Die Darstellung von Körperlichkeit ist immer politisch. Erst recht in Jugendfilmen zum Thema Rechtsextremismus. Mal folgen die Bilder der Riefenstahl-Tradition und verzichten zugunsten klarer Zuordnungen auf Mehrdeutigkeiten, mal brechen sie Stereotype auf – auch wenn die Versuchung bestehen bleibt, schönen Körpern eine Bühne zu bereiten.
Wir wissen alle, wie Neonazis aussehen. Bestimmte Bilder sind ins kulturelle Gedächtnis eingegangen und sofort aufrufbar, als Stereotype einer politischen Körperlichkeit. Die Konturen und Details dieser Körper sind allerdings keineswegs eindeutig. An dem einen Ende der Spannbreite steht ein idealisierter athletischer Körper. Die Regisseurin Leni Riefenstahl setzt gleich zu Beginn ihres zweiteiligen Films „Olympia - Fest der Völker“ (1938) auf eine Überblendung, bei der die antike Statue eines Diskuswerfers langsam in die Gestalt eines lebenden Sportlers übergeht. Indem Riefenstahl das klassische Schönheitsideal auf die Athlet:innen der Gegenwart überträgt, schlägt sie einen Bogen von der Antike zum Ideal der „arischen“ Schönheit. Als Neonazi-Körper kennt das kollektive Bildgedächtnis diese Figur vor allem als Skinhead; in seiner stereotypen Formierung jung, männlich, gerne mit freiem Oberkörper und einschlägigen Tätowierungen.
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Das andere Ende des Bilderspektrums markiert jene Fotografie von den menschenfeindlichen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen, das einen etwas grobschlächtig-untersetzten Mann im Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zeigt, mit unfrisierten Haaren, Bartschatten und einem großen Urinfleck vorne auf der Hose; die rechte Hand ist zum Hitlergruß erhoben: der „hässliche Deutsche“ in reinster Form, gegenüber dem selbst die Karikaturen eines Manfred Deix in ihrer Zuspitzung harmlos wirken.
Der Skinhead als kinematografisches Kürzel
Es verwundert kaum, dass Jugendfilme, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen, eher den jugendlicheren Typus dieser beiden Modelle in den Mittelpunkt rücken. Die muskulösen Körper der Skinheads haben auch noch den Vorteil, dass sie sich in vielerlei Hinsicht den vorherrschenden Schönheitsvorstellungen anschmiegen. Zugleich ist der Skinhead aber auch ein riskantes Mittel, weil er als kinematografisches Kürzel dient: Er signalisiert sofort bestimmte Themen, er positioniert die Hauptfigur und minimiert Mehrdeutigkeiten.
„Oi! Warning“ (1999) von Dominik und Ben Reding ist dafür ein bemerkenswertes Beispiel. Der Film beginnt mit zwei Nahaufnahmen. Einmal sieht man Tätowierungen, die von einer Zunge abgeleckt werden. Dann werden drei Narben in einem Dreiecksmuster gezielt mit dem Skalpell in die Haut geritzt. Es folgt eine Szenerie, die an Riefenstahl erinnert, was durch die Schwarz-weiß-Ästhetik des Films noch verstärkt wird. Ein nackter Skinhead steht im Wald und bewegt sich langsam auf der Stelle. Er offenbart seinen Körper und seine Muskulatur. Die Kamera fährt in einer langsamen Kreisbewegung um ihn und seine Freundin herum, die in etwa zwei Meter Entfernung vor ihm steht und von dem Anblick offenbar begeistert ist. Sie ist in weiß gekleidet und steht wie eine Säule aus Licht, während er näherkommt, sie umarmt und dann eine Handgranate in seiner linken Hand entsichert.
