Ausgehend von einem in den 40er Jahren entstandenen Dokumentarfilm über das Leben der Landarbeiter in Ostfriesland bei der Einbringung der Ernte, betreibt Hans-Erich Viet seinerseits Spurensuche im Land seiner Väter. In sehr persönlichen Begegnungen mit Land und Leuten sowie deren Geschichten fügt sich eine überaus lebendige Sozialstudie der Region zusammen. Eine behutsame filmische Annäherung, unprätentiös und bescheiden wie die liebenswerten "Originale" selbst - die letzten Repräsentanten einer noch intakten Lebensgemeinschaft, die einem unaufhaltsamen Prozeß der Wandlung unterworfen ist.
- Sehenswert ab 14.
Schnaps im Wasserkessel
Dokumentarfilm | Deutschland 1991 | 76 Minuten
Regie: Hans-Erich Viet
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1991
- Produktionsfirma
- Viet-Filmprod./dffb
- Regie
- Hans-Erich Viet
- Buch
- Hans-Erich Viet
- Kamera
- Peter van den Reek
- Schnitt
- Petra Heymann
- Länge
- 76 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
"In Ostfriesland ist es am besten...", stimmt eine alte Frau auf der Mundharmonika die bekannte Hymne der Ostfriesen an. Allein, am Fenster sitzend, den Blick zum entlegenen Gehöft des Nachbarn, tauchen ihre Erinnerungen in schöne und schwere Zeiten eines an Arbeit reichen Lebens. In der Jugend mußte sie sich bei reichen Polderbauern verdingen; die wenigen Jahre Volksschule ließen keine andere Wahl. Frühzeitig schon wurde geheiratet, ohne Aussicht auf eine eigene Wohnung. Im Alter schließlich durfte man sich glücklich schätzen, endlich ein bescheidenes Anwesen erwerben zu können. Irgendwann in den 40er Jahren soll es sich zugetragen haben, daß einmal "bessere" Herren aus der Stadt kamen, um die Landarbeiter bei der Einbringung der Ernte mit seinerzeit schon veralteten Gerätschaften abzufilmen.Die den Film damals drehten, gerieten mit den Jahren in Vergessenheit; nicht aber der Gratis-Schnaps aus dem Wasserkessel, der den Statisten vor laufender Kamera ordentlich einheizte.Hans Erich Viet, geboren 1953 in Ostfriesland, begab sich mit dem nach vier Jahrzehnten wiederaufgefundenen Dokumentarfilm (Titel: "Rapsdreschen im 19ten Jahrhundert") auf Spurensuche in das Land seiner Vorväter. Er wird zum Ausgangspunkt sehr persönlicher Begegnungen mit Land und Leuten, deren Geschichte und Geschichten sich nach und nach zu einer überaus lebendigen Sozialhistorie der Region ergänzen und zusammenfügen. Die behutsame filmische Annäherung an eine Heimat, die so nur im Gedächtnis fortlebt. An den Anfang des Films setzt Viet eine schelmische Legende: Vor Zeiten habe Gott eine verheerende Sturmflut über das dem unmäßigen Alkoholkonsum verfallene Volk der Ostfriesen gesandt, die daraufhin zur Gottesfurcht zurückkehrten, während ihre Deiche immer höher wurden, sicherheitshalber - denn vom verteufelten Schnaps konnten sie trotz allem nicht lassen. Auf diese Weise - so wird weiter erzählt -soll einst auch Viets Großvater in die Geschichte jenes historischen Amateurfilms aus den 40er Jahren eingegangen sein, als er volltrunken vom Fahrrad in die Fluten stürzte.Viet ist seinen so lebensklugen wie schlitzohrigen Geschichtenerzählern, die die oft genug gar nicht gute alte Zeit mit trockenem Humor überstanden, ein dankbarer Zuhörer. Mit gehörigem Respekt tritt er bescheiden hinter die liebenswerten "Originale" zurück, hält die Kamera bewußt auf gebührender Distanz. Der angenehm unprätentiöse Film macht so wenig Aufhebens von sich wie seine (nicht)alltäglichen Helden. Allemal spricht das, was sie zu sagen haben, für sich, zumal sie es so sagen, wie es gemeint ist: in friesischem Platt. Die Rücksicht auf ein entbehrungsreiches und letztlich doch erfülltes Leben, von dem sich die Gegenwart kaum mehr ein Bild macht. Die geschickt eingeschnittenen Archivaufnahmen sowie die wiederkehrenden bedächtigen Schwenks über das flache, nebelverhangene Land sind hinreichender Kommentar im unaufhaltsamen Prozeß der Wandlung. Landarbeiter gibt es schon seit langem nicht mehr; deren Nachkommen wandern in die wenigen Industriestandorte der Umgebung ab; die einst hart erworbenen Höfe sind verwaist oder an Touristen vergeben. Ohne falsche Sentimentalität teilt sich berührend mit, wie die Fäden der Geschichte womöglich ein letztes Mal zur Textur einer über Generationen intakten Lebensgemeinschaft zusammenlaufen, die einem eigenen, bodenständigen Rhythmus folgte. Wenn am Schluß die alte Frau noch einmal die vertraute Weise anstimmt, ist der Zuschauer längst auf ihrer Seite: "Nichts geht über Friesland ...".
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