© Neue Visionen (Zoe Saldaña in „Emilia Pérez“)

Die „Oscar“-Nominierungen

Favoriten bei den 97. US-Filmpreisen sind unter anderem „Emilia Pérez“, „Der Brutalist“ und „Anora“

Aktualisiert am
03.03.2025 - 11:03:34
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Mit „Emilia Pérez“ geht ein genresprengendes spanischsprachiges Musical eines Franzosen als ein Favorit in die 97. „Oscar“-Verleihung in der Nacht vom 2. auf den 3. März. Bei der Bekanntgabe der Nominierungen wurde Jacques Audiards Film 13-mal bedacht und teilt sich damit die „Oscar“-Bühne mit der Tragikomödie „Anora“ und dem Epos „Der Brutalist“. Dank Edward Bergers Papstwahl-Thriller „Konklave“ und anderen Filmen sind auch die Deutschen wieder prominent in der Auswahl vertreten.


Ein mexikanischer Kartellboss, der sich als Frau identifiziert, ein vom Holocaust-Trauma gezeichneter ungarischer Architekt, der Manager einer Papstwahl und eine Stripperin mit russischem Oligarchensohn-Verehrer sind die Filmheldinnen und -helden, die bei der 97. „Oscar“-Verleihung am 2. März in die Fußstapfen des Atombomben-Konstrukteurs J. Robert Oppenheimer treten könnten. Standen die „Oscars“ 2024 noch ganz unter dem Eindruck von Christopher Nolans aufwändiger „Oppenheimer“-Biografie beziehungsweise des „Barbenheimer“-Phänomens mit dem unorthodoxen Kino-Double-Feature von Nolan und Greta Gerwigs „Barbie“, ist ein Jahr später wieder die filmische Realität in Hollywood eingezogen. Was heißt, dass die am 23. Januar verkündeten Nominierungen eher von US-amerikanischen Independent-Filmen sowie ausgesuchten Studio-Produktionen dominiert werden, ergänzt durch ausländische Werke, vor allem aus Frankreich, aber auch aus Brasilien und Deutschland.


Ein breites Spektrum

Allein unter den zehn Nominierungen für den besten Film finden sich gleich drei davon, wobei die auf englisch gedrehte Satire „The Substance“ der Französin Coralie Fargeat und das überwiegend spanischsprachige Musical-Melodram „Emilia Pérez“ von Fargeats Landsmann Jacques Audiard es vor allem durch ihre in den USA wohlbekannten Darstellerinnen nicht allzu schwer gehabt haben dürften, bei den Mitgliedern der Academy of Motion Picture Arts and Sciences anzudocken. Bemerkenswerter ist die Berücksichtigung des brasilianischen Films „Für immer hier“, auch wenn Regisseur Walter Salles ebenfalls kein ganz Unbekannter bei den „Oscars“ ist und schon seine früheren Filme wie „Central Station“ und „Die Reise des jungen Che“ in Einzelkategorien bei den US-Filmpreisen auftauchten. Zwei Jahre nach seinem überraschenden Aufschlag mit „Im Westen nichts Neues“ (neun Nominierungen, vier Auszeichnungen) ist auch der deutsche Regisseur Edward Berger mit seinem hoch gelobten Papstwahl-Thriller „Konklave“ wieder in der Auswahl für den besten Film dabei, ebenso wie der Kanadier Denis Villeneuve mit dem zweiten Teil seiner „Dune“-Saga. Die Ehre der USA verteidigen daneben „Anora“, „Der Brutalist“, „Like a Complete Unknown“, „Nickel Boys“ und „Wicked“, mit denen die zehn „Oscar“-Kandidaten vervollständigt sind.

Die insgesamt meisten Nominierungen entfielen auf „Emilia Pérez“, der mit 13 Nennungen einen Rekord für einen nicht-englischsprachigen Film aufstellte. Dass er in den USA und Großbritannien von Netflix ausgewertet wird, mildert etwas ab, dass die Streaming-Anbieter an sich schon jetzt als Verlierer der diesjährigen „Oscar“-Nominierungen feststehen. Waren Netflix, Amazon, AppleTV+ und Disney+ in den letzten zehn Jahren angetreten, um dem traditionellen Kino auch bei den Filmpreisen ernsthaft Konkurrenz zu machen, kann davon 2025 keine Rede mehr sein. Nimmt man „Emilia Pérez“ aus, an dessen Entstehen Netflix keinerlei Anteil hatte, taucht der Streaming-Primus nur noch in wenigen Nebenkategorien auf; AppleTV+ hat auf Scorseses „Killers of the Flower Moon“ 2024 nichts Vergleichbares folgen lassen, Amazon und Disney+ sind bei den „Oscars“ schon länger außen vor.


Siegeszug für Sean Baker und Brady Corbet?

Stattdessen haben die Juroren ihre Favoriten wieder im Kino gefunden. Für die Verleihung drängen sich insbesondere zwei der Filme auf: Das perfektionistische Dreieinhalbstunden-Epos „Der Brutalist“ von Brady Corbet um einen ungarisch-jüdischen Architekten, der nach der Shoah in den USA seine modernistischen Ideen verwirklichen kann, hatte die Kritik seit der Premiere in Venedig begeistert und erhielt nun insgesamt zehn Nominierungen.

