ivan bis ins kleinste Detail geplant. Ivan ist der ängstliche Kleinbürger aus der Provinz, gefangen in privaten Zwängen und gesellschaftlichen Konventionen, eingeschränkt durch die Erwartungen anderer. Er verkörpert das Gegenteil von Spontaneität und Gefühl und fungiert so als Antithese zur temperamentvollen Italianità, zu der Vorstellungen von Ordnung und Pedanterie so gar nicht passen wollen.
Flucht in die Welt der Fotoromanzen
Wanda ist ganz anders, naiver, introvertierter, verträumter. Und sie hat einen Weg gefunden, ihrer Provinzialität und ihrer Ehe zu entkommen – sie flüchtet sich in die Welt der Fotoromanzen, in Fantasie und das Irrationale. Vorab hat sie schriftlich ein Rendezvous mit dem „Weißen Scheich“, dem Helden ihres Lieblings-Bildromans, vereinbart und mit „bambola apassionata“ – leidenschaftliche Puppe – unterzeichnet. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit reißt sie deshalb einfach aus und läuft zu der Zeitungsredaktion, die die Bildromanserie „Der weiße Scheich“ veröffentlicht.
Mit dieser kleinen Flucht spaltet sich der Film in zwei parallel geführte Handlungsstränge, die sich immer wieder abwechseln, so wie sich auch Realität und Fantasie abwechseln. In der Redaktion erfährt Wanda, dass der Scheich am Strand von Fregene dreht. Plötzlich befindet sie sich in einem Lastwagen, der die bereits verkleideten Schauspieler und die Crew zum Drehort fährt. Und dann sieht sie ihn: den Weißen Scheich. Er sitzt auf einer Schaukel, die zwischen zwei Bäumen drei Meter über dem Boden aufgehängt ist, ohne dass man wüsste, wie er dort hingekommen ist oder welche Funktion dieses Bild innerhalb der Fotoromanze erfüllt.
Es ist eines dieser Bilder, die Fellini so sehr liebt: ungewöhnlich, unerklärlich, überraschend. Der Scheich, sichtlich begeistert über die Begegnung mit der aparten jungen Frau, überredet sie, sich als Haremsdame zu verkleiden und in der Fotoromanze mitzuspielen. Doch Wanda schauspielert nicht, sie lebt ihre Rolle; die Illusion der Inszenierung nimmt sie als Realität. „Träume sind unser wahres Leben“, hat die Herausgeberin des Magazins zuvor einmal gesagt.
Masken allerorten
In der Zwischenzeit ist auch Ivan gezwungen, eine Rolle anzunehmen. Um seinen Verwandten zu verheimlichen, dass seine Ehefrau spurlos verschwunden ist, gibt er sogar vor, in einem Restaurant mit ihr zu telefonieren. Während Wanda sich ihre Maske selbst erschaffen hat, wird Ivan die Maske von anderen aufgezwungen. Für Wanda gibt es ein böses Erwachen: Als der Scheich sie in einem Boot auf dem Meer küssen will, weist sie ihn empört zurück. Und dann wartet zu allem Überfluss noch seine ganz reale Ehefrau, ein dickes, keifendes Weib, auf ihn. Kurzerhand verleugnet er Wanda, um die Eifersucht seiner Frau zu bremsen. Ivan hingegen geht zur Polizei, um das mysteriöse Verschwinden Wandas anzuzeigen.
Am Schluss, so viel darf verraten werden, finden die beiden Erzählfäden, die Fellini so sorgfältig getrennt hat, wieder zusammen, Illusion und Wirklichkeit vereinen sich. Wanda akzeptiert, dass sie nun verheiratet ist, mit allen Konsequenzen, die dieser Bund mit sich bringt. „Du bist mein weißer Scheich“, sagt sie zu Ivan. Das macht aus dem Film nicht nur eine leichte Komödie über Provinzler, die in der gefährlichen Großstadt auf Abwege geraten, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur. Die Menschen sind gezwungen, in ihrem Leben Rollen zu spielen, um gesellschaftliche Normen zu erfüllen. Kleine Fluchten in die Fantasie sind durchaus erlaubt. Doch man muss die Maske auch wieder abnehmen.
Ungewöhnliche Typen und skurrile Szenen
Fellini überzeugt hier durch das Finden von ungewöhnlichen Typen und bizarren Gesichtern. Man schaue sich nur die kurze Abfolge der verständnislosen Verwandten an, mit ihren tollen Konterfeis, besonders den Jungen im Matrosenanzug und den Priester aus Schwarzafrika, der ein unverständliches Kauderwelsch spricht. Immer wieder erfindet Fellini skurrile Szenen, etwa mit den Bersaglieri, die im Laufschritt durch das Bild eilen und dabei noch Musik machen, oder die Aufnahmen des Fotoromans, die die Handlung für einen kurzen Moment einfrieren.
Das große Glück dieses Films aber ist Alberto Sordi, der vielleicht beste Komiker Italiens, eines an Komikern nicht gerade armen Landes. Wie er urplötzlich zwischen vorgeblicher Weltgewandtheit und weinerlicher Feigheit wechselt, zwischen Jovialität und Kleinbürgerlichkeit, Selbstironie und Selbstbestrafung – das macht ihm so schnell niemand nach. In einer kleinen Nebenrolle ist übrigens Fellinis Ehefrau Giulietta Masina zu sehen – als Hure mit Herz. Ihr Name: Cabiria.
Discografische Angaben:
„Der weiße Scheich“ (Originaltitel: „Lo Sceicco Bianco“). Italien 1951. Regie: Federico Fellini. Mit Alberto Sordi, Brunella Bovo, Leopoldo Trieste, Giulietta Masina. 86 Min. FSK: ab 16. Anbieter: StudioCanal. Bezug: hier
Der Film ist im Frühjahr 2020 in Deutschland digital remastered auf DVD und erstmals auf Blu-ray erschienen.