© imago/ABACAPRESS (Abschlussgala der 75. Berlinale)

Berlinale 2025: Magerkost statt Magie - Ein Fazit

Eine Bilanz der 75. Berlinale (13.-23.2.2025)

Aktualisiert am
28.02.2025 - 17:13:08
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Als Jubiläumsausgabe und zugleich erster Jahrgang unter der Leitung der US-Amerikanerin Tricia Tuttle hatte die 75. Berlinale (13.-23.2.2025) im Vorfeld einige Erwartungen geschürt. Doch von Glanz konnte keine Rede sein. Die neue Intendantin weckte keine Hoffnungen auf einen großen Aufbruch, während insbesondere im Wettbewerb die Filme nicht begeistern konnten. Ein gutes Niveau in den Nebensektionen und achtbare Jury-Entscheidungen verbergen nicht, dass die Berlinale in einer künstlerischen, durchaus auch selbstverschuldeten Krise steckt.


Selbst im Mittelpunkt stehen, statt nur Zaungast zu sein. Und das, wo doch offensichtlich sein müsste, wie viel man noch zu bieten hat! So sieht es im Innern des Textdichters Lorenz Hart (Ethan Hawke) aus, als er in der autobiographischen Filmkomödie „Blue Moon“ am 31. März 1943 die Premierenfeier des Musicals „Oklahoma!“ erwartet. Hart hatte sich bereits für annähernd tausend Songs clevere Zeilen einfallen lassen, doch zwanzig Jahre gemeinsamer Erfolg mit dem Komponisten Richard Rodgers scheinen jetzt nichts mehr zu gelten. Für das nostalgische Musical hat Rodgers sich mit Oscar Hammerstein II einen anderen Texter geholt.


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Beim Warten in der Broadway-Bar Sardi’s mäkelt Hart nach Kräften an der musikalischen Qualität von „Oklahoma!“ herum, hat aber keinen Zweifel am Triumph des Werks. Zumal er es gegenüber Barkeeper, Pianist und Gästen quasi als Grundsatz ausgibt, im Leben für die falschen Dinge geschätzt zu werden, so wie er für seinen berühmten, aber nicht eben tiefgründigen Song „Blue Moon“. Doch in dem Szenario, das Regisseur Richard Linklater und Drehbuchautor Robert Kaplow unterhaltsam ausbreiten, beschließt Hart trotzig, um den Platz zu kämpfen, der ihm gebührt. So schluckt er seinen Stolz hinunter, dienert sich Rodgers an und lässt noch einmal alle Talente aufblitzen, um Vorurteile wegen seiner Defizite abzubauen.

Der mit Minderheitskomplexen behaftete Künstler, der nicht aufgeben will, und die Berlinale als Festival, das seinen Platz neben den beiden großen Konkurrenten Cannes und Venedig sucht. Es liegt nahe, den Film „Blue Moon“ gedanklich mit den Filmfestspielen zu verknüpfen, wo er im Februar 2025 seine Weltpremiere feierte. Doch wie so oft geht auch hier der Vergleich nicht ganz auf. Zur Charakterisierung der 75. Berlinale (13.-23.2.2025) muss man noch einen weiteren Film heranziehen: die Gesellschaftssatire „The Blue Trail“ des brasilianischen Regisseurs Gabriel Mascaro. Darin werden neoliberale Vorgaben zu einer Dystopie weiterentwickelt, da alte Menschen in sogenannte „Kolonien“ abgeschoben werden, um den Jüngeren nicht im Weg zu stehen.

Nicht stehen bleiben: "The Blue Trail" (Desvia/Guillermo Garza)
Nicht stehen bleiben: "The Blue Trail" (© Desvia/Guillermo Garza)

Wenn dabei das 75. Lebensjahr die Grenze markiert, um aufs alte Eisen geschoben zu werden, lässt sich das durchaus auch auf die Jubiläums-Berlinale übertragen, wo wie man in der beherzten Protagonistin des Films auch ein Vorbild sehen könnte. Denn die 77-jährige Tereza will sich ihre Eigenständigkeit nicht nehmen lassen. Sie schlägt entschlossen neue Wege ein und wagt sogar noch einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Eine Leitfigur nach Maß.