Die kurze Szene, die möglicherweise einem trunkenen Traum der Hauptfigur Janosch entspringt, etabliert eine ganze Reihe von Themen und Dynamiken, die in Filmen oft mit Skinheads und Neonazis verknüpft werden: Die Feier und Präsentation des jungen, muskulösen Männerkörpers. Das jederzeit mögliche Abkippen in Bedrohung oder Gewalt. Ein auf den Körper gerichtetes Begehren. Und eine auch physisch in Erscheinung tretende Geschlechterhierarchie.
Ein Neonazi ist dieser Skinhead, der auf den Namen Koma hört, allerdings nicht. „Oi! Warning“ beschäftigt sich mit der Oi-Skinhead-Szene und mit Punks als Teil der Jugendkultur der 1990er-Jahre; als einer Form des Aufbegehrens gegen eine erdrückend fade dargestellte Bürgerlichkeit.
Die Uneindeutigkeit des Signifikants „Skinhead“ buchstabierte
der Film „This Is England“ von Shane Meadows im historischen Rückgriff
auf die frühen 1980er-Jahre, als sich Großbritannien unter Margaret Thatcher in
den Falklandkrieg stürzte, aus. Allerdings durch eine narrativ klar orientierte
Erzählung, nicht allein durch assoziative Bilderwelten.
„This Is England“ erzählt davon, wie der zwölfjährige Shaun in einer Gruppe von Skinheads Sicherheit und Schutz vor den Hänseleien anderer Mitschüler findet. Die endgültige Aufnahme in die Gruppe wird über die Zurichtung von Körper und Kleidern erreicht: Die Haare werden abgeschnitten, wofür eine der jungen Frauen in der Gruppe zuständig ist; Doc-Martens-Schuhe müssen her, ein Hemd und Hosenträger. Aber auch diese Skins sind keine Neonazis. Der Film markiert das nach außen durch die Anwesenheit von „Milky“, einem schwarzen Skinhead. Das geht so lange gut, bis ein älterer, politisch radikalisierter Skin aus dem Gefängnis entlassen wird.
Selbstmarkierungen
Diese „Rites de Passage“, die Übernahme eines Kleidungskodex, vor allem aber das Rasieren des Kopfhaars, spielen in vielen Filme zum Rechtsextremismus eine prominente Rolle, von „American History X“ (1998) bis „Kombat Sechzehn“ (2005). Wie in „This Is England“ geht es dabei um Zugehörigkeit und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Der Körper wird zum Zeichen, sowohl für die In-Group als auch für die Außenwelt. Die so markierte Physis soll ohne jeden Zweifel als Abgrenzung und Drohung wirken.
Die Erscheinung der Protagonistin Marisa in „Kriegerin“ (2011) von David Wnendt ist in dieser Hinsicht fast überdeterminiert. In einer der ersten Szenen belästigt sie mit ihrem Freund und anderen Kumpeln Passagiere in einem Regionalzug. Marisa trägt kurze Stoppelhaare; am Rand sind sie aber noch lang – für weibliche Neonazis keine ungewöhnliche Frisur –. Auf ihrem T-Shirt steht „Nazibraut“ in Fraktur, der Körper ist mit Tattoos an vielen Stellen übersäht, ein Hakenkreuz zieht sich übers Brustbein, „14 words“ liest man auf dem rechten Unterarm, den sie zum Hitlergruß hebt.
An der Figur der unbedarften Svenja, die sich aus purer Langeweile und Ablehnung ihrer Eltern den Neonazis anschließt, zeigt sich aber auch, wie die Selbstmarkierung als Abgrenzung ins Leere laufen kann, wenn das Gegenüber nicht versteht, wovon die Rede ist. Svenja hat sich von Marisa ein „88“-Tattoo stechen lassen, als Verweis auf das „H“, den achten Buchstaben des Alphabets, eine Chiffre für „Heil Hitler“. Als ihre Mutter dies entdeckt, präsentiert Svenja ihr die Tätowierung als „politische Aussage“. „Politische Aussage?“, fragt die Mutter. „Das ist ’ne 88.“ „’ne 89 versteh ich ja noch, ’ne 88 versteh ich nicht.“ Auch die schwarzen Zeichen auf weißer Haut sind letztlich immer noch arbiträre Zeichen, die das Risiko des Scheiterns der visuellen Kommunikation nicht ausschließen können.
