© Sabine Gudath (Die Preisträger des "Preis der deutschen Filmkritik" 2024)

Preis der deutschen Filmkritik für „Verbrannte Erde“

Bei der Verleihung des Preis der Filmkritik für das Jahr 2024 wurden ingesamt zwölf verschiedene Werke und ihre Macher ausgezeichnet

Aktualisiert am
20.02.2025 - 13:16:34
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Die deutschen Filmkritiker:innen haben „Verbrannte Erde“ von Thomas Arslan als besten Film des Jahres 2024 gekürt. Bei der festlichen Gala zur Verleihung der Preise in der Akademie der Künste ehrten die Kritiker insgesamt 12 verschiedene Filme und ihre Macher. Mit dem Ehrenpreis des Kritikerverbandes wurde Klaus Eder für seine jahrzehntelangen Verdienste um die FIPRESCI ausgezeichnet.


Während der Berlinale verlieh der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) in zwölf Kategorien den Preis der deutschen Filmkritik für das Jahr 2024. Die Preisverleihung fand am Sonntag, dem 16. Februar 2025m in der Akademie der Künste in Berlin statt.

Zum Besten Spielfilm des Jahres 2024 kürte die Jury „Verbrannte Erde“ von Thomas Arslan. Die Jury lobte dabei besonders die „subtil fesselnde Dynamik“, durch die der Thriller das Publikum „in eine vertraute Fantasie aus Unverletzlichkeit und Kontrolle, deren klug inszeniertes Scheitern tief blicken lässt.“ Mit dem Preis für das Beste Filmdebüt wurde „Vena“ von Chiara Fleischhacker ausgezeichnet. Die Schauspielpreise erhielten Soheila Golestani in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ sowie Fabian Stumm in „Sad Jokes“.

Für das Beste Drehbuch wurde Ayşe Polat für „Im toten Winkel“ ausgezeichnet, für die Beste Bildgestaltung Paul Faltz mit „Cuckoo“, für die Beste Montage Ramon Zürcher für „Der Spatz im Kamin“ und für die Beste Musik Marja Burchard in „Shahid“.

Den Preis für den Besten Dokumentarfilm gewann „Der unsichtbare Zoo“ von Romuald Karmakar. Bester Kinderfilm wurde „Sieger sein“ von Soleen Yusef.

Bester Kurzfilm ist „Ich hab dich tanzen sehn“ von Sarah Pech; „Die Stimme des Ingenieurs“ von André Siegers ist Bester Experimentalfilm.

Mit dem Ehrenpreis zeichnet der Verband der deutschen Filmkritik in diesem Jahr Klaus Eder aus.

Als einziger deutscher Filmpreis, der ausschließlich von Kritiker:innen vergeben wird, zeichnet der Preis der deutschen Filmkritik seit 1956 deutsche Filme aus, die nicht nach wirtschaftlichen, länderspezifischen oder politischen Kriterien bewertet werden, sondern ausschließlich nach künstlerischen. Über die Preisvergabe entscheiden Jurys aus Mitgliedern des Verbandes der deutschen Filmkritik. Alle Filme hatten im Referenzjahr des Preises einen Kinostart oder Premiere auf einem deutschen Festival.


Die Preise der deutschen Filmkritik & ihre Begründungen


Bester Spielfilm

Verbrannte Erde“ von Thoams Arslan

Im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers tauchen wir ein in eine Metropole, deren historisch gewachsene Fixpunkte kaum noch eine Rolle spielen. Gleichförmige Glasarchitektur und standardisierte Touristenabsteigen sind keine Orte der Begegnung, sondern des anonymen Durchgangs. Sie sind gemacht für flexible Nomaden, die ihre Eigenschaften und Wurzeln geschickt verbergen können. Durch seine subtil fesselnde Dynamik zieht uns der Film in eine vertraute Fantasie aus Unverletzlichkeit und Kontrolle, deren klug inszeniertes Scheitern tief blicken lässt: auf die sich ausweitende Warenförmigkeit der Beziehungen, die zunehmend unberechenbare Gier und den Zusammenbruch sozialer Verbindlichkeit. Der Film noir erfährt so eine zeitgemäße Aktualisierung, durch ein kunstvolles Spiel mit seinen Genre-Elementen, deren Düsterkeit sich in der Opazität unterkühlter Fassaden zeigt.