Im Wettbewerb der 75. Berlinale gehörten „Blue Moon“ und „The Blue Trail“ zu den meistbeachteten Werken; Linklater als prominentester Name unter den eingeladenen Filmemachern, Mascaro als größte Entdeckung. Wenig überraschend zählten beide Filme am Ende auch zu den Gewinnern. Mascaro gewann deren „Großen Preis“, für „Blue Moon“ wurde der irische Schauspieler Andrew Scott fürseine Darstellung von Richard Rodgers für die beste Nebenrolle geehrt. Es waren Lichtblicke am Ende eines Festivals, bei dem es einigermaßen schwerfiel, Enthusiasmus für die Filmauswahl im ersten Jahr der neuen Leiterin Tricia Tuttle zu empfinden. Ihre selbstbewusste Vorgabe, im Wettbewerb Werke zu präsentieren, „die wir für besonders relevant halten“, und deren Macher „ihr Metier in Perfektion“ beherrschen sollten, konnte der Wirklichkeit nicht standhalten. Zwar präsentierten sich einige etablierte Regisseure auf hohem Niveau, etwa der verlässliche Hong Sang-soo mit seiner pointierten Tragikomödie „What Does That Nature Say to You“ – ebenfalls mit Künstlerthematik. Oder der Schweizer Lionel Baier mit seiner stil- und liebevollen Betrachtung einer jüdisch-intellektuellen Familie im turbulenten Pariser Mai 1968 in „La cache“. Dominanter waren 2025 jedoch Arbeiten, die interessante Ansätze erzählerisch wie ästhetisch nur halbherzig verfolgten.

Dazu zählt etwa der kaum nachvollziehbar mit dem „Preis der Jury“ geehrte argentinische Film „La mensaje“ von Iván Fund. Dieser handelt von einem Mädchen, das mit seinen Pflegeeltern als angebliches Medium mit der Gabe, Gedanken von Tieren zu übersetzen, durch die Provinz reist. Eine Geschichte voll satirischem Potenzial, das Fund aber ebenso wenig nutzt, wie die Schwarz-weiß-Bilder des Films und ein ewig gleiches Trompetenthema ein Mehrwert sind. Zwischen öden Road-Movie-Momenten und überwiegend schwachen Episoden mit Tierbesitzern und ihren Schützlingen hat der Film am Ende nicht allzu viel vorzuweisen.


Die "Oslo Stories" von Dag Johan Haugerud

Auf der anderen Seite standen im Wettbewerb zwar ästhetisch herausragende, aber wenig substanzielle Arbeiten wie die unterkühlte „Schneekönigin“-Reflexion „The Ice Tower“ oder die Hommage ans italienische Genrekino der 1960er-/1970er-Jahre in Gestalt von „Reflection in a Dead Diamond“.

Auch der Film, den die Internationale Jury unter Vorsitz des US-Regisseurs Todd Haynes zum Gewinner des „Goldenen Bären“ kürte, kann nur begrenzt Begeisterung wecken. Zwar ist die Auszeichnung für das norwegische Liebes- und Künstlerinnendrama „Dreams (Sex Love)“ von Dag Johan Haugerud kein weiteres Desaster, wie es für Tricia Tuttle zu Beginn der Berlinale noch der missglückte Eröffnungsfilm „Das Licht“ und die israelfeindlichen Pöbeleien der Ehrenpreisträgerin Tilda Swinton waren. Einen großen Gefallen hat die Jury der neuen Leiterin damit aber auch nicht getan.

Haugerud präsentiert mit „Dreams (Sex Love)“ den Abschluss seiner „Oslo-Stories“-Trilogie, deren erste, in sich abgeschlossene Teile „Liebe“ und „Sehnsucht“ viel positiven Zuspruch erhalten haben. „Dreams (Sex Love)“, ein Drama um eine 15-Jährige mit Gefühlen für ihre Lehrerin und dem Willen, diese sowohl real als auch literarisch auszuleben, ist in Norwegen allerdings schon im November des vergangenen Jahres in den Kinos angelaufen. Den verbreiteten Vorbehalt, dass die Berlinale weniger eigene Entdeckungen präsentiert, als Filme lediglich hinterherzutragen, wird diese Ehrung jedenfalls nicht verstummen lassen.

