Die Faust in der Tasche

wernstein@web.de | 04.05.2023

Der Filmtitel erinnert nicht ohne Grund an Elia Kazans großen Klassiker „Die Faust im Nacken“ (1954): In beiden Filmen sind die Lebensrealitäten junger Männer durch soziale Verwerfungen bedroht und der vorzügliche Ernst Hannawald erinnert in seiner rebellischen Aufsässigkeit überzeugend an den frühen Marlon Brando. Aber auch der von Karl Malden verkörperte, sozial engagierte Pater Berry, auch schon mal ein paar treffsichere Kinnhaken verteilend, findet seine Entsprechung in Manfred Krugs Laienbruder Lukas, der handfest und unerschrocken einen kirchlichen Jugendklub in Berlin-Kreuzberg leitet und mutig die Interessen der sozial benachteiligten Underdogs der Stadt bis an die Grenze zur Illegalität zu schützen versucht. Dennoch kann Max Willutzkis Film vor dem großen amerikanischen Vorbild nicht wirklich bestehen, zu kompromissbereit und harmoniesüchtig lösen sich am Ende die sozialen Spannungen auf dem intellektuellen Niveau des trivialdramaturgischen westdeutschen Vorabend-Werbefernsehens. Erhebliche Probleme der damaligen Bundesrepublik wie die strukturell bedingte Jugendarbeitslosigkeit, die einhergeht mit einer stärkeren Anfälligkeit junger Menschen für Straftaten bzw. deren steiniger Resozialisierungsweg nach erfolgten Haftentlassungen, werden verharmlost und ohne nachhaltige Pointierung erzählt. Manfred Krugs Rolle bleibt weit hinter den darstellerischen Möglichkeiten seiner DEFA-Produktionen zurück, für ihn ein qualitativer Niedergang, der augenfällig wird, wenn man Willutzkis „Faust in der Tasche“ mit Krugs letztem Filmauftritt in der DDR vergleicht, nämlich Frank Beyers ebenfalls im selben Jahr entstandener abgründiger Liebesfilm „Das Versteck“. Folgerichtig sollte in Westdeutschland die Karriere des einstigen ostdeutschen Kino-Superstars vorrangig in Fernsehserien wie „AufAchse“ (1980-1993), „Liebling Kreuzberg“ (1986-1998) und „Tatort“ (1984-2001) stattfinden. Für die hoffnungsvollen Nachwuchsstars des Films blieb der große Erfolg allerdings aus: Nach einem kurzen Höhenflug im Filmgeschäft schlug Ernst Hannawald leider auch in der Realität eine durch Kriminalität geprägte Drogenkarriere ein, die bezaubernde Ursela Monn blieb bis heute vorrangig nur noch als Darstellerin der Rieke Busch aus der fulminanten dreizehnteiligen Hans-Fallada-Verfilmung „Ein Mann will nach oben“ in Erinnerung (1978 im ZDF), Tommi Piper (im Film der verkommene Schnapshehler Archie) reüssierte später in erster Linie als deutsche Synchronstimme des Außerirdischen Alf aus der gleichnamigen amerikanischen Comedy-Serie (1986-1990). „Die Faust in der Tasche“ schöpft weder seine künstlerischen noch die kommerziellen Potenziale aus, die in etwa zeitgleich entstandenen Produktionen von Adolf Winkelmann („Die Abfahrer“, 1978; „Jede Menge Kohle“, 1981) und Rüdiger Nüchtern („Schluchtenflitzer“, 1979; „Nacht der Wölfe“, 1982), die sehr authentisch jugendliche Außenseiter porträtieren, haben hingegen bis heute ihre Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft bewahren können.