Beste Spielfilmdebüt

Vena“ von Chiara Fleischhacker

Der Gewinnerfilm kreiert eine Erzählung, die Sehnsucht nach mehr Kino dieser Art aufkeimen lässt: nach mehr Charakteren, die sich gegen Klischees behaupten, nach mehr Szenen, die sich durch ihre Unmittelbarkeit auch im Kleinen mit einer großen Wucht präsentieren, nach mehr Protagonist:innen an den sogenannten Rändern der Gesellschaft, die sich durch Agency und Fürsorge füreinander behaupten, nach mehr präzise recherchierten und vernachlässigten Themen. Es gelingt dem Team, eine besondere Nähe zu den Figuren entstehen zu lassen, besonders durch die Handkamera und ihren beobachtenden Gestus, der schaulustige Voyeurismen vermeidet. Viel mehr bewegen sich die Bilder auf einer Ebene mit der Protagonistin, die den Herausforderungen ihres Lebens letztendlich mutig entgegenschreitet.


Beste Darstellerin

Soheila Golestani in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“

Zu Beginn verkörpert sie eine Frau, die den klaren Vorstellungen ihrer gesellschaftlichen Rolle folgt. Mit Ruhe und Bestimmtheit hält sie die Fäden des Alltags zusammen und agiert als Vermittlerin – bis die geregelte Fassade des Familienlebens zu bröckeln anfängt und auch sie die Härte und Ungerechtigkeit patriarchaler Gewalt aus den Angeln hebt. Mit Mitgefühl und Strenge, als Zentrum der Familie und als Liebende repräsentiert sie eine Mutter, die angesichts der aufstrebenden Emanzipation ihrer Töchter und der Ergebenheit gegenüber ihrem Ehemann eine zunehmende Zerrissenheit erfährt. Durch die Feinheiten ihres Spiels, ihrer Stimme und ihres Gesichtsausdrucks gelingt es ihr, dass wir gebannt an der Reise ihrer Figur teilnehmen und die über die Geschichte hinausgehenden politischen Implikationen ihrer Rolle umso heftiger mitfühlen.


Bester Darsteller

Fabian Stumm in „Sad Jokes“

Der Schauspieler, dem wir den Preis verleihen, ist in dem Film, in dem er mitspielt, nicht nur Protagonist, sondern Dreh- und Angelpunkt. Abgesehen vom Vorspann ist er Teil jeder einzelnen Szene. Der Titel des Films, in dem er auftritt, verweist bereits auf seine Vielseitigkeit: In lustigen Momenten brilliert er genauso wie in traurigen, intime Zwiegespräche liegen ihm ebenso wie geschickt choreografierte Ensemblenummern, außerdem ist er Teil der schönsten verhinderten Sexszene dieses Kinojahres und ohne jeden Zweifel der König der Fremdscham. So spielen kann nur jemand, der das blinde Vertrauen seines Regisseurs genießt. In diesem Fall heißt das: Fabian Stumm hat sich selbst blind vertraut.


Bestes Drehbuch

Ayşe Polat für „Im toten Winkel“

Die unsichtbare Wirkmacht historischer Traumata schafft Herausforderungen für familiäre wie kulturelle Aufarbeitung: Sie fordert neue Formen des Erzählens ein. Mit einer großen Sensibilität für die unterschiedlichen Zeitlichkeiten der Gewaltgeschichte fächert der Film drei eigenständige narrative Dimensionen auf und verwebt sie auf komplexe Weise miteinander. Durch das filmische Wiederholen und Durcharbeiten der Perspektiven auf gegenwärtige Ereignisse erschließen sich immer mehr Ebenen und historische Zusammenhänge, ohne sich vollständig aufzulösen. Das Erzählen bleibt dem unmöglichen Blickpunkt verpflichtet, schreibt ihn in die Szenen mit ein. Damit gelingt es dem Film in innovativer und herausragender Weise, unterschiedliche Modalitäten im Umgang mit dem Traumatischen zu figurieren.