Sein Hauptkonkurrent um den Sieg dürfte Sean Bakers Tragikomödie „Anora“ sein, der zwar als Independent-Film mit weniger äußerem Aufwand daherkommt (was ein Grund dafür ist, dass auf ihn „nur“ sechs Nominierungen entfielen), sich bei den diversen Verleihungen der „Awards Season“ aber als fester Faktor bewiesen hatte, mit dem auch bei den „Oscars“ unbedingt gerechnet werden sollte. Baker und Corbet sind erwartungsgemäß auch in der Regisseur-Kategorie nominiert, neben Audiard und Fargeat sowie James Mangold, der mit seiner Bob-Dylan-Biografie „Like a Complete Unknown“ einen der wenigen Filme im traditionelleren Hollywood-Stil zur „Oscar“-Konkurrenz beisteuerte. Wie schon bei „Im Westen nichts Neues“ verpasste Edward Berger auch für „Konklave“ eine Nominierung in seinem Gewerk; trösten kann er sich jedoch damit, dass sein Film ansonsten insgesamt acht Chancen auf die Preise hat.


Ralph Fiennes, Adrien Brody oder Timothée Chalamet

Dazu gehören auch seine Darsteller Ralph Fiennes und Isabella Rossellini, wobei ersterer damit zu guter Letzt seine 28-jährige „Oscar“-Durststrecke nach seiner zweiten und bislang letzten Nominierung für „Der englische Patient“ beenden kann. Für Rossellini ist es dagegen die erste Nominierung bei den „Oscars“, wie überhaupt der Großteil der dieses Jahr benannten Darstellerinnen und Darsteller noch nicht allzu oft bei den wichtigsten US-Filmpreisen mitmischen konnte. Der einzige frühere Gewinner ist Adrien Brody, der für seine fordernde Hauptrolle in „Der Brutalist“ auch erneut siegen könnte, mit Timothée Chalamets Dylan-Interpretation als größtem Herausforderer. Komplettiert wird die Kategorie durch Colman Domingo als theaterspielender Gefängnisinsasse für „Sing Sing“ und Sebastians Stans Darbietung des jungen Donald Trump in „The Apprentice“.

Neben Stan ist für diesen Film auch Jeremy Strong als Trump-Mentor Roy Cohn bei den Nebendarstellern nominiert, wo sich auch Kieran Culkin als jüdischer US-Reisender auf den Spuren seiner polnischen Großmutter in „A Real Pain“, der russische Darsteller Juri Borisow (anglisiert: Yura Borisov) in „Anora“, Edward Norton für „Like a Complete Unknown“ und Guy Pearce für „Der Brutalist“ finden.


Diven & Newcomerinnen

Bei den Darstellerinnen steht ein spannendes Dreier-Duell zwischen Mikey Madison in „Anora“, der spanischen Trans-Schauspielerin Karla Sofía Gascón in der Titelrolle von „Emilia Pérez“ und Veteranin Demi Moore („The Substance“) an, ebenfalls nominiert wurden Fernanda Torres für „Für immer hier“ und Cynthia Erivo für „Wicked“. Erivos Filmpartnerin Ariana Grande ist bei den Nebendarstellerinnen ebenso benannt wie Monica Barbaro („Like a Complete Unknown“), Felicity Jones („Der Brutalist“) und Zoe Saldaña („Emilia Pérez“).

Saldaña dürfte eine der besten Chancen des Films auf einen „Oscar“-Gewinn haben, neben den Kategorien Originalsong und Internationaler Film. Dort gewann Frankreich allerdings zuletzt vor 32 Jahren mit dem Melodram „Indochine“ und auch dieses Jahr ist der Sieg keineswegs sicher: Das für Deutschland ins Rennen gehende Drama „Die Saat des Heiligen Feigenbaums“ von Mohammad Rasoulof hat sich schon bei mehreren Preisverleihungen als ernsthafter Konkurrent für „Emilia Pérez“ erwiesen.


Positiver Trend für deutsche Produktionen setzt sich fort

Aus deutscher Sicht setzen die „Oscars“ 2025 insgesamt den positiven Trend der letzten beiden Jahre fort, denn neben Rasoulof und Berger plus dessen „Konklave“-Mitstreitern Lisy Christl (Kostüme) und Volker Bertelmann (Musik) kann sich auch noch Tim Fehlbaum mit „September 5“ über eine Nominierung freuen. Sein Drama über Sportreporter, die 1972 bei den Olympischen Spielen über den Terroranschlag auf die israelische Mannschaft berichten müssen, wurde als bestes Originaldrehbuch nominiert.

Der an den Kinokassen erfolgreichste Film des Jahres 2024, „Alles steht Kopf 2“, taucht nur in der Animationsfilm-Auswahl auf und bleibt so hinter früheren „Oscar“-Aufschlägen des Pixar-Studios zurück. Auch sonst spielen die Favoriten des Kinopublikums bei der „Oscar“-Verleihung dieses Jahr keine Rolle, abgesehen von „Dune: Teil 2“ mit fünf und „Wicked“ mit zehn Nominierungen. Allerdings sind sowohl die Science-Fiction-Fortsetzung als auch das Märchenmusical Filme, die mit „Anora“, „Der Brutalist“ und „Emilia Pérez“ einen Mut zum filmischen Risiko teilen, den die „Oscars“ wie schon manch andere Filmpreise nun belohnen könnten. So eindeutig wie letztes Jahr mit „Oppenheimer“ wird es bei der Verleihung am 2. März jedenfalls kaum zugehen.


Eine Übersicht über alle Nominierten findet sich hier.

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