Drei literarisch ambitionierte Generationen: "Dreams (Sex Love)" (Motlys)
Drei literarisch ambitionierte Generationen: "Dreams (Sex Love)" (© Motlys)

Ansprüche und Profil des Festivals sind seit Langem nach beinahe jeder Berlinale ein Streitpunkt. Doch 2025 stellt sich die Frage nach dem „Warum“ mit so viel Berechtigung wie selten. Warum es nötig war, die erfolgreichen Ansätze von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek als Leitungsduo nicht fortzuführen, sondern auf einen kompletten Neustart mit einer neuen Leiterin zu setzen, hatte sich schon bei der Ernennung von Tricia Tuttle nicht erschlossen. Angesichts ihrer fehlenden Erfahrung mit der Organisation eines wettbewerbsorientierten A-Festivals waren schon damals Zweifel aufgekommen, die durch ihren ersten Berlinale-Jahrgang nicht ausgeräumt wurden.

Daran hat auch die Selbstpräsentation der neuen Festivalchefin ihren Anteil, die sich 2025 keineswegs als große Erneuerin gab, sondern zurückhaltend und bescheiden auftrat und immer wieder betonte, wie sehr sie in der Tradition der Filmfestspiele stehe. Das trifft auf Teile der Berlinale zweifellos auch zu, etwa auf die ohne Änderungen weiter bestehenden und unverändert niveauvollen Nebensektionen „Panorama“, „Forum“ und „Generation“. Oder auch auf die Platzierung dokumentarischer Arbeiten mit hoher Gegenwartsrelevanz im Programm, von der Aufarbeitung rassistischer Gewalttaten in „Die Möllner Briefe“ und „Das Deutsche Volk“ über die Anschläge von Mölln und Hanau bis zu „Holding Liat“ und „Letter to David“ über israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas.

Doch neben all dem ist Tricia Tuttle in ihrem ersten Jahr auch vieles schuldig geblieben. Die Schwäche des Wettbewerbs lässt sich nicht mit dem Neuanfang erklären. Ihr Vorgänger Carlo Chatrian hatte bei seinem Einstieg 2020 immerhin Mohammad Rasoulof, Abel Ferrara, Sally Potter, Kelly Reichardt, Rithy Panh und Tsai Ming-liang als international renommierte Regisseure in den Wettbewerb geholt. 18 Jahre vorher war Dieter Kosslick gar mit Hayao Miyazaki, François Ozon, Costa-Gavras, Kim Ki-duk, Otar Iosseliani, Bertrand Tavernier und Wes Anderson gestartet. Zwar hatten Chatrian wie Kosslick auch schwächere Jahrgänge zu verzeichnen, doch die Möglichkeit, die globale Riege der Filmemacher den Festivals in Cannes und Venedig abspenstig zu machen, schien zumindest greifbar.

"Letter to David" von Tom Shaney (Yaniv Linton)
"Letter to David" von Tom Shoval (© Yaniv Linton)

Auch wenn Tricia Tuttle hohe Erwartungen schon weit im Vorfeld gedämpft hatte, lag der Eindruck einer Schmalspur-Berlinale bleischwer über dem Jubiläumsjahrgang. Woran neben dem Wettbewerb auch die mit 21 Filmen äußerst üppig bestückte „Special“-Sektion wenig änderte, zumal die Auftritte internationaler Stars überschaubar blieben. Wirkliche Lust aufs Kino war kaum zu spüren.


Entdeckungen in den "Perspectives"

Am ehesten sorgte noch die neue Sektion „Perspectives“ für Filmdebüts für Impulse. Hier offenbarten sich erfrischende Entdeckungen. Etwa die leichte, wie improvisiert wirkende und dabei hochpräzise Komödie „Le rendez-vous de l’été“ über eine junge Französin im Trubel der Olympischen Sommerspiele in Paris, das in feinen Schwarz-weiß-Bildkompositionen angelegte ungarische Familiendrama „Growing Down“ oder die zarte Coming-of-Age-Geschichte „Little Trouble Girls“ über die Gefühlsverwirrungen einer introvertierten slowenischen Jugendlichen. Deren Macher:innen Valentine Cadic, Bálint Dániel Sós und Urška Djukić empfahlen sich für Höheres; mit ihren nächsten Filmen könnten sie in den Wettbewerb eines A-Festivals vorstoßen.

Davon dürfte aber erst in einigen Jahren etwas zu spüren sein, was die Probleme der Berlinale auf kurze Sicht nicht löst. Da auch die Kinosituation in Berlin nach wie vor prekär und die finanzielle Lage des Festivals ungeklärt ist, drohen noch mehr magere Jahre und ein weiterer Abstieg in der internationalen Wahrnehmung. Die Baustelle Berlinale ist unter Tricia Tuttle nicht kleiner geworden.





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