Beste Bildgestaltung

Paul Faltz für „Cuckoo“

Es gibt Filme, in denen die Kamera zu einem Mitspieler wird. Nicht weil sie permanent ihren Figuren hinterherspürt, sondern weil sie mehr ahnen lässt als in den einzelnen Bildern zu sehen ist. Weil es ihr gelingt, das Vertraute fremd erscheinen zu lassen. Und weil sie auch in lichtdurchfluteten Bildern das Dunkle und Beunruhigende einfängt. Für einen Horrorfilm ist eine durchdachte Kameraarbeit essentiell. In dem auf 35mm-Material gedrehten Cuckoo vollbringt Director of Photography Paul Faltz das Wunder, mit fahlen, manchmal stilisierten Farben uns Zuschauerinnen und Zuschauer eine Welt vorzuführen, in der von Anfang an etwas nicht zu stimmen scheint. Natürlich hat auch Cuckoo seine Schockeffekte - aber das Grauen kommt auf leisen Sohlen in diesem Film. Das ist große Kunst.


Beste Montage

Ramon Zürcher für „Der Spatz im Kamin“

Ein Familienwochenende, bei dem alles Angestaute hervorberstet. Das große Ensemble bewegt sich durch die engen Räume mit der Präzision einer ausgefeilten Tanzchoreografie. Ständig huscht im Vordergrund jemand vorbei, und am Ende einer vermeintlich privaten Unterhaltung offenbart ein kühler Schnitt, dass doch jemand im Türrahmen gelauscht hat. Der Film seziert, was schon seit vielen Jahren brodelt. Aber am Ende ist es die Skalpell-scharfe Montage, die nicht nur den ungeschönten Horror, sondern auch eine gewaltige Menge schwarzen Humor an die Oberfläche fördert. Das Publikum kann sich nie sicher sein, was der nächste Schnitt noch offenbart – und sei es der Familienhund, der vergnügt dabei zusieht, wie die Katze in der Wachmaschine herumgewirbelt wird.


Beste Musik

Marja Burchard für „Shahid“

Ohne seine eindrucksvolle Musik wäre dieser Film nicht zu dem geworden, der er ist. Die Musik ist ein die Handlung vorantreibendes Moment genauso wie ein emotionaler Hintergrund. Sie versteht sich auf das Charakterisieren ihrer Hauptfigur, sie beschwört die Geister der Vergangenheit und fungiert als verbindendes Ferment des Films, der aus fiktiven, dokumentarischen und experimentellen Passagen besteht. Eine schwierige Aufgabe, die Marja Burchard in ihrer Musik zu Shahid mit Bravour meistert, mit einem Soundtrack, der zwischen traditionellen Klängen und Moderne, eingängiger Melodik und ausgeprägter Rhythmik changiert und das Sehen dieses Films auch zu einem suggestiven Hörerlebnis macht.


Beste Dokumentarfilm

Der unsichtbare Zoo“ von Romuald Karmakar

Tierfilme machen, oft auf spektakuläre Weise, sichtbar, wie ein großer Teil der Natur funktioniert. Das Spektakel, das die Institution des Zoos zu bieten hat, ist das Tier an sich. Es ist ein performativer Ort, dessen Prozesse auf der Hinterbühne für das Publikum möglichst unsichtbar bleiben sollen. Wir wissen alle, dass das Leben im Zoo mit der freien Wildbahn wenig zu tun hat. Und trotzdem hat dieser Ort wenig von seiner Faszination eingebüßt. Kann so eine Tierschau mit den Mitteln des dokumentarischen Films künstlerisch erfasst werden? Ja, wenn es gelingt, bewusst zu machen, wie stark die Dialektik des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Tier an diesem Ort ist. In „Der unsichtbare Zoo“ ist dies gelungen.