Körperkontakte
Die Szene, in der Marisa Svenja das Tattoo sticht, ist ein Moment von ruhiger Intimität, wie er sich auch in vielen anderen Filmen findet. Ein konzentrierter Fokus auf den Körper der anderen, ohne Gewalt, Begehren oder weitergehende Interessen.
Bei der Darstellung von Rechtsextremen im Film wird viel umarmt, allerdings wenig gestreichelt. Die Kamera rückt dann gerne nahe heran. Sei es beim Kampftraining wie in „Kombat Sechzehn“, beim Tanzen in Filmen von „American History X“ über „Wir sind jung. Wir sind stark“ bis „Je suis Karl“ oder in physischen Auseinandersetzungen. Der Übergang von Tanz zum Kampf kann dabei fließend sein. Die Tanzszenen zeigen oft zu lauter Musik springende Körper, in kraftvollen, stark auf sich, nicht aufeinander bezogenen Bewegungen. Das sind seltene Momente der Vereinzelung in einer Gruppe, die sich in ihrer Gemeinschaft und in Abgrenzung zu anderen definiert. Zugleich bilden die Individuen, die in der Masse der Tanzenden verschwinden, eine Gemeinschaft, was durch Totalen sichtbar wird.
In „Je suis Karl“ ziehen sich die Verschwörer:innen von der Tanzfläche zurück, um ihren Plan, ein False-Flag-Attentat, noch einmal durchzugehen. Es ist eine Gruppe junger Neonazis, die nicht den visuellen Klischees der Skinheads entsprechen. Sie pflegen die Masse, die „Gemeinschaft“, nehmen sich selbst aber heraus. Der Narzissmus von Karl, der sich als echtes Opfer eines fingierten Attentats inszenieren lassen will, wird wörtlich inszeniert: Er knutscht im rötlichen Zwielicht des Waschraums mit seinem eigenen Spiegelbild. Das dabei ausgedrückte Begehren wirkt wesentlich animalischer und drängender als zuvor beim Sex mit Maxi, die er für seine „Bewegung“ rekrutiert hat. Das soll größere Authentizität und echte Lust markieren, wirkt aber, so allein am Spiegel, auch unfreiwillig lächerlich.
Als grundsätzliche Inszenierungsstrategie kann das auch schiefgehen. Beispielsweise zu Beginn von „Kriegerin“, wo Marisa in einem Zug andere Mitfahrende beschimpft und schließlich auch angreift. Die Gewalt steigert sich rauschhaft, wobei Film und Handyvideo wechseln; dann knutscht Marisa mit ihrem Freund Sandro im Zug und ist einen Schnitt später beim Sex mit ihm zu sehen. Sie obenauf, eine Hand an seinem Hals. Die Dynamik und Aufregung der Gewaltszene aus dem Zug überträgt sich auf diese Weise direkt in den Moment des sexuellen Begehrens. Der Akt wird aber nicht als liebevoll, sondern mit Zeichen von Gewalt als rau markiert. Dass Sandro später, als Marisa seine körperliche Annäherung nicht sofort erwidert, mit Schlägen reagiert, ist der erste Schritt zur Durchsetzung der patriarchalen Ordnung.
Zwischen Ästhetik, Reproduktion und Kritik
Der Jugendfilm interessiert sich für Neonazis als Jugendphänomen, als Geste des Widerstands gegen die Mehrheit und vor allem gegen die Eltern. Doch weil diese Filme die Verlockung der „Gemeinschaft“ zeigen wollen, gleiten sie leicht ins Gegenteil ab. Indem sie Gewalt, Körperlichkeit und kraftvolles Begehren als Elemente des Widerstands gegen die verschlafene Realität und vor allem die Eltern thematisieren und ästhetisieren, reproduzieren sie oft die Bilderwelten, die sie kritisieren wollen.