Bester Kinderfilm

Sieger sein“ von Soleen Yusef

Der von uns ausgezeichnete Film folgt seiner Hauptfigur in ihr neues und fremdes Umfeld, das ihr anfangs alles andere als freundlich gesinnt ist. Doch die elfjährige Mona hat kein Interesse daran, Konflikte unausgesprochen zu lassen. Und deshalb spricht sie das Publikum gleich bei ihrem ersten Auftritt direkt an und nennt den Elefanten im Raum bei seinem Namen: „Ja, ich bin ein Scheiß-Flüchtling!“ So ist dieser Film: direkt, manchmal konfrontativ, gerne auch mal überdeutlich. Regisseurin und Drehbuchautorin Soleen Yusef greift auf ihre eigenen Lebenserfahrungen zurück, wenn sie mit flotter, jugendaffiner Sprache von Konflikten, Problemen und Einsamkeit erzählt, vom Ankommen in der Fremde sowie von neuen Freundschaften. Sie beschwört Zusammenhalt und Gemeinschaft, feiert Schule als wichtigen Erfahrungsraum für demokratische Prozesse – all das gelegentlich mit großem Gestus, gar Pathos. Der Film erlaubt seiner Protagonistin, ernst, nüchtern, ironisch und selbstreflektiert zu sein, und spiegelt dies in seiner klugen Inszenierung. Er durchbricht die Vierte Wand, bringt durch Rückblenden unterschiedliche Orte und Zeiten zusammen, macht gebrochene Biografien sichtbar – um dann entspannt in die Inszenierungsmechanismen eines Sportfilms zu wechseln. Ein temperamentvoller Film, der vieles ausprobiert, mutig das Risiko für Fehlern und Unvollkommenheiten eingeht, mit klarem, humorvollem Blick auf eine Gegenwart weit jenseits bürgerlicher Gemütlichkeit.


Bester Kurzfilm

Ich hab dich tanzen sehn“ von Sarah Pech

Im Geist der Carrier-Bag-Theorie der Fiktion nimmt der Kurzfilm einen kindlichen Wahrnehmungsmodus an, durch den die Welt wiederverzaubert sich darbietet, um eine einzigartig feminine Perspektive zu konstruieren – einen nächtlichen und neugierigen Blick einer jungen Flâneuse und wohlwollenden Voyeurin. Mit fließender Kameraführung durchquert er mühelos Orte, die man auf einem beiläufigen Spaziergang durch ein bergiges Dorf entdeckt. Der Film erinnert an L’Eclisse (1962) von Michelangelo Antonioni, ist jedoch mutig anti-Antonioni. Er ist ein Werk der Glâneuse, ein Gesten-Archiv, ein Traumspaziergang durch ein Dorf, das von Licht zu Dunkelheit übergeht, geleitet vom Geist der Jugendlichen, die wortlos beobachtet, bevor sie Teil der aktiven Nacht wird und sich schließlich zurück in deren Umarmung begibt.


Bester Experimentalfilm

Die Stimme des Ingenieurs“ von André Siegers

Die gelungensten Experimentalfilme zielen auf eine Selbstverständlichkeit des Filmischen, das zur kritischen Disposition steht. Zum Beispiel: Wie manövrieren sich Zuschauende durch ein affektives Geflecht von Nähe und Fremdheit? Der ausgezeichnete Film führt diesen theoretischen Diskurs gekonnt – gerade, weil er einen außergewöhnlichen Mut zum persönlichen Zugang beweist. Ohne zu lamentieren, sondern mit inszenatorischem Witz und großem dramaturgischen Geschick kreist der Film um den Moment des Einbruchs von Krankheit in das, was gerade noch Normalität war. Kühl, klug und doch einfühlsam inszeniert der Film technologische Fremdheit als Notwendigkeit für menschliche Individualität. Dabei entwickelt er ein ganz eigenes Nebeneinander der Dinge, die mehr sind als bloße Illustrationen eines Einzelschicksals, nämlich indem sie gerade das Universelle daran unterstreichen: Eigenheim, Anrufbeantworter, Staubsaugerroboter, Küchentisch, Mikrofon, Weltall, Kassettenrekorder.


Ehrenpreis

Klaus Eder


Jurymitglieder für den Preis der deutschen Filmkritik 2024 waren für die Kategorien Spielfilm und Einzelleistungen: Silvia Bahl, Lukas Foerster, Christoph Petersen, Bianca Jasmina Rauch, Rudolf Worschech. Für Kurz- und Experimentalfilm: Yun-hua Chen, Leo Geisler, Hannes Wesselkämper. Für Dokumentarfilm: Esther Buss, Silvia Hallensleben, Thomas Klein. Kinderfilm: Horst Peter Koll, Bianka Piringer, Rochus Wolff.



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