Das Kino besitzt keine direkten Bilderwelten für systematische Gewalt und Unterdrückung, die mit der Dynamik von Gewalt konkurrieren könnten. Die Ideologie, die Gedankenwelten im Kopf der Neonazis, spielen in der Regel keine Rolle. Die Bekehrung der Hauptfigur Derek in „American History X“ während seines Gefängnisaufenthalts wird nicht durch eine ideologische Krise herbeigeführt, sondern durch den Kontakt mit einem schwarzen Mithäftling. Katalytisch beschleunigt wird seine Wandlung durch ein Gefühl des Verrats – Skins kaufen Drogen von einer mexikanischen Gang – und die als Rache markierte Vergewaltigung durch einen anderen Neonazi. Der soldatisch harte, abgeschlossene Körper wird verletzt und ermöglicht so die Öffnung für Neues. Das mag visuell und filmisch kraftvoll in Szene gesetzt sein, bietet inhaltlich-ideologisch aber keinerlei Ansatzpunkte.
Die Autorinnen Heike Radvan und Julia Stegmann haben das in Bezug auf „American History X“ sehr klar in ihren pädagogischen Überlegungen zum Thema Rechtsextremismus formuliert: „Wenn Körperlichkeit und Gewalthandeln in Anlehnung an Leni Riefenstahl ästhetisiert werden, dann sind Anschlussmöglichkeiten für rechte Vorstellungen vom ‚richtigen Kerl’ gegeben. Auf diesem Wege wird es schwierig, über Nazi-Ideologie und stereotype Geschlechterbilder kritisch in die Diskussion zu kommen. Die potenziell faszinierende Wirkung solcher Bilder kann deren Infragestellung und Reflexion erschweren.“ Der kritische Blick auf die Inszenierung von Körper, Schönheit und Gewalt muss also unbedingt Bestandteil einer kritischen Auseinandersetzung sein. So wie sich der politische Diskurs von der Idee verabschieden muss, dass man Rechtsextreme in Diskussionen entlarven könnte, ist womöglich auch die Vorstellung, im Medium Film Neonazis visuell entzaubern zu können, eine Sackgasse.
Dazu trägt auch bei, dass die normschönen Körper der Neonazis zur Identifikation einladen, während über die Tattoos und Frisuren Authentizität suggeriert wird, wie Ulrich Kriest in seiner Kritik zu „Kriegerin“ festhält: „Wir werden Zeugen von extremer Gewaltbereitschaft, sehen toll gestylte rechte Körper in Bewegung und erfreuen uns allerlei sprechender Tattoos.“ Dass in vielen Filmen auch Skinheads mit Übergewicht auftauchen, diese aber den Protagonist:innen intellektuell oft nicht gewachsen sind, fügt dann auch noch eine Ebene des Fat-Shamings hinzu, mit der die Filme wohl nicht zufällig die enge Verwandtschaft der Mainstream-Filmästhetik mit Riefenstahl’schen Körperidealen offenbaren.
Die Versuchung der schönen Körper
„Je suis Karl“ versucht immerhin herauszuarbeiten, wie gezielt der moderne Rechtsextremismus seine Bilderwelten einsetzt. Im Internetvideo der „re/generation europe“ sprechen schöne junge Männer und Frauen in die Kamera, artikuliert, vielsprachig und sehr, sehr weiß. Die paneuropäische Fremdenfeindlichkeit arbeitet mit künstlichen Emotionen und großem Medieneinsatz. Hitlergruß und „Sieg Heil!“ sind explizit nicht erwünscht.
„Je suis Karl“ verharrt aber in der Uneindeutigkeit. Einerseits problematisiert er die Künstlichkeit der von „re/generation europe“ erstellten Bilder, setzt andererseits aber auch auf das ebenmäßige Gesicht und den schönen Körper von Jannis Niewöhner; seine Figur des Karl ist ein gefundenes Fressen für die Kamera. Das Kino lebt nun mal (auch) von der Versuchung der schönen